Kevin Kühnert über Berliner Eckkneipen: „Vor dem Zapfhahn sind alle gleich“
Juso-Chef Kevin Kühnert (SPD) hat eine Aktion zur Kneipenrettung gestartet. Ein Gespräch über den richtigen Tresenplatz und sozialdemokratische Kneipenkultur.
Herr Kühnert, was ist Ihr Lieblingsplatz in der Kneipe?
An der Dartscheibe. Um neben dem Biertrinken noch etwas Sinnvolles zu machen.
Und ihre Stammkneipe?
„Nostalgie“ in Schöneberg. Da bin ich vor mehr als 12 Jahren mit meiner Handballmannschaft das erste Mal hingegangen. Das war die Zeit, in der man sich als junger Mensch seine eigenen Abende erobert hat. Der Laden hat sich seitdem nicht groß verändert. Weder die Gäste, noch die Getränke.
Man kennt seine Pappenheimer, kennt die Stammgäste, die alle ihre liebevollen Spitznamen bekommen. Man weiß gar nicht, wo diese Namen alle herkommen. Bei uns gibt es diesen Mann, der sich um 23 Uhr immer Bluesmusik wünscht – sehr laut. Der steht dann mitten in der Kneipe und fängt an zu tanzen, als wäre er alleine. Das ist unbezahlbar. Das sind Momente größtmöglicher Normalität, die ich sehr zu schätzen weiß. Das fühlt sich an, wie nach Hause kommen, und der Wirt weiß ungefragt, was ich trinke.
Was trinkt der Juso-Chef?
Schultheiß, aus so einer Handwerkergranate.
Klassisch sozialdemokratisch.
So ist das.
Welche Art von Eckkneipe wäre die SPD?
Es müsste eine sehr beständige und unverrückbare Kneipe sein. Vielleicht keine klassische Kneipe, sondern ein kleines Wirtshaus – so wie die „Kleine Markthalle“ oder „Die Henne“ in der Nähe vom Oranienplatz in Kreuzberg. Das sind Orte, die nicht jeden Trend mitgehen, aber über Generationen bei den Leuten gut ankommen.
[Behalten Sie den Überblick: Corona in Ihrem Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihren Bezirk. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de]
Deshalb lebt die Berliner Eckkneipe auch in Kiezen weiter, aus denen die klassische Klientel längst weggezogen ist. Viele wollen nicht immer in irgendwelchen Hochglanzläden sitzen.
Mit einigen Freunden haben Sie jetzt die Aktion „Kneipenretter“ gestartet. Worum geht es dabei?
Seit wenigen Tagen gibt es die Internetseite kneipenretter.berlin. Wer seiner Kneipe helfen will, kann dort für sie spenden. Die Abwicklung läuft über betterplace, das Geld geht also nicht an uns. Wir bieten an, dass sich Kneipen bei uns anmelden oder ihre Gäste das übernehmen. Wir werden natürlich verifizieren, dass es sich wirklich um Kneipen handelt und die Wirte einverstanden sind.
Über Clubs, Theater und Restaurants wurde in Berlin sehr viel geredet. Warum braucht es eine eigene Rettungskampagne für den Trinkladen am Straßeneck?
Im Gegensatz zu Clubs, Theater und Restaurants können Kneipen keine Alternativleistungen anbieten, mit der sie sichtbar bleiben. Clubs fangen an, ihre Sets im Internet zu streamen, Restaurants liefern nach Hause. Was soll eine Kneipe machen? Am Zapfhahn zu stehen und über Facebook live zu übertragen, ist für die Zuschauer maximal drei Minuten witzig. Was in den Eckkneipen angeboten wird, ist ja keine Kunst im klassischen Sinn.
Lebenskunst vielleicht?
Ja, ich würde es Alltagskunst nennen, aber auch die ist schwer zu verkaufen. „To go“ anbieten, geht auch schlecht. Kneipen haben außerdem ein anderes Publikum als die Lieblingsbar oder das Lieblingsrestaurant. Weniger zahlreich, weniger zahlungskräftig und oftmals schlechter vernetzt.
Die klassische Eckkneipe arbeitet meist komplett auf Kante genäht, die verfügen nicht über Rücklagen, ein großes Back Office oder eine eigene Facebookseite. Viele Betreiber wissen gar nicht, was es für Hilfsmöglichkeiten gibt. Die stehen deshalb auf verlorenen Posten. Für uns war klar, dass gerade eine Stadt wie Berlin jetzt helfen muss.
Was meinen sie mit „gerade eine Stadt wie Berlin“. Was ist das besondere hier?
Diese Eckkneipenkultur ist etwas ganz typisch Berlinerisches. Ich glaube, wer Menschen von außerhalb Berlin zeigen will, auch die Eigenheiten dieser Stadt, der sollte sie mit in eine Eckkneipe nehmen. Das fängt damit an, dass dort vor und hinter dem Tresen noch berlinert wird. Ich kenne keine Eckkneipe, in der gesiezt wird, alle duzen einander, weil eben alle gemütlich zusammensitzen.
Vor dem Zapfhahn sind eigentlich alle gleich, niemand fragt nach deiner Geburtsurkunde. Es entstehen Gespräche über die Tische hinweg, das würde in Restaurants nie passieren. Am Tresen kommen Menschen zusammen, die sich beim Edel-Italiener nicht über den Weg laufen. Nach der Zeit der Kontaktbeschränkungen werden wir solche Begegnungen aber mehr denn je brauchen.
Welche Top-Drei-Eckkneipensongs würde denn der DJ Kevin Kühnert jetzt gegen den Isolationsblues empfehlen?
Ich bin immer froh, wenn in Eckkneipen so eine Schlagerjukebox in der Ecke steht. Für mich gehört „Die kleine Kneipe“ auf jeden Fall mit rein, von Peter Alexander. Roland Kaiser gehört für mich und für viele Sozis (Anmerkung d. Red.: Kaiser ist SPD-Mitglied) sowieso dazu. Da würde ich „Es geht schon wieder los“ spielen.
Als Reminiszenz an diesen Bluesrocker in unserer Kneipe würde ich als Drittes noch irgendwas von Ian Andersons Band Jethro Tull auflegen, Locomotive Breath vielleicht.
Bitte den Satz ergänzen: Berlin ohne Eckkneipe wäre wie…
(überlegt)… wahrscheinlich … wie die SPD ohne Willy Brandt.
Zum Schluss noch ein paar Fragen an den Kneipengänger Kevin Kühnert. Wenn sie wählen müssten: Hertha- oder Union-Kneipe?
Weder noch. Ich bin ja bei Tennis Borussia unterwegs, aber die Mehrheit bei Kneipenretter sind Herthaner.
Mietendeckel oder Bierdeckel?
In der Reihenfolge. Erst den Mietendeckel beschließen, dann in der Kneipe feiern mit dem Bierdeckel.
Tresen oder Tischfußball?
Tischfußball.
Und welchen Politiker einer anderen Partei laden Sie auf ein Streitgespräch ein, wenn die Kneipen wieder öffnen?
Streitgespräch? Da muss ich in die Union gucken (lacht). Wahrscheinlich Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Da gäbe es nach der Coronavirus-Krise viel Redebedarf. Vielleicht erdet ihn so ein Besuch in der Eckkneipe nach den ganzen Wirtschaftsprogrammen für die Großindustrie auch ein bisschen.
Was geben Sie aus?
Mein Opa sagt, als neuer Gast soll man nehmen, was die Stammgäste trinken.