Fahrradmuseum in Spandau: Von der Draisine zum Rennrad
Ein privates Radmuseum in Spandau zeigt Vergangenheit auf zwei Reifen. Aus ganz Europa kommen Besucher, um sich die gezeigten Kuriositäten anzuschauen.
Am 12. Juni 1817 besteigt ein vornehm aussehender Herr vor seinem Haus in Mannheim ein kurioses Gerät aus Holz. Es hat zwei Räder, einen Lenker und eine gepolsterte Sitzfläche. Unter den staunenden Blicken der Passanten beginnt der stadtbekannte Erfinder und Forstmeister sich auf dem Laufrad mit den metallbeschlagenen Holzrädern fortzubewegen. Mit rund 15 Kilometern pro Stunde rumpelt Karl Freiherr von Drais auf seinem Gefährt an diesem Tag zum sieben Kilometer entfernten Schwetzinger Relaishaus und wieder zurück.
Vermutlich war es dem badischen Forstmeister nicht bewusst, doch mit der Draisine, die als günstiger Pferdeersatz gedacht war, schreibt er an diesem Tag Technikgeschichte: Das erste Zweirad der Welt hatte seine „Jungfernfahrt“ erfolgreich absolviert.
"Ulis Radladen"
200 Jahre später: Im großen Jubiläumsjahr des Fahrrads steht Ulrich „Uli“ Feick in seinem kleinen Privatmuseum und zeigt seinen Besuchern, was seit Drais’ ersten Radelversuchen alles passiert ist: „Hier dokumentiere ich die gesamte Entwicklung des Fahrrads“, sagt der 57-Jährige mit der Zimmermannsweste und dem großen Schnurrbart. Seit 1983 betreibt er in Spandau „Ulis Radladen“.
Auf den etwa 65 Quadratmetern des Ausstellungsraums, der sich gleich neben der Werkstatt befindet, sind beinahe alle Evolutionsschritte zu sehen, die das Rad seit Drais’ Erfindung durchlaufen hat. Auch ein Nachbau der Original-Draisine hängt hier an der Wand. Feick hat ihn als Dauerleihgabe von einer Neuköllner Holzwerkstatt bekommen. „Es ist leider nur ein Modell, also nicht fahrtüchtig.“
Gleich unter der Draisine steht ein Veloziped von 1869 mit Pedalen am Vorderrad, Feicks ältestes Originalexemplar. Und so läuft man weiter durch die Geschichte des Fahrrads, vorbei an stählernen Hochrädern aus den 1880er Jahren, an einem Holzrad von 1928 und Rennrädern aus den 60er Jahren. Vielen Ausstellungsobjekten sieht man ihr Alter an, der Lack ist abgeblättert, rostige Stellen sind zu sehen. „Ich mag Räder mit Patina“, sagt Feick.
Die Sammlung umfasst etwa 200 Räder
Schaut man genauer hin, kann man auch die technische Entwicklung der Fahrradbeleuchtung nachvollziehen: An einigen älteren Rädern hängen große Metallgefäße, in denen sich zuerst Kerzen, dann Petroleum- und später Karbidlampen befanden. In einer Glasvitrine lagern alte Bronzeklingeln, metallene Flickzeugboxen, Werbeanzeigen und die ersten Dynamos. Dazwischen liegen alte Postkarten und Fotos, von denen Feick rund 3500 gesammelt hat, darunter Kuriositäten wie Erotik-Postkarten aus der Vorkriegszeit mit nackten Frauen auf Rädern.
Kurios ist auch so mancher Drahtesel im Museum, etwa ein dänisches Sesselrad mit extrem langen, nach hinten gebogenen Lenkern aus den 30er Jahren, oder ein Trethebelrad von 1950 mit zwei Ketten – jeweils eine pro Pedal. An den Hinterreifen einiger Räder ist ein gestricktes Netz gespannt – „ein Schutz bei Damenrädern, damit der Rock nicht in die Speichen geriet.“
Feicks Sammelleidenschaft begann vor 35 Jahren, als Freunde ihm einen alten Tandem-Rahmen von 1899 verkauften, den sie in ihrem Keller entdeckt hatten. „Ich habe überall Ersatzteile dafür gesucht, aber nirgends gefunden“, erinnert er sich. Erfolg hatte er erst, als er mit Sammlern in Kontakt kam.
Der Virus hatte ihn: Fortan hielt Feick überall Ausschau nach Oldtimern, auf der Straße, in Containern, auf Trödelmärkten. „Irgendwann waren der Keller und der Flur meiner Wohnung voll“, sagt Feick. Heute umfasst seine Sammlung etwa 200 Räder, rund 40 davon stellt er seit 2008 in seinem kleinen Museum aus. Die anderen Modelle stehen noch immer in seiner Wohnung und im Keller.
