zum Hauptinhalt
In Berlin gilt „Dax“ mitunter als Schimpfwort – nicht als erstrebenswertes Ziel. Die Deutsche Wohnen hat es dennoch erreicht. Auf Demonstrationen, wie hier im Juni 2020, forderten Aktivisten die Enteignung des Konzerns.
© Imago

Rückblick aufs Börsenjahr der Firmen aus Berlin: Von ungeplanten Dax-Aufsteigern und Gemeinheiten für Kleinaktionäre

Von Axel Springer über Deutsche Wohnen und Delivery Hero bis Zalando: Der persönliche Rückblick auf das turbulente Börsenjahr der Berliner Unternehmen.

Mit der Übernahme des Traditionsunternehmens Schering durch Bayer im Jahr 2006 verschwand Berlin über viele Jahre aus dem wichtigsten deutschen Aktienindex Dax. Das war sicherlich auch ein Spiegelbild der wirtschaftlichen Lage der Hauptstadt. Die hat sich aber zunehmend verbessert. Insofern haben in diesem Jahr haben gleich zwei Berliner Unternehmen den Aufstieg in die erste Börsenbundesliga geschafft. Sie profitierten dabei auch von der Sondersituation der Pandemie.

So konnte die Deutsche Wohnen im Juni die Gunst der Stunde nutzen und die Nachfolge der Lufthansa antreten, die aus dem Dax geflogen war, weil ihr wegen Corona fast das komplette Geschäft weggebrochen ist. Leider steht der Senat mit dem Immobilienunternehmen auf Kriegsfuß, sodass die Glückwünsche von dieser Seite sehr verhalten ausfielen – vermutlich in Unkenntnis der Vorteile für Berlin. Natürlich ist es demokratisch völlig legitim, wenn der Senat politisch eine andere Meinung zur Geschäftspolitik eines Unternehmens hat.

Der Aufstieg in den Kreis der 30 größten börsennotierten Unternehmen des Landes stärkt aber doch die Unabhängigkeit der Aktiengesellschaft, die sich noch 2016 einem feindlichen Übernahmeversuch durch Vonovia ausgesetzt sah und diesen nur knapp abwehren konnte. Durch den Aufstieg dürfte ein erneuter Versuch derzeit eher unwahrscheinlich sein. Wäre die Deutsche Wohnen heute nur noch das Regionalbüro der Vonovia-Zentrale in Bochum, wäre es eher schlecht für die Stadt und es dürfte dem Land Berlin weniger Steuereinnahmen bringen. Ein bisschen mehr Freude auf der politischen Ebene, unabhängig von der politischen Bewertung, wäre deshalb angebracht gewesen.

Nur für einen Kurzbesuch im Dax?

Ende August gab es mit Delivery Hero sogar noch außerplanmäßig einen zweiten Dax-Aufsteiger aus Berlin. Der Platz war frei geworden nachdem sich endlich auch die Staatsanwaltschaft für den Betrugsskandal bei Wirecard interessierte. Die SdK Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger hatte vor mehr als zehn Jahren auf Unregelmäßigkeiten hingewiesen. Jetzt musste Wirecard die Insolvenz beantragen und die Deutsche Börse ihre Regeln anpassen. So stieg der Berliner Plattformbetreiber Delivery Hero auf, ein Unternehmen, bei dem Kunden in fast aller Welt ihr Essen bestellen – nur nicht in Deutschland. Delivery Hero hatte sein Deutschlandgeschäft im Dezember 2018 an die Konkurrenz verkauft.

[Der Autor Michael Kunert ist Sprecher der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK), die sich für die Interessen von Kleinanlegern einsetzt. Kunert ist langjähriger Experte für börsennotierte Unternehmen aus Berlin. ]

Bedauerlicherweise könnte es sich aber nur um eine kurze Verweildauer im Dax handeln, da die Deutsche Börse ihre Regeln geändert hat und den Leitindex sinnvollerweise endlich von 30 auf 40 Unternehmen aufstocken will. Gleichzeitig sollen aber auch nur noch profitable Gesellschaften im Dax vertreten sein. Da Delivery Hero aufgrund der hohen Investitionen, aber noch nicht profitabel arbeitet, droht schon im nächsten Jahr schon wieder der Rauswurf. Delivery muss also beweisen, dass das Geschäftsmodell trägt.

Auch Zalando klopft 2021 am Leitindex an

Von der Dax-Vergrößerung profitieren könnte dagegen Zalando. Der Onlinehändler hat seit seinem Börsengang 2014 trotz hoher Investitionen gezeigt, dass man profitabel arbeiten kann und zumindest kleine Gewinne erwirtschaftet. Auch Zalando hat natürlich massiv von der Corona Krise profitiert. Die Gesellschaft gilt deshalb als aussichtsreicher Kandidat für den Aufstieg im nächsten Jahr.

Weitere positive Entwicklungen haben in diesem Jahr auch der Spezialpharmahersteller Medios mit einem rasanten Wachstum in den letzten Jahren und Home 24 hingelegt, die beide Gesellschaften im Herbst in den S-Dax geführt haben. Medios hat dies sogar ganz ohne Corona-Effekt geschafft, während Home 24 nach dem kurzzeitigen Absturz nach dem Börsengang 2018 als Onlinemöbelhändler schon auch kräftig von der Pandemie profitiert hat.

Rockets Rückzug von der Börse brüskiert die Anleger

Neben den positiven Entwicklungen Berliner Unternehmen gab es leider auch zwei überregional bedeutsame Fälle, bei denen die Aktionäre von Großaktionären über's Ohr gehauen worden sind. Im Sommer kündigte Rocket Internet das befürchtete Delisting – den Rückzug von der Börse – an, über das schon im Vorjahr spekuliert worden war. Nach dem Emissionspreis von 42,50 Euro beim Börsengang 2014 nutzte Gründer, Vorstand und Großaktionär Samwer nach dem Kursverfall der vergangenen Jahre auch noch die Pandemie mit einem weiteren Kursrückgang aus, um den Aktionären nur noch einen Abfindungspreis von 18,57 Euro anbieten zu müssen. Dieser errechnet sich nämlich bei einem Delisting nur nach dem Durchschnittskurs der letzten sechs Monate und nicht nach dem eigentlichen Wert der Gesellschaft. Laut letzter Konzernbilanz lag der Wert der Aktie zumindest bei 28,94 Euro.

Dieser völlig fehlende Anlegerschutz ist schon seit Jahren bekannt. Aber nicht einmal nach diesem spektakulären Fall, gab es einen politischen Aufschrei. Die Bundesregierung schweigt.

Zwei Klassen für Aktionäre bei Axel Springer

Nicht viel besser für die Aktionäre lief der Fall beim Verlag Axel Springer SE. Nachdem es in vergangenen Jahr das freiwillige Übernahmeangebot des New Yorker Finanzinvestors und heutigen Großaktionärs KKR für 63 Euro gab, schloss sich Anfang des Jahres das gesetzliche Pflichtangebot für das angekündigte Delisting ebenfalls mit 63 Euro an. Damit wäre der Vorgang eigentlich erledigt gewesen. Bedauerlich für die Berliner Börsenlandschaft, aber kein Fall für den Anlegerschutz.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Krise live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können. ]

Zu dem wurde es aber im Sommer, als Springer die Hauptversammlung auf den November verschob, weil KKR ein Enteignungsverfahren ankündigte, um die letzten Kleinaktionäre loszuwerden. Noch im letzten Jahr hieß es ausdrücklich in der Angebotsunterlage, genau das nicht zu planen. Vorstand und Aufsichtsrat hatten dies positiv bewertet. Es wurde auch keine Notwendigkeit dafür gesehen, da alle Umstrukturierungen mit den restlichen Kleinaktionären an Bord umgesetzt werden können.

Michael Kunert, Sprecher der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger SdK für Berlin.
Michael Kunert, Sprecher der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger SdK für Berlin.
© Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger SdK

Da KKR nicht die gesetzlich notwendigen 95 Prozent der Aktien vom Springer Verlag hält, wurde mit den beiden anderen Großaktionären Friede Springer und Mathias Döpfner eine Aktienleihe nur für den Zweck des Enteignungsverfahrens für den Zeitraum bis zum Abschluss vereinbart. Danach werden Springer und Döpfner wieder eigenständige Aktionäre des Verlages sein und von den kommenden Wertsteigerungen profitieren können. Sie werden durch die Umgehung mit der Aktienleihe also besser gestellt als die Kleinaktionäre, die als Zwangsabfindung nur 60,24 Euro bekommen sollen.

Auf der virtuellen Hauptversammlung bei der mangels Nachfragemöglichkeit die Aktionärsdemokratie sowieso schon ausgehebelt ist, gab es auch keine Antworten auf die Fragen nach dem Sinneswandel zum Enteignungsverfahren.

Erwähnen möchte ich noch die coronabedingte Insolvenz der noch jungen börsennotierten Philion AG. Anders als bei Tui und Lufthansa ist die staatliche Rettung hier nicht zustande gekommen.

Michael Kunert

Zur Startseite