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Dicht gedrängt und ohne Masken standen die Menschen am 1. August bei der Demo in Berlin.
© Christoph Soeder/dpa

Corona-Skeptiker und Rechte mobilisieren weiter: Warum der Corona-Aufmarsch in Berlin doch noch droht

Die Veranstalter wollen das Demoverbot vor Gericht kippen. Einige Anhänger rufen auf, sich mit Gewalt die Straße zu nehmen – und dafür auch Waffen einzusetzen.

Eine Demonstration gegen die Corona-Politik ohne Abstand und ohne Masken wie am 1. August in der Berliner Innenstadt soll es am Wochenende nicht geben. Der Berliner Senat hat am Mittwoch die Demonstrationen gegen die aktuellen Corona-Beschränkungen verboten. Was steht hinter der Entscheidung und wie reagieren die Veranstalter?

Warum wurde der Protest verboten?

Die Versammlungsbehörde begründet ihr Verbot mit den zu erwartenden „Verstößen gegen die geltende Infektionsschutzverordnung“. Dies liege an dem „Kreis der Teilnehmenden“ und deren massiven Verstößen bei der ersten Auflage der Proteste Anfang August im Tiergarten.

Damals hatten 30.000 Demonstranten – die Veranstalter sprachen hinterher von 1,3 Millionen – die vereinbarten Sicherheitsregeln wie Mindestabstand und das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckung systematisch missachtet.

Die Versammlungsbehörde geht davon aus, dass diese Verstöße „bewusst“ erfolgten. Innensenator Andreas Geisel (SPD) betonte am Mittwoch, dass dabei nicht nur die Teilnehmer, sondern auch die Anmelder der Versammlungen gezielt „die Regeln gebrochen haben, die sie vorher in Gesprächen mit der Polizei akzeptiert“ hatten.

Da sich Deutschland noch mitten in der Pandemie befinde und die Infektionszahlen stiegen, sei das Verbot „keine Entscheidung gegen die Versammlungsfreiheit, sondern eine Entscheidung für den Infektionsschutz“. Man habe zwischen dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit und dem der Unversehrtheit des Lebens abwägen müssen: „Wir haben uns für das Leben entschieden.“

Wer kontrolliert das Demoverbot?

Für den Fall, dass es am Sonnabend dennoch zu großen Menschenansammlungen kommt, hat Geisel ein konsequentes Vorgehen der Polizei angekündigt. Er werde nicht hinnehmen, dass Berlin ein zweites Mal „als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird“.

14.08.2020, Berlin: Andreas Geisel (SPD), Berliner Innensenator, besucht die Polizeiakademie. Der Senator informiert sich über die aktuelle Ausbildungssituation. Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
14.08.2020, Berlin: Andreas Geisel (SPD), Berliner Innensenator, besucht die Polizeiakademie. Der Senator informiert sich über die aktuelle Ausbildungssituation. Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
© dpa

Beim ersten Aufmarsch Anfang August hatten Polizisten die Teilnehmer immer wieder zum Einhalten der Corona-Regeln aufgefordert, setzten diese aber nicht durch, um eine Eskalation zu verhindern. Laut Geisel werde auch das angekündigte Zeltlager im Tiergarten nicht geduldet.

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Tatsächlich besteht ein solches Camp jedoch bereits: Nach mehreren Umzügen befindet es sich derzeit gegenüber dem Kanzleramt. Am Mittwoch gab es zunächst keine Versuche der Polizei, das Zeltlager aufzulösen.

Wie weit reicht das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit?

„Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln“, lautet Artikel acht im Grundgesetz. Versammlungen unter freiem Himmel können jedoch per Gesetz beschränkt werden.

Das Versammlungsgesetz regelt dies. Behörden haben insbesondere zu beachten, dass ihre Anordnungen verhältnismäßig sind – das gilt auch und gerade für Veranstaltungsverbote. Soweit konkrete Auflagen genügen, um Sicherheit oder Gesundheitsschutz zu gewährleisten, werden Verbote von Gerichten häufig wieder kassiert.

Wie hat Corona die Beurteilung verändert?

Zur Bekämpfung der Pandemie haben alle Bundesländer auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes Rechtsverordnungen erlassen, die die Demonstrationsfreiheit teils erheblich beschränken oder beschränkt haben. Aktuell etwa besteht in Berlin noch die Pflicht für Organisatoren, ein individuelles Schutz- und Hygienekonzept zu erstellen und vor Ort durchzusetzen.

Unabhängig davon sieht die Versammlungsbehörde jetzt aber ein zu großes Risiko, dass die allgemeinen Infektionsschutzregelungen nicht eingehalten oder vielmehr bewusst gebrochen werden. Abgeleitet wird diese Prognose aus den Demonstrationen vom 1. August.

Können die Organisatoren klagen?

Falls sich die Veranstalter gegen das Verbot wehren, kann es in einem Eilverfahren von den Verwaltungsgerichten geprüft werden. Das Bundesverfassungsgericht hat erst kürzlich klargestellt, dass die Pandemie „ein dynamisches und tendenziell volatiles Geschehen“ sei, weshalb behördliche und gerichtliche Entscheidungen an die jeweilige Situation angepasst sein müssten.

