DGB-Studie: Viele Arbeitnehmer in Berlin haben mehr Geld, aber auch mehr Stress
Arbeitnehmer hatten vom Aufschwung der vergangenen Jahre finanziell profitiert. Die Pandemie erzeugt aber neuen Druck, heißt es in einer neuen Studie.
Erst gab es nur Bild, aber keinen Ton. Irgendwann konnte man die Arbeitsmarktforscherin hören – aber leider nicht mehr sehen: Die Vorstellung der Studie „Gute Arbeit in Berlin“ im Rahmen einer virtuellen Pressekonferenz am Montag war von technischen Problemen begleitet. So haben Alexandra Wagner vom Forschungsteam Internationaler Arbeitsmarkt (FIA) und ihre Auftraggeber unfreiwillig – aber doch recht plastisch – illustriert, wo die größten Probleme der von der Pandemie bestimmten Arbeitswelt liegen.
Das „mobile Arbeiten“ steckt voller Chancen wie Tücken. Es ermöglicht ein Arbeiten ohne Ansteckungsgefahr, bietet mitunter auch mehr Flexibilität bei der Vereinbarkeit von Privatleben, Familie und Beruf. Es leistet aber einer Entgrenzung der Arbeit Vorschub, die mehr Stress verursacht – zusätzlich zum Ärger mit Computertechnik, den viele im Homeoffice und unterwegs ertragen müssen.
Bereits seit 2007 gibt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) regelmäßig die bundesweite Arbeitnehmerbefragung „DGB-Index Gute Arbeit“ in Auftrag. Für 2018 und 2020 liegen Ergebnisse vor, die auch repräsentativ sind für die Stimmungslage in der lokalen Berliner Arbeitnehmerschaft.
Sie basieren auf den Angaben von mehr als 1000 Personen zwischen 14 und 64 Jahren, die in Berlin wohnen und hier mindestens neun Stunden pro Woche arbeiten. Die Daten wurden zu Beginn der Pandemie – zwischen Januar und Mai 2020 – erhoben. Sie liefern also kein aktuelles Stimmungsbild, ermöglichen der Forschung aber, „tiefergehende Zusammenhänge darzustellen“, wie Forscherin Wagner für die Methodik warb.
Mehr Zufriedenheit in neun von elf Kriterien
Betrachtet man die Entwicklung also längerfristig, lässt sich feststellen, dass der seit fast zehn Jahren anhaltende Aufschwung in der Berliner Wirtschaft ebenso bei vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Stadt angekommen ist – auch finanziell: So gaben 66 Prozent der Befragten Anfang 2020 an, vom eigenen Einkommen „gut“ oder sogar „sehr gut leben“ zu können. Bei der Befragung zwei Jahre zuvor hatten dies nur 59 Prozent der Personen behauptet.
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In neun von insgesamt elf Umfragekriterien verbesserten sich die Berliner Werte, wobei sie bei einigen Punkten weiter auf einem sehr niedrigen Niveau liegen – bei Fragen rund um Höhe des Einkommens und der zu erwartenden Rente zum Beispiel wurden insgesamt nur 52 Indexpunkte erreicht. Alles unter 50 bezeichnet das Institut als „schlechte Qualität“, alle Werten von 80 bis 100 deute auf eine hohe Zufriedenheit hin.
77 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass ihre zu erwartenden Rente gar nicht oder nur gerade ausreichen werde, den Lebensstand zu halten. Und 74 Prozent der Personen in dieser unzufriedenen Gruppe fühlen sich durch das niedrige Gehalt stark oder eher stark psychisch belastet. Niedriglohn demotiviert und stresst.
Verschlechterungen stellte das Institut im Hinblick auf die körperlichen Anforderungen und Arbeitsintensität fest. 58 Prozent der Berlinerinnen und Berliner arbeiten demnach häufig gehetzt und unter Zeitdruck.
Hinzu komme, dass ein Drittel der Beschäftigten sich oft beziehungsweise häufig genötigt sähen, ihre Erholungspausen zu verkürzen oder ganz ausfallen zu lassen. „Dies spricht dafür, dass die Arbeitsmenge in der vorhandenen Arbeitszeit immer weniger zu schaffen ist“, heißt es in der Studie. Beim Kriterium Arbeitszeit sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Berlin signifikant unzufriedener als im bundesweiten Durchschnitt. Insofern bestätigt die Studie auch andere Untersuchungen zum Stressniveau in der größten deutschen Stadt.
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Die Umfrage-Ergebnisse zum Homeoffice reflektieren nicht die aktuelle Lage. Damals, vor einem Jahr, gaben lediglich 36 Prozent der Personen an „mobil“ zu arbeiten, also im Homeoffice oder bei Kunden. Heute liegt der Anteil deutlich höher. Auch das Ergebnis, dass mehr als die Hälfte der Befragten keine Kenntnis von betriebsinternen Regelungen zum mobilen Arbeiten hatte, dürfte sich mittlerweile geändert haben.
Aufschlussreicher sind die Ergebnisse der Studie eher mit Blick auf die grundsätzlichen Einstellungen zur Arbeit in der eigenen Wohnung. Hier gaben Frauen meist die Vereinbarkeit mit dem Privatleben als wichtigsten Grund für das Homeoffice an, Männer schätzten mehrheitlich eher den Wegfall der Fahrzeit. Wegen der Art der Tätigkeit und der sozialen Kontakte sprach sich insgesamt eine Mehrheit – 60 Prozent – der Befragten gegen Arbeit zu Hause aus.
Insgesamt erreichte die Qualität der Arbeitswelt in Berlin in dem DGB-Index einen Wert von 63 von 100 Punkten. Das war ein Punkt mehr als 2018. Berlins Arbeitssenatorin Elke Breitenbach (Linke) erklärte gleichwohl, die Studie mache deutlich, „dass die Arbeitsbedingungen für viele Berlinerinnen und Berliner schwieriger geworden sind.“ Die Pandemie mache die Verwerfungen der vergangenen Jahrzehnte noch deutlicher. „Eine armutsfeste Rente wird es nur durch armutsfeste Löhne geben“.
Christian Hoßbach, der Vorsitzende des DGB für Berlin und Brandenburg, wies in der Pressekonferenz darauf hin, dass Berlin mit 23,7 Prozent im bundesweiten Vergleich einen überdurchschnittlich großen Niedriglohnsektor habe. „Hinzu kommt eine zu geringe Tarifbindung, die für nur 19 Prozent der Betriebe mit 47 Prozent der Berliner Beschäftigten gilt“, sagte der Gewerkschaftsfunktionär. „Um gute Arbeit zu sichern, braucht Berlin keinen Niedriglohnsektor, sondern Tarifverträge für alle Branchen.“
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