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Rocker am Ring? Zumindest ein Exot am Großen Stern.
© dpa

Fahrrad-Sternfahrt und Umweltfestival in Berlin: Radeln bis zum Regen

Bei der jährlichen Fahrrad-Demo treffen viele Normale auf ein paar Verrückte. Am Ende gibt’s Gestricktes – und alles wird nass.

Um kurz vor drei am Sonntagnachmittag war die Sternfahrt auch für Seesterne geeignet: Die Wolke, die seit mindestens einer Stunde über der City hing und dabei ständig dicker und dunkler geworden war, erleichterte sich in einem warmen, prasselnden Monsunregen über dem Tiergarten und den Tausenden, die über das Umweltfestival am Brandenburger Tor bummelten oder noch auf dem Weg dorthin waren.

So wie Dietmar aus Adlershof, dessen Fahrradreifen eine besonders schöne Wasserfahne hochzogen. Dietmar, der in der Zeitung „Schmidti“ genannt werden will, damit ihn die Gleichgesinnten im Forum leichter googeln können, fährt nämlich ein Fatbike. Das ist eine Art Mountainbike, aber mit oberschenkeldicken Reifen, deren Stollen auf dem Asphalt wie ein Unimog klingen. „Man kann Rennradfahrer zermürben mit diesem Geräusch“, sagt er, und dass er heute mal auf 0,8 Bar aufgepumpt habe. Wenn er sonst am Strand – „da muss man aufpassen wegen der Muschelsucher“ – oder auf dem Schotter stillgelegter Bahngleise radelt, fährt er eher mit nullkommadrei.

Die Polizei schätzt gut 20.000 Teilnehmer, der ADFC 140.000

Mit seinem Gefährt ist Schmidti einer der wenigen Verrückten unter den vielen Normalen bei der Sternfahrt. Wie viele, gehört zu den letzten großen Geheimnissen in Berlin: Die vom Veranstalter ADFC vor Jahren kolportierte Viertelmillion war sicher zu hoch gegriffen, die von der Polizei auch in diesem Jahr wieder genannten reichlich 20 000 scheinen zu wenig und werden auch von unparteiischen Beobachtern immer wieder angezweifelt. ADFC-Sprecher Nikolas Linck sprach – auch auf Basis von Meldungen der Ordner entlang der Routen – von rund 140 000, was zum 40-jährigen Jubiläum der Sternfahrt ein schöner Erfolg sei. „Als die Ersten auf dem Umweltfestival ankamen, waren die Letzten noch nicht mal auf der Autobahn.“

Brummer. Fatbikes sind bisher selten - und auf der Sternfahrt ein echter Blickfang.
Brummer. Fatbikes sind bisher selten - und auf der Sternfahrt ein echter Blickfang.
© Stefan Jacobs

Die Autobahn macht für viele Teilnehmer den größten Reiz der Demo aus, die bessere Bedingungen für den Radverkehr fordert: Einmal im Jahr auf drei Spuren allerfeinstem Asphalt – das lässt die Leute lächeln, sofern sie nicht als Autofahrer vor den Ordnern oder Polizisten an den Querstraßen feststecken.

Die Beamten vollbringen bei der Sternfahrt ihre eigene sportliche Leistung, indem sie die Querstraßen meist erst in letzter Sekunde sperren: Damit der Kollege im VW an der Spitze der Route konstant mit Tempo 15 vor den Radlern herrollen kann, rasen andere mit Streifenwagen und Motorrädern jeweils von Kreuzung zu Kreuzung, um den Querverkehr aufzuhalten, bis der Pulk übernimmt.

Unterschriftensammlung im Stau

Die meisten Routen treffen sich am Dreieck Neukölln vor der Autobahneinfahrt, die die Polizei immer erst freigibt, wenn alle da sind. Also muss gewartet werden, aber im Stau wird es nicht langweilig: Am Rand steht eine Art Papamobil-Rad, auf dem in der Kanzel allerdings kein Heiliger Vater, sondern ein eiliger Jünger am DJ-Mischpult samt beachtlichem Verstärker sitzt. Und durch den Uffta-Uffta-Stau streunen Menschen mit roten T-Shirts, die Unterschriften für den Fahrrad-Volksentscheid sammeln. Ein besseres Terrain als an diesem Tag an diesem Ort können sie nicht finden.

Weitere Sammler warten auf dem Umweltfestival, an dessen Ständen sich ökologischer Mainstream mit Spezialthemen abwechselt: Berliner Forsten gegenüber von mongolischem Brei, Uckermärker Ochse am Spieß neben heilenden Steinen, Bundesamt für Strahlenschutz nahe Indianersympathisantenstand, Wasserbetriebe neben Biobier, Anti-TTIP-Flyer neben BSR-Tonnenquiz, dazu viel Gestricktes. In die Wolle bekommt sich hier niemand – aber am Ende ist die Wolle nass.

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