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Wem gehört die Stadt? Darum geht es auch beim Berliner Mieten-Volksentscheid.
© Thilo Rückeis

Bürgerbeteiligung in Berlin: Vorbild Heidelberg: So wird aus Protest Politik gemacht

In Berlin könnten Bürgerbegehren konstruktiv genutzt werden – ob es nun um Bauprojekte, Mieten, Energie oder Wasser geht. Ein Blick nach Heidelberg zeigt Möglichkeiten.

Tempelhofer Feld, Kleingartenkolonie Oyenhausen, Mietenvolksentscheid – immer öfter mischen sich die Bürger in das Geschäft der Regierenden ein und immer wieder gelingt es ihnen sogar, deren Pläne zu kippen. Zuletzt rückte Mittes legendärer Party-Grünstreifen in den Blick, der Mauerpark: Kurz bevor Aktivisten mit einem Bürgerentscheid den Bezirk auszubremsen drohten, der nach einem Jahrzehnt Werkstattgesprächen und Planungsdialogen endlich Fakten schaffen wollte, zogen der Senat und Bausenator Andreas Geisel (SPD) die Pläne an sich. Der Aufstand im Bezirk blieb aus, jedenfalls auf politischer Ebene – die CDU ist fest verankert in der großen Koalition, und Mittes Baustadtrat Carsten Spallek (CDU) ließ es geschehen.

Doch ist der Zugriff wirklich die richtige Strategie – oder vertieft dieser nicht die Gräben in der Kampfzone und verstärkt damit den Verdruss an Politik? Nicht nur in Berlin stellt sich diese Frage – aufmüpfige Bürger, die mal von Wut getrieben, mal von Gesinnung und oft auch von der Angst um den eigenen Vorgarten, fordern bundesweit die Kommunen heraus: „Das Misstrauen der Bürger in die Mandatsträger hat in den vergangenen Jahren in erschreckenden Maße zugenommen“, sagt Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD). Auch er hat das erfahren, am eigenen Leibe, bei der Planung der Bundesgartenschau (Buga), wobei er selbst das Projekt zur Abstimmung stellte, um die Proteste einzufangen.

Bürgerentscheid ergab ein „Jein!“

Was dann folgte, auf Twitter, Facebook, per E-Mail und Brief, in Versammlungen und Bürgerforen, war eine Welle von Eingaben, Stellungnahmen und Meinungen, die auf die Politik zurollte, aber auch Gerüchte, Fehlinformationen und Angriffe. Kurz hatte sich frühzeitig für die Buga ausgesprochen und das Volk folgte ihm auch bei der Befragung. Jedenfalls eine Mehrheit. Allerdings war diese so klein, dass Kurz heute sagt: „Die Gräben sind geblieben“.

Das Ergebnis des Bürgerentscheids war also ein klares „Jein!“ – obwohl die Frage bei Entscheiden immer nur so gestellt werden darf, dass sie nur mit ja oder eben nein beantwortet werden kann. Darin sieht Kurz nun das eigentliche Problem mit den Entscheiden. Denn wie sollte sich ein wichtiges Projekt vorantreiben lassen, wenn es auch nach dem Entscheid die Bevölkerung spaltet? Eigentlich müsste man die Buga-Planung wieder auf Null stellen und zusammen mit den Bürgern noch mal von vorne anfangen, sagt Kurz.

In Heidelberg tun die Stadträte genau das bei ihrem Großprojekt: Der Umwandlung der 180 Hektar früherer Kasernenflächen der US-Truppen. „Deshalb denkt kein Mensch mehr an einen Bürgerentscheid“, sagt Bernd Stadel (CDU), erster Bürgermeister und für Stadtplanung zuständig. Als die ersten zehn Hektar samt Militärkrankenhaus frei wurden, lud der Stadtrat die Bürger kurzerhand zur Besichtigung des Areals ein. Dann folgte eine Ideen-Werkstatt, bei der nicht nur die üblichen Planungsprofis sondern wiederum die Bürger gefragt waren. Auf Grundlage der dort entstandenen Werkstatt-Ergebnisse entwickelten Experten einen Planungsentwurf – und wieder wurden die Heidelberger gefragt: So wolltet ihr das doch, oder?

Heidelberg ist ein Beispiel für die Berliner Diskussion

Als die Bürger auch das abgenickt hatten, bekamen sie auch noch einen Sitz in der Jury des folgenden Architektur-Wettbewerbes. Knatsch gab es allenfalls, weil der Bürger nur „beratend“ bei der Auswahl des Architekten mittun – und nicht abstimmen durfte. „Aber auch dafür finden wir noch eine Lösung“, sagt Stadel.

Heidelberg ist ein gutes Beispiel für die Berliner Diskussion, weil auch die Universitätsstadt in Baden-Württembergischen unter Wohnungsnot ächzt. Die Quadratmeter-Mieten haben in vielen Lagen die Zehn- Euro-Marke geknackt. Neubau ist dringend notwendig. Außerdem haben die Bürger Heidelbergs genau wie in Berlin ein politisches Erdbeben verursacht, indem sie den gewählten Mandatsträger abstraften und ihm eine krachende Niederlage bei einem Bürgerentscheid hier und Volksentscheid da einhandelten. Was dem Senat das Nein des Volkes zur Bebauung des Tempelhofer Feldes war, ist Heidelberg das Nein zur Erweiterung der historischen Kongresshalle.

Doch anders als in Berlin, wo die Entscheidung des Volkes gegen Neubauten am Tempelhofer Feld fast schon trotzig von der Bauverwaltung zur Kenntnis genommen wurde, folgte in Gemeinderat und Rathaus von Heidelberg auf den Schock die Charmeoffensive: Die Politiker umwarben die Aktivisten und banden die „Bürgerstiftung Heidelberg“ ein. Der Vorsitzende Steffen Sigmund vom Max-Weber-Institut für Soziologie an der Universität Heidelberg schrieb sogar mit an den „Leitlinien für mitgestaltende Bürgerbeteiligung“.

Wandel ist auch Verdienst der Bürger

Die sind nun in Kraft und führen zu jener engen Einbindung der Bürger in jeden Planungsschritt. „Im Prinzip haben sie sich bewährt“, sagt Sigmund, hier und da müsse noch „nachjustiert“ werden. Der Erfolg macht Mut im Rathaus: Stadel wagt nun sogar einen zweiten Anlauf für den Neubau eines Konferenzzentrums, das die Bürger vor Jahren gekippt hatten. Leitlinien zur Beteiligung gibt es nun sogar für die Suche des Standort, entwickelt von Sigmund und der Bürgerstiftung.

Wohl auch deshalb verlief eine Veranstaltung der „Internationalen Bauausstellung Heidelberg 2020“ zur „Macht der Bürger“ fast schon harmonisch. Sogar einer der Wortführer der Protestbewegung räumte bereitwillig ein, dass sich vieles zum Guten gewendet habe, erinnerte aber daran, „dass das mal anders war hier in der Stadt“ war – und der Wandel eben auch der Verdienst der Bürger sei.

Der Beitrag entstand im Rahmen einer von der Internationalen Bauausstellung Heidelberg finanzierten Reise.

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