Dicht gedrängt stehen Tausende bei einer Kundgebung gegen die Corona-Beschränkungen am 1. August auf der Straße des 17. Juni.
Dicht gedrängt stehen Tausende bei einer Kundgebung gegen die Corona-Beschränkungen am 1. August auf der Straße des 17. Juni.
© Christoph Soeder/dpa

Dazu passt, dass der Innensenator jetzt auf aktuell steigende Infektionszahlen verwies. Zugleich ist es zulässig, an bisherige Erfahrungen mit Veranstaltern oder Demoformaten anzuknüpfen. Bei Demos, deren Meinungskundgabe insbesondere darin besteht, dass etwa Abstands- und Hygieneregeln abgeschafft gehören, dürfte zudem das Risiko noch einmal gesteigert sein, dass es zu Regelbrüchen kommt.

Wird das Verbot Bestand haben?

Im Fall einer gerichtlichen Prüfung werden die Behörden im Einzelnen darzulegen haben, wie es gerechtfertigt sein soll, von den Verstößen bei den Demos Anfang August auf die jetzt geplanten Veranstaltungen zu schließen. Bloße Mutmaßungen werden hier nicht ausreichen.

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Dass der Innensenator verhindern will, dass Berlin für „Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten“ erneut „zur Bühne“ wird, ist ein eher politisches Motiv. Möglicherweise soll es Schwächen in der Argumentation überdecken. Scheitert das Verbot, kann der Innensenator von sich behaupten, es zumindest versucht zu haben.

Wer hat sich angekündigt?

Initiator des Aufmarschs im Tiergarten war die Gruppe „Querdenken711“ aus Stuttgart, die eine sofortige Absetzung der Bundesregierung und die Beendigung sämtlicher Corona-Maßnahmen fordert. Der Gründer von „Querdenken711“ glaubt, dass es keine Pandemie gibt. An vergangenen Demos der Gruppe nahmen neben Kritikern der Corona-Maßnahmen und Virusleugnern auch zahlreiche Impfgegner, Reichsbürger und Rechtsextreme teil.

Beim Aufmarsch Anfang August in Berlin standen diverse Verschwörungstheoretiker und ein Pegida-Redner auf der Bühne. Zu den Protesten an diesem Sonnabend hatte praktisch die gesamte rechtsextreme Szene mobilisiert, darunter die NPD, die Neonazi-Kleinpartei Dritter Weg, Aktivisten der Identitären Bewegung sowie das vom Verfassungsschutz beobachtete Magazin „Compact“. Auch zahlreiche AfD-Politiker, der rechtsextremistische Rapper Chris Ares und rechte Hetzportale wie „PI News“ hatten zur Teilnahme aufgerufen.

Beobachter der Szene warnten, dies werde die größte Versammlung Rechtsextremer seit den Protesten im September 2018 in der Chemnitzer Innenstadt.

Wie reagieren die jeweiligen Gruppen auf das Verbot?

Der Gründer der „Querdenken711“-Bewegung verkündete am Mittwoch, dass sämtliche Versammlungen wie geplant stattfinden werden. Man wolle vor dem Bundesverfassungsgericht klagen.

Auch am Plan, ab Sonnabend für zwei Wochen die Straße des 17. Juni zu blockieren, soll festgehalten werden. Jürgen Elsässer vom rechtsextremen „Compact“-Magazin geht davon aus, dass „dieses Verbot juristisch zurückgeschlagen werden kann“. Er hält den Sonnabend für den „wichtigsten Tag seit 1945“.

 «Querdenken 711» steht auf einem T-Shirt, das ein Demonstranten am Brandenburger Tor bei der Demo Anfang August trägt während er mit einer Trillerpfeife pfeift.
«Querdenken 711» steht auf einem T-Shirt, das ein Demonstranten am Brandenburger Tor bei der Demo Anfang August trägt während er mit einer Trillerpfeife pfeift.
© Annette Riedl/picture alliance/dpa

AfD-Politiker kündigen für das Wochenende eine Demonstration gegen das Demonstrationsverbot an, andere Corona-Skeptiker wollen am Donnerstagnachmittag auf dem Breitscheidplatz protestieren.

In zahlreichen Gruppen des Messengerdienstes Telegram rufen Anhänger dazu auf, massenhaft nach Berlin zu reisen und sich über das Demonstrationsverbot mit Gewalt hinwegzusetzen. Eine Ansammlung von mehreren Millionen Menschen könne nicht von der Polizei aufgehalten werden – und wo es keine angemeldete Demonstration gebe, müssten auch keine Auflagen beachtet werden.

Einige Aktivisten rufen zum Sturz der Bundesregierung und zum „Sturm des Reichstags“ auf. Um das eigene Recht durchzusetzen, sei auch der Einsatz von Waffengewalt akzeptabel. Dies sei Notwehr. Im Zweifel sei es nötig, Polizisten zu lynchen.

Die Verantwortlichen des Verbots solle man vor dem Reichstag „im Namen des Volkes hinrichten“. In einer anderen Gruppe heißt es, das „Gesindel“ der Politiker müsse verhaftet und in Konzentrationslager gebracht werden.

Als Schuldige für das Verbot werden „das Merkel-Regime“, geheime Eliten im Hintergrund oder „die jüdische Mafia“ ausgemacht.

Manche Anhänger der „Querdenken“-Bewegung verbreiten eine ganz andere Theorie: Sie halten die Nachricht vom Verbot der Demonstration für „Fake News“. Entsprechende Meldungen seien gefälscht und würden gestreut, um den Sturz der Regierung zu verhindern. In Wahrheit habe die Berliner Versammlungsbehörde gar keine Einwände gegen den Aufmarsch.

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