Lieber radeln statt Autofahren
Ulrich Feick ist Fahrrad-Fan aus Überzeugung: Bis heute besitzt er weder Auto noch Führerschein. Außer bei Glatteis radelt er bei jedem Wetter. „Es ist mein Hauptfortbewegungsmittel, mein Hobby, mein Beruf, mein Sportgerät – mein Ein und Alles.“ Rund 200 bis 300 Kilometer legt er jedes Jahr auch auf seinen Oldtimer-Rädern zurück. Das Fahrrad, sagt er, sei für ihn eine der besten Erfindungen der Menschheit, auch weil es das energieeffizienteste Fortbewegungsmittel überhaupt ist. Und selbst das Automobil, das ursprünglich auf Fahrradtechnik basierte, sei ohne Drais’ Erfindung nicht vorstellbar gewesen.
Seit Feick zwölf Jahre alt ist, bastelt er an Fahrrädern herum. „Mein Vater war Handwerker, von ihm habe ich Werkzeug bekommen“, sagt er. „Seinen alten Tellernippelspanner habe ich immer noch.“ Feick begann eine Zimmermanns-Lehre, das Aufbauen und Reparieren von Rädern blieb zunächst ein Hobby. Doch Ende der 70er Jahre lernte er Erich Polauke kennen, der das Geschäft „Radsport Polauke“ in Charlottenburg betrieb: ein alter Rennfahrer, der im Krieg eine Hand verloren hatte. Trotz dieser Einschränkung baute er Rahmen auf, brauchte aber stets Hilfe durch einen Mitarbeiter.
Als dieser eines Tages nicht da war und Feick gerade im Laden stand, fragte Polauke ihn: „Können Sie mir mal kurz helfen?“ Er konnte – und blieb. Bald arbeitete er halbtags im Laden und lernte das Rad-Handwerk von der Pike auf: „Es war wie eine Vater-Sohn-Beziehung, ich habe alles von ihm gelernt“, sagt Feick. Vor allem gab Polauke sein Wissen über alte Fahrräder an Feick weiter.
Ein Profi der historischen Fahrräder
Mit der Zeit verfügte Feick auch privat über ein Arsenal an Werkzeugen, Freunde brachten immer wieder ihre kaputten Räder zu ihm nach Hause. „Da kam mir die Idee: Warum mache ich mein Hobby nicht einfach zum Beruf?“ Es passte ohnehin in die Zeit. In den 70er Jahren hatte das Radfahren durch die Ölkrise neuen Aufschwung bekommen, die Grünen waren 1983 in den Bundestag eingezogen, die Umweltbewegung wuchs und überall in der Stadt machten selbstverwaltete Radläden auf. Und auch Feick eröffnete 1983 sein Geschäft. Heute ist es der älteste Fahrradladen in Spandau mit drei Generationen von Stammkunden.
Alle Berliner Radläden kennen Uli und jeder, der nach einem Experten für historische Fahrräder sucht, wird zu ihm geschickt. „Es kommen oft Leute, die ein altes Fahrrad von Opa geerbt haben und das wieder fit machen wollen“, sagt Feick, der nicht nur über die Expertise verfügt, sondern auch über das Spezialwerkzeug, das man für historische Fahrräder benötigt. In 80 Prozent der Fälle könne er helfen, kennt Händler oder Sammler mit speziellen Ersatzteilen.
„Sachen wie Vollgummibereifung für ein Hochrad kann ich dir besorgen“, sagt Feick. „Einmal hatte ich einen Kunden, der schon seit Jahren nach einer bestimmten Glockenlager-Welle gesucht hat. Ein Bekannter von mir hatte kurz zuvor seine eigene Radsammlung aufgelöst und da war diese Welle mit dabei.“ Seine Kunden kommen heute aus ganz Europa und seine Räder verleiht er auch schon mal für Drehs, etwa ein altes Damenrad, ein Original von 1907, das durch eine Szene von Michael Hanekes Film „Das weiße Band“ rollte: Der Lehrer borgt es sich aus, um zu seiner Geliebten zu radeln.
Das Fahrrad feiert Jubiläum
In Berlin ist Ulis Museumsladen einzigartig, es gibt nur eine Adresse, wo es noch mehr historische Fahrräder gibt: das Deutsche Technikmuseum am Gleisdreieck. Rund 370 Räder lagern dort, ausgestellt werden jedoch nur ganze acht Exponate. Feick will mit seinen Sammlerkollegen die Erfindung des Fahrrads in diesem Jahr jedenfalls feiern: Vom 5. bis 9. Juli wird der Verein Historische Fahrräder Berlin e.V. im Spandauer Paul-Schneider-Haus eine Ausstellung zeigen, die sich der Geschichte des Fahrrads widmet: Mindestens 30 historische Gefährte sollen dort zu sehen sein – viele davon aus Feicks Sammlung.
Der Museumsladen in der Jagowstraße 28 hat von März bis Oktober täglich von 10 bis 18.30 Uhr geöffnet, am Sonnabend von 10 bis 14 Uhr. Weitere Infos auch unter: www.historische-fahrraeder-berlin.de