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Flügellahm im Spreepark. Mit diesem Vogel ist schon lange niemand mehr gegondelt.
© Mike Wolff

Berlin-Bücher: Vom Kulturpark zum Lost Place - der Plänterwald in Berlin

DDR, Drogen, Dinosaurier: Ein Buch erzählt die Geschichte des Rummels im Plänterwald

Eines Tages in den sechziger Jahren hatte die Obrigkeit das Gefühl, dass da was fehlt im Staate DDR. In Moskau gab es so etwas, im Westen auch. Die lange Geschichte von Brot und Spielen fiel den Leuten ein, Brot gab es genügend in Dritteldeutschland, aber Spiele? Große Spiele? Vergnügungen? Da saßen die deutschen demokratischen Republikaner regelrecht auf dem Trockenen, jedenfalls in der eigenen Hauptstadt. Und damit dies nicht so bliebe, sollte dem Volk ein Geschenk gemacht werden – zum 20. Jahrestag der DDR anno 1969. In nicht einmal sieben Monaten wurde am Spreebogen Plänterwald im Bezirk Treptow der „Kulturpark Berlin“ aus dem Boden gestampft.

Das Prestigeobjekt sollte allen Gästen auf fast 24 Hektar zeigen, wie hübsch lebenswert der Sozialismus ist. Der Bau des deutschen demokratischen Luna-Parks kostete etwa 160 Millionen Mark der DDR, etwa 20 Millionen D-Mark kamen dazu. Denn ein großer Teil der Fahrgeschäfte wurde im Westen bei traditionellen Herstellern gekauft, aber an manchen Stellen frisiert und umfunktioniert. So wurde aus „Astrojet“ das „Kosmodrom“, aus der „Autopiste Carrera“ der „Berliner Ring“, aus „Bayern-Kurve“ die „Bob-Bahn“, aus „High Sliding“ ein „Wellenreiter“, aus dem Karussell „Nasa“ der „Sputnik“ und aus „Thunderbird“ eine „Kosmosgondel“.

Alle Räder stehen still - jedenfalls im Spreepark.
Alle Räder stehen still - jedenfalls im Spreepark.
© Kitty Kleist-Heinrich

All dies – und dass der Eintritt eine Mark plus fünf Pfennige kostete – erzählt uns das Buch „Rummel im Plänterwald“. Die drei Autoren Christopher Flade, Ludwig Neumann und Sacha Szabo erzählen auf 275 Seiten kenntnisreich, spannend und mit liebevoller Anteilnahme am seltsamen Schicksal des Rummelareals vom Kulturpark über den Spreepark bis zum „Lost Place“, dem heutigen Zustand des Zerfalls und einer eventuellen Neugeburt des Geländes rund um das weithin sichtbare, 45 Meter hohe, Riesenrad. Das gaukelt uns von weitem vor, es sei alles in Ordnung. Wer genauer hinsieht, der merkt, dass sich das Ding nicht mehr dreht. Stillstand und „Bonjour tristesse“, wo die Gondeln Trauer tragen. Schade in einer Welt, die neben dem Brot auch Spiele nötig hat und diese ständig im Spaß-Laboratorium Berlin ausprobiert – auch als Konkurrenz zum Dauerbrenner Fernsehen: Was ist schon der allabendliche Kreischgesang im MDR-Programm gegen eine ungebremste Sause in den Sitzen einer Berg- und Talbahn, so sie denn fahren sollte?

Übrigens erzählen die Autoren, dass sich bei einer entsprechenden Windrichtung das Riesenrad wirklich drehen kann. Unter den Schwarzfahrern war einmal eine 90-jährige Berlinerin, die dem Sicherheitspersonal auf die Frage, was sie in dem geschlossenen Park im kaputten Riesenrad treibe, antwortete: „Wat denn? Ick wollte nur noch mal mit dem Riesenrad fahrn – wie früher.“ Im Buch illustrieren Farbfotos das einstige Juchhei der Vergnügungsstätte, aber mehr noch deren traurigen Zerfall. Bizarre Szenen aus dem Dschungel, stillgelegte Urtiere aus grauer Vorzeit, überwuchert vom Grün der Natur, die sich ihre Vergangenheit zurückerobert. Jedes Bild eine kleine Anklage gegen das Versagen mehrerer Nachwende-Behörden, die mit diesem komischen Erbe eines verstummten Staates nichts Rechtes anzufangen wussten.
Hier kommt die private Initiative der Schausteller-Familie Witte ins Spiel, aber dies ist eine Extra-Geschichte, die für den „letzten Cowboy der Nation“ Norbert Witte im fernen Peru im Knast endete. Schon 2005 forderten die Grünen den Senat auf, ein Konzept zur Renaturierung des Spreeparks auszuarbeiten. Neun Jahre später wird das Gelände dem Land Berlin übergeben. Seit 2016 behandelt Grün Berlin das Projekt. Es sollen Kunst, Kultur und Natur überraschende Verbindungen eingehen, mit „touristischer Strahlkraft“, und „kulturaffin“. Da fragt sich der Leser: Aber wo bleibt da der Rummel?

Christopher Flade/Ludwig Neumann/Sacha Szabo: Rummel im Plänterwald. Kulturpark – Spreepark – Lost Place. Büchner-Verlag, Marburg. 285 Seiten, zahlreiche Fotos, 34 Euro

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