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Regine Günther überlegt, durch welche Mittel die Berliner Luft sauberer werden könnte.
©  Kitty Kleist-Heinrich

Verkehr in der Hauptstadt: Verkehrssenatorin erwägt mehr Tempo-30-Zonen für Berlin

Verkehrssenatorin Regine Günther möchte den Schadstoffausstoß auf Berlins Straßen verringern. Dafür überlegt sie auch, auf einigen Hauptstraßen mehr Abschnitte mit Tempo 30 einzuführen.

Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) gibt Gas – und bremst gleichzeitig. Noch in diesem Frühjahr will sie entscheiden, ob auf weiteren Hauptstraßen Tempo-30-Abschnitte eingeführt werden, um den Ausstoß der gesundheitsgefährdenden Stickoxide zu verringern. Besonders belastet sind die Leipziger Straße, die Frankfurter Allee, die Karl-Marx-Allee und die Silbersteinstraße in Neukölln.

Ob Autofahrer auf diesen Straßen – und auf weiteren – zumindest abschnittsweise ihre Geschwindigkeit auf 30 km/h verringern müssen, sei aber noch nicht entschieden, sagte Günthers Sprecher Matthias Tang am Mittwoch. Ziel sei es, den Verkehr flüssiger zu gestalten, was den Schadstoff-Ausstoß verringere. Die Untersuchungen dazu seien aber noch nicht abgeschlossen. Und nicht überall habe man gute Erfahrungen mit Tempo 30 gemacht.

Vor allem die hohen Geschwindigkeiten nähmen ab

Unterstützung bekommt Günther vom Umweltbundesamt. Tempo 30 reduziere die Schadstoffbelastung, wenn es gelinge, die Qualität des Verkehrsflusses beizubehalten oder sogar zu verbessern, fassen die Umweltschützer in einer Broschüre Studien zusammen. Und in den meisten Fällen beeinträchtige die verringerte Höchstgeschwindigkeit die Leistungsfähigkeit einer Hauptstraße nicht. Andere Faktoren wie die Qualität der Ampelprogramme, die Anzahl querender Fußgänger oder Haltestellen von Bussen und Straßenbahnen, Parksuchverkehr oder Halten in zweiter Reihe hätten in der Regel einen größeren Einfluss.

Wirkung zeige das Limit auch im Verhalten der Autofahrer. In der Mehrzahl der untersuchten Fälle habe die Anordnung von Tempo 30 auch ohne Radarüberwachung zu geringeren Durchschnittsgeschwindigkeiten geführt, heißt es in der Broschüre weiter. Vor allem die hohen Geschwindigkeiten nähmen ab. Und je länger Tempo 30 bestehe, desto besser werde die Regelung eingehalten. Allerdings gebe es große Schwankungsbreiten. Deshalb seien Begleituntersuchungen sinnvoll.

Einige Anpassungen werden notwendig sein

Der Zeitverlust durch Tempo 30 sei gering und volkswirtschaftlich „kaum relevant“, schreibt das Umweltbundesamt. Der Lärm habe sich in der Mehrzahl der untersuchten Fälle verringert; vor allem nachts. Positiv habe sich Tempo 30 auf die Verkehrssicherheit ausgewirkt. Zu nennenswerten Schleichverkehren sei es dadurch auch nicht gekommen. Bei neuen Anordnungen sei aber eine Anpassung vorhandener Grüner Wellen ebenso zu prüfen wie Aspekte des Nahverkehrs.

Ein Klein-klein mit ein paar Tempo 30 - Schildern ist mir zu wenig. Eine massive ÖV-Verbesserung, damit der zumindest wieder so gut wird wie vor zehn Jahren (v.a. Zuverlässigkeit, Sauberkeit, Sicherheit) wäre nötig, besser noch zusätzlich die Erweiterung des Angebots.

schreibt NutzerIn halbliter

Widerspruch kommt vom ADAC. Eine eigene Studie habe ergeben, dass der Schadstoffausstoß bei Tempo 30 nicht geringer sei als bei Tempo 50, sagte Verkehrsexperte Jörg Becker. Bei niedriger Geschwindigkeit und höhertourigem Fahren steige der Stickoxidausstoß sogar. Sinnvoller sei eine intelligente Verkehrslenkung durch Grüne Wellen mit Angaben von Richtgeschwindigkeiten. Wie auf der Heerstraße müsse die Geschwindigkeit flexibel angezeigt werden, was Staus vermeiden könne. Zudem müsse der Nahverkehr ausgebaut werden, um Pendler zum Umsteigen auf Bahnen und Busse zu animieren.

Die Berliner Luft soll besser und die Autos deswegen langsamer werden.
Die Berliner Luft soll besser und die Autos deswegen langsamer werden.
© Jörg Carstensen/dpa

Klagen von Bürgern auf 30er-Zonen mitunter erfolgreich

Kontraproduktiv sei zudem der Plan, auf der Frankfurter Allee stadtauswärts eine Autofahrspur in einen Radfahrstreifen umzuwandeln, sagte Becker. Die Folge wären noch mehr Staus und Stop-and-Go-Verkehr, wodurch die Schadstoffbelastung zunehme.