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Kein Arbeitsplatz, der Reichtum verspricht: Nachwuchsköche in einer Küche.
© Jens Büttner/dpa

Stagnierende Einkommen trotz Boom: Warum die Berliner kaum mehr verdienen als vor 20 Jahren

Die Stadt verzeichnet ein Konjunkturhoch und starke Wachstumsraten – aber die Menschen in Berlin haben kaum mehr Geld als im Jahr 2000. Wie passt das zusammen?

Die Wirtschaft in der Hauptstadt boomt, alle acht Minuten entsteht ein Job in Berlin und Brandenburg. Für das Jahr 2019 rechnet der Berliner Senat mit zwei Prozent Wirtschaftswachstum, während die Bundesregierung für Gesamtdeutschland nur von einem Prozent ausgeht. Doch wie jetzt erneut eine Studie belegt, scheint diese Entwicklung bei den Bürgern der Stadt kaum anzukommen.

Aus der Erhebung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung geht hervor, dass das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen in der Hauptstadt zwischen dem Jahr 2000 und dem Jahr 2016 um gerade einmal 1,3 Prozent gestiegen ist.

Damit ist Berlin die einzige Region im Osten, in der sich das zur Verfügung stehende Geld um weniger als fünf Prozent vermehrt hat. In ganz Deutschland stieg die Summe seitdem um 9,7 Prozent. Die Auswertung stützt sich auf die jüngsten Daten der Statistischen Ämter der Länder und des Bundes.

Martin Gornig, Forschungsdirektor für Industriepolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), erklärt das schlechte Abschneiden Berlins mit einem Denkfehler. Die gute Konjunkturentwicklung habe in der Vergangenheit oft darüber hinweggetäuscht, dass viele Arbeitsplätze nur im Niedriglohnsektor entstanden sind.

Berlin bleibt Dienstleistungsstadt

"Eine große Stütze der Berliner Wirtschaft sind personenbezogene Dienstleistungen, also Tourismus und Gastronomie. Aber auch die Distributions- und die Logistikbranche wachsen." Prekäre Beschäftigung ist in diesen Bereichen nach wie vor weit verbreitet, neue Jobs dürften das Durchschnittseinkommen also eher in den Keller ziehen als es zu erhöhen.

"Der Schlüssel dagegen, um im mittleren und hohen Einkommensbereich Arbeitsplätze zu generieren, ist nach wie vor die Industrie", sagt Gornig. Und davon hat Berlin bekanntermaßen wenig.

Die Autoren der neuen WSI-Studie nennen einen weiteren Grund für das maue Ergebnis der Hauptstadt. "Die Bevölkerung in Berlin ist in den vergangenen Jahren enorm gewachsen, allein etwa 200.000 Menschen kamen zwischen 2011 und 2016 hierher", sagt Eric Seils vom WSI-Referat für vergleichende Sozialpolitik. Zuzügler ohne Arbeit oder mit Billigjobs zögen den Schnitt nach unten.

Das verfügbare Einkommen eines privaten Haushaltes ist das Einkommen nach Steuern, Sozialabgaben und Sozialtransfers, das gespart oder ausgegeben werden kann. In Berlin sind das laut der Studie 19.719 Euro im Jahr. Die Metropole liegt unter den 15 größten Städten in Deutschland auf Rang elf. Die reichste Großstadt ist München mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 29.685 Euro, am schlechtesten schneidet Gelsenkirchen mit 16.203 Euro ab.

Wachstumsraten sind in allen Städten bescheiden

Auffällig ist, dass keine der 15 Städte das Einkommenswachstum der Bundesrepublik erreicht. Auch das dürfte laut DIW-Forschungsdirektor Gornig auf die vielen innerstädtischen Jobs im Dienstleistungssektor zurückzuführen sein.

Am besten lief es laut der Studie noch in Hamburg, wo ein Einkommensplus von 6,3 Prozent zu verzeichnen ist. In Essen (-3,7 Prozent) und Nürnberg (-3,5 Prozent) sind hingegen deutliche Rückgänge der verfügbaren Pro-Kopf-Einkommen zu beobachten.

Verfügbares Pro-Kopf-Einkommen privater Haushalte
Verfügbares Pro-Kopf-Einkommen privater Haushalte
© Statistische Ämter des Bundes und der Länder, WSI

"Sollte dieser Trend in den kommenden Jahren anhalten, ist in den Großstädten mit einem weiteren Anstieg der Einkommensarmut zu rechnen", schreiben die Autoren im Fazit der Studie. Als armutsgefährdet gelten in Deutschland Menschen, die weniger als 60 Prozent des mittleren Pro-Kopf-Einkommens der Gesamtbevölkerung zur Verfügung haben. Das trifft etwa auf jeden sechsten Bewohner Berlins zu.

Dennoch geben sich die Experten für die Hauptstadt vorsichtig optimistisch. "In jüngerer Zeit sieht es gar nicht so schlecht aus", sagt Studienautor Eric Seils. "Während die Wachstumsraten für Berlin bis ins das Jahr 2011 negativ waren, das verfügbare Einkommen also schrumpfte, wächst der Wohlstand seitdem wieder."

Martin Gornig vom DIW untermauert den Trend mit Zahlen aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung der Länder. Sie listet die Bruttolöhne für die Bundesländer auf. Demnach stieg das Salär vor Abzug der Steuern in der Hauptstadt im vergangenen Jahr um 3,2 Prozent auf durchschnittlich 36.146 Euro pro Arbeitnehmer im Jahr. In Hamburg lag der Zuwachs nur bei 2,4 Prozent.

Gornig vermutet, dass auch die WSI-Zahlen für Berlin positiver ausfielen, wenn nicht nur der Zeitraum bis 2016, sondern auch die vergangenen zwei Jahre eingeflossen wären. "In Berlin entstehen zur Zeit relativ viele hochwertige Jobs", sagt er. Mehr Gehalt für schlecht bezahlte Köche, Kuriere oder Reinigungskräfte bringt das aber auch nicht.

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