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Blau-Weiße Hertha, keiner trifft so schön wie du ... tausende Fans machen sich auf den Weg nach Hoffenheim.
© dpa

Abstiegskampf in der Fußball-Bundesliga: Von HSV bis Hertha: Diese Fans aus Berlin fiebern mit ihren Klubs

Familienplausch? Kaffee und Kuchen? Sorry, fällt an diesem Nachmittag aus. Denn ab 15.30 Uhr wird der letzte Bundesliga-Spieltag angepfiffen. Sechs Vereine können absteigen. Etliche Fans zittern im Berliner Exil mit.

Der Hertha-Fan: Nie wieder zweite Liga! Nie wieder Relegation! Wir haben es uns geschworen, mein Freund Jörg und ich. Am letzten Sonnabend im Berliner Olympiastadion, im P-Block, gleich neben der Ostkurve, in diesem Sch…spiel gegen Frankfurt. Dauerkartenplätze, immer zu viert, mit unseren Söhnen. Lang ist es her, dass wir die Jungs von der Hertha nach dem Spiel feiern konnten, haben die überhaupt schon mal gewonnen im eigenen Stadion? 2:0 gegen Paderborn, das ist sechs Wochen her. Ist ja kein Wunder, bei einem Team ohne Mittelfeld und mit Stürmern, die im Strafraum erblinden. Ich reg’ mich auf, bei jedem Spiel reg’ ich mich auf! „Papa, sei nicht so hart zu den Herthanern“, sagt Max.

Mein Sohn ist ein guter Mensch, er leidet freundlich. Wir leiden alle, jeder auf seine Weise. Auch meine Generation hat keinen Krieg mehr erlebt, aber zwei Mal den Abstieg in jüngerer Zeit. Jetzt bangen wir wieder, vor dem letzten Spiel auswärts, gegen Hoffenheim. Ich werde das Geschehen im Radio an der Ostsee verfolgen, Bundesligakonferenz – der Klassiker. Oh, sei uns gnädig, lieber Fußballgott, bewahre unsere Hertha vor dem 16. Platz. Das Desaster gegen Düsseldorf, vor drei Jahren in der Relegation. Der bittere Abstieg. Sandhausen kam ins Stadion und Erzgebirge Aue. Nein, nie wieder.

Es gibt stattdessen einen Traum, und der heißt Europa. Champions League, noch in diesem Leben? Wer weiß…Auf geht’s Hertha, kämpfen und siegen! Die Ostkurve bebt, was könnte schöner sein, alle zwei Wochen. Es war ja auch nicht alles schlecht. Und irgendwann werden 80 Prozent der Pässe ankommen, irgendwann wird Keeper Kraft den Ball abspielen, bevor die gegnerische Abwehr sich in aller Ruhe formieren kann. Irgendwann werden die Blau-Weißen wieder Punkte sammeln, und wir sind dabei. In der nächsten Saison, mit neuer Dauerkarte, den blau-weißen Schal um den Hals und einem Lied auf den Lippen: „Nur nach Hause geh’n wir nicht!“ Dann pfeift der Schiri endlich wieder an.

Neues Spiel, neues Fußballglück.

Der Autor Ulrich Zawatka-Gerlach hat zwei Leidenschaften: Er beobachtet gern Hertha BSC – und die Landespolitik für den Tagesspiegel.

Der Hannover-Fan: Das Niedersachsenstadion liegt in Kreuzkölln

Schönen Gruß aus dem Niedersachsenstadion: Hagen Nickelé, 47 Jahre (links) und Roland Schröder, 48 Jahre.
Schönen Gruß aus dem Niedersachsenstadion: Hagen Nickelé, 47 Jahre (links) und Roland Schröder, 48 Jahre.
© Tiemo Rink

Der Hannover-96-Fan: Zu wissen, wer man ist, muss auch nicht immer schön sein, hat aber einen Vorteil: Man weiß mit hoher Sicherheit, wer oder was man eben nicht ist. Wer oder was aber ist Hannover 96? Hannover ist ein Stino, sagt Hagen Nickelé, der es wissen muss, denn er ist da aufgewachsen. Jeanstyp, norddeutscher Stoiker. Natürlich kennt er die ganzen Witze über diese Stadt, wie fürchterlich normal das da alles sei, die Litanei vom Elend des Mittelmaßes, aber der Punkt ist: Mag alles stimmen, macht aber nix. Ich find’s in Hannover O.K., sagt Nickelé im „Niedersachsenstadion“, dem Vereinsheim in der Kreuzköllner Hobrechtstraße, und Fanclubkollege Roland Schröder nickt zustimmend.

Der eigentliche Witz dieser Saison geht anders: Als die Vereinsführung auf die Idee kam, Hannover zu einer Marke zu entwickeln, sagt Nickelé, mit Strahlkraft über die Region hinaus. Hannover eine Marke? Was für ein Unfug. Der Berliner Fanclub hat knapp 80 Mitglieder, sagen sie. Von denen kommen alle aus der Gegend um Hannover. So viel zum Thema Strahlkraft.

Trotzdem: Die Vereinsspitze mit großen Zielen, Europapokal undsoweiter. Teure Spieler geholt, am Anfang klappte es ganz gut, dann kam Pech, und irgendwann merkten sie, dass das nicht nur Pech, sondern Unvermögen ist. Jetzt: Abstiegskampf. „96 – alte Liebe“, nölt die Stadionhymne: Kein Rausch der frischen Verliebtheit, sondern eben alte Liebe. Grundsolide Angelegenheit. Nickelés Wunschtabelle vor der Saison: Hannover auf dem zehnten Platz. Einfach nur normal sein. Tiemo Rink

Der VfB-Stuttgart-Fan: Kehrwoche am S-Bahnring in Neukölln

Canstatter Kurve? Die befindet sich auch in Berlin. Diese Herren, leidenschaftliche Fans des VfB Stuttgart, von links nach rechts: Marko Andric (34Jahre), Florian Paulus (31 Jahre), Jens Bettin (47 Jahre)
Canstatter Kurve? Die befindet sich auch in Berlin. Diese Herren, leidenschaftliche Fans des VfB Stuttgart, von links nach rechts: Marko Andric (34Jahre), Florian Paulus (31 Jahre), Jens Bettin (47 Jahre)
© Tiemo Rink

Der VfB-Stuttgart-Fan: Die Ordnung der Dinge ist die Ordnung an sich. Das ist die Fanclubgründung der Berliner Stuttgart-Anhänger – am 7. November 2008: Nicht irgendwann im Winter vor ein paar Jahren. Sondern exakt an diesem Tag; alles Details, die man hier präsent hat. Ist die „Kernsanierung“, die laut Fanclubmitglied Marko Andric nötig war, um das Vereinslokal „Rössle“ am Neuköllner S-Bahnring herzurichten. Ist der Hinweis auf dem Frauenklo, dass Binden und Tampons nicht ins Klo gehören. Ist der Staubsauger im Nichtraucherraum, wo auch die frisch gewaschenen Geschirrtücher am Kleiderständer hängen. Sind die insgesamt 16 Menschen in fünf Teams, die hier für rund 170 Vereinsmitglieder im Wochenwechsel putzen und aufräumen. Und deren Fotos an einer Tür kleben, neben dem Schild mit der Aufschrift „Kehrwoche“. Nette Jungs. Wir machen das alles ehrenamtlich, sagen sie. Sagen sie mehrfach. Bis man’s begriffen hat und die Dinge ihre Ordnung haben.

Die Ordnung des VfB Stuttgart ist die „feste Achse“. Sowas braucht es, sagt Andric, damit eine Mannschaft Stabilität hat. Fehlt sie, geht alles schief. Oder fast jedenfalls, denn jetzt, endlich, ist sie da: die Achse. Das heißt: Eigentlich war sie schon vorher da, aber halt nicht fest genug. Leistungsschwankungen, Verletzungen, Durchhänger. Kurz vor Saisonschluss haben sie sich gefangen, die letzten zwei Spiele gewonnen, und deshalb steigen sie nicht ab, glauben Andric und seine Kollegen. Was heißt glauben? Sie wissen’s. Wenn die Ordnung stimmt, hat das Böse keine Chance. Tiemo Rink

Der Paderborn-Fan: Mit dem ICE ins Stadion

Aber am Samstag bitte mit Fanschal! Der CDU-Politiker Carsten Linnemann hat seit Jahren eine Dauerkarte für den SC Paderborn.
Aber am Samstag bitte mit Fanschal! Der CDU-Politiker Carsten Linnemann hat seit Jahren eine Dauerkarte für den SC Paderborn.
© Thorsten Schneider/promo

Der SC-Paderborn-Fan: Herr Linnemann hat eigentlich keine Zeit an diesem Freitag. Termine, Termine, Termine. Der Bundestag hat das Gesetz zur Tarifeinheit beschlossen, Linnemann ist Wirtschaftsexperte der CDU, er sitzt gerade im Flugzeug nach Düsseldorf und … „ach, es geht um den SC Paderborn?“, sagt die Frau im Berliner Bundestagsbüro, freudig überrascht. „Warten Sie mal.“ Und dann klingelt wenig später das Telefon: „Linnemann, Hallo!“

Der 37-jährige kommt aus Paderborn, da hat er seinen Wahlkreis, da spielt auch seine Leidenschaft: der SC Paderborn. Seit Jahren hat er eine Dauerkarte („natürlich gekauft“), seit Tagen fiebert er diesem letzten Spiel entgegen. Wer hätte denn gedacht, dass die Paderborner den Klassenerhalt erreichen können? Niemand. Carsten Linnemann wird heute ins Stadion gehen. „Wir haben keine Superstars, ein kleines Stadion, wir sind bescheiden, wir sind schuldenfrei – und wenn wir jetzt noch den Klassenerhalt schaffen, dann … dann wird vor dem Rathaus gefeiert.“

Linnemann fährt am Wochenende immer mit dem ICE in die Heimat, werktags arbeitet er im Bundesdorf, also in Mitte. Aber auch hier in Berlin gibt es viele Paderborner, „wir haben einen Stammtisch mit 40 Leuten“. Alle vier Wochen treffen sie sich, allerdings ohne Paderborner Pils, beim Italiener. Und dann reden sie – nicht über die CDU, nicht über Politik, „vor allem über den SCP". Aber sorry, jetzt muss er auflegen und sein Flugzeug verlassen, er muss wirklich zum Termin.
Zuhause liegt der SCP-Fanschal schon bereit. André Görke

Der Freiburg-Fan: Breisgau liegt in Berlin-Mitte

Bestens gelaunt und ganz entspannt vor dem letzten Spieltag: Markus Giesecke, 50 Jahre alt und Fan des SC Freiburg.
Bestens gelaunt und ganz entspannt vor dem letzten Spieltag: Markus Giesecke, 50 Jahre alt und Fan des SC Freiburg.
© Tiemo Rink

Der SC-Freiburg-Fan: An manchen Tagen ist der Weltgeist zu Späßen aufgelegt. Scheiß auf Überraschungen, denkt er sich dann, heut’ mach ich Klischeetag. Dann will man einen Freiburg-Fan in Berlin treffen und der Weltgeist schickt Markus Giesecke in einer Outdoorjacke vorbei. Und der ist exakt so, wie Freiburger dem Klischee nach zu sein haben: Nett, dem schönen Leben zugetan und unfassbar unaufgeregt. Freiburg ein Absteiger? Ja nun. Wenn’s denn passieren sollte, dann wäre das halt so. Ein bisschen viel Pech gehabt in der Saison, ansonsten aber alles nicht so überraschend. Die Freiburger Kunst bestehe ja ohnehin darin, über Jahre aus wenig viel zu machen, sagt Giesecke. Seine Mannschaft ist eh ein Zwei-Ligen-Verein, habe Volker Finke mal gesagt. Volker Finke: Einstiges Freiburg-Faktotum und 16-Jahre-Dauertrainer. Finke also: Freiburgs Leistungsspanne reiche vom 13.Platz in der ersten Liga bis zum fünften Platz in der zweiten. Vorm letzten Spieltag steht Freiburg auf dem 14. Platz, so gesehen wäre das also eine starke Saison bis jetzt? Das nun auch wieder nicht, sagt Giesecke. Sein Wohnort: Mitte. Sein Arbeitsplatz: Mitte. Seine Lieblingsfreiburgfußballkneipe – Mitte? Nee, aber fast: Mauerpark, bei „Tante Käthe“.

Das Freiburger Schicksal ist das des Ausbildungsverein. Wer gut ist, geht irgendwann weg. Vorbild für die Freiburger Entwicklung nach Gieseckes Ansicht: Vereine wie Mainz. So zu werden wie die, das wäre was. Immer noch klein, aber ein bisschen größer. Und ein bisschen stabiler. Aber immer noch beschaulich. Tiemo Rink

Der HSV-Fan: Halligalli in Prenzlauer Berg

Nur der HSV! Alexander Heddrich, 42 Jahre alt, leidet mit seinen Hamburgern.
Nur der HSV! Alexander Heddrich, 42 Jahre alt, leidet mit seinen Hamburgern.
© Tiemo Rink

Der Hamburger-SV-Fan: Das ist kein Spaß mehr. Immer diese Geschichten: HSV, der Dino der Liga, nie abgestiegen, die scheinbar ewig tickende Uhr im Stadion, die die Ligazugehörigkeit anzeigt. Das provoziert Neider. Und aber auch diese Geschichten: seit Jahren mit Problemen, lächerliche 27 Punkte in der letzten Saison und trotzdem immer noch dabei. Und jetzt wieder tief im Keller. Was ist da schiefgelaufen?

Schwer zu sagen, findet Alexander Heddrich vom Berliner HSV-Fanklub, der sich im „Hally Gally 2.0“ trifft, in der Prenzlauer Allee. Über 30 Millionen gab der Verein für Spieler aus, eigentlich dürfte eine solche Mannschaft nicht so weit unten stehen. Tut sie aber doch, hat mit Bruno Labbadia momentan den vierten Trainer. Vier Trainer in einer Saison könnte man als Panik verstehen, aber was soll man sonst auch machen?
Gilt auch für Alexander Heddrich. Ein gebürtiger Hesse, als Fünfjähriger im Zelturlaub an der Ostsee gewesen. 1979 war das, da spielten sie die Hymne des HSV, gerade Meister geworden. Erst fand er das Lied gut, dann den Verein und das reicht oft schon: So was bleibt. 50 Mitglieder hat der Berliner Fanklub, Hamburger und Leute aus anderen Regionen. Viele Fans seit den Zeiten, in denen der HSV eine große Nummer war. In den Achtzigern.

Wir waren schon letztes Jahr zu doof für den Abstieg, sagt Heddrich, das wird auch diesmal so sein. Über Dinosaurier wird gesagt, dass sie kleine Gehirne hatten. Macht nichts. Ihr Ende kam mit einem Meteoriteneinschlag. Heute kommt Schalke nach Hamburg. Meteorit oder Weltraumschrott? Tiemo Rink

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