Unterwegs in Berlins Ortsteilen: Plänterwald: Wo die Saurier trauriger sind
96 Ortsteile hat die Stadt. Unser Kolumnist bereist sie alle – von A wie Adlershof bis Z wie Zehlendorf. Mühling kommt rum, Folge 68: Plänterwald.
Plänterwalds berühmteste Sehenswürdigkeit liegt auf dem Rücken und bleckt ihre Kunststoffzähne in den Berliner Himmel. Sprayer haben ihren Bauch mit Tags verziert, aber was genau da steht, kann man aus der Ferne nicht lesen, ein hoher Zaun versperrt den Zugang. Wer vorbeiläuft, bleibt unwillkürlich stehen und starrt durch die Maschen. Tatsächlich – da liegt der letzte Dinosaurier der DDR.
Bekannt ist das Ding inzwischen offenbar im ganzen wiedervereinigten Deutschland. Am Rand des verwilderten Spreeparks kam ich mit zwei schwäbischen Rentnern ins Gespräch, die vergeblich versuchten, ihre Teleobjektive durch die Zaunmaschen zu quetschen. „Die Toura sen scho Monade im voraus ausbucht“, klagten die beiden. „Mir hen ogrufa, aber koi Schongs.“
Am vergitterten Haupteingang waren ein paar Bauarbeiter dabei, einen Pavillon aufzustellen, der demnächst über den untergegangenen Vergnügungspark informieren soll. Einer von ihnen, ein Bär von einem Mann, erzählte mir mit überraschend furchtsamer Stimme, dass der Wind manchmal das alte Riesenrad in Bewegung setze, das Quietschen schrille dann durch den ganzen Park, sehr unheimlich sei das.
"Friedvoll, naturverbunden ... suchen Wohnung mit friedvollen Nachbarn"
Plänterwald ist ein seltsam zersplitterter Ortsteil. Rund um die Trasse der S-Bahn dominieren Kleingärten und Garagenzeilen. Im Nordwestzipfel, am Rand des Treptower Parks, stehen Altbauten mit verwinkelten Höfen, in denen sich alternative Wohnprojekte niedergelassen haben – ein Zettel an einer Laterne schien mir den Geist des Kiezes gut zusammenzufassen: „Wir, 40 Jahre jung, friedvoll und naturverbunden, suchen eine Wohnung mit friedvollen Nachbarn ... Herzlichen Dank und friedvolle Grüße! P. S.: Den Aushang entfernen wir der Umwelt zuliebe, sobald wir fündig geworden sind.“
Ansonsten besteht Plänterwald vor allem aus vierstöckigen DDR-Plattenbauten vom Typ Q3A, deren Bewohner hier in den 50er Jahren ein- und bis heute nicht ausgezogen sind, wie mir die Wirtin des Lokals „Jawoll!“ in der Galileistraße erzählte. Nicht jeder habe zu DDR-Zeiten so nah an der Mauer leben dürfen, die Wohnungen wurden an verlässliche Bürger vergeben: Verwaltungsmitarbeiter, Lehrer, Journalisten, heute verrentet, aber nach wie vor prägend für den Ortsteil.
Die Wirtin selbst war in Eberswalde aufgewachsen, aber sie erinnerte sich gut an Schulausflüge in den Spreepark. Mit der S-Bahn waren die Klassen damals nach Plänterwald gefahren, und wenn die Schüler dort ausstiegen, konnten sie vom Hochgleis über die Mauer hinweg auf Neukölln herabsehen, bevor der Lehrer sie weiterscheuchte. „Eine völlig fremde Welt“, erinnerte sich die Wirtin. „Ich war sicher, dass ich da niemals hinkommen würde.“
Der Traum der Mädchen: Ein Prinz in der Geisterbahn
Vertrauter war ihr die Spreeparkwelt mit ihren damals noch aufrecht stehenden Sauriern, dem Riesenrad, der Achterbahn, dem Autoscooter. Besonders im Gedächtnis geblieben war der Wirtin die Geisterbahn. „Jedes Mädchen“, erzählte sie, „träumte davon, einmal mit einem Prinzen da durchzufahren, der schützend den Arm um sie legt.“
Ich glaube, wenn mir das nächste Mal jemand erzählt, dass in der DDR nicht alles schlecht war, werde ich sofort eine Geisterbahn voller knutschender Teenager vor Augen haben.
Fläche: 3,01 km² (Platz 85 von 96)
Einwohner: 11.034 (Platz 74 von 96)
Durchschnittsalter: 45,8 (ganz Berlin: 42,7)
Lokalpromis: Norbert Witte (Schausteller), Beate Laudzim (Gastronomin)
Gefühlte Mitte: Lokal „Jawoll!“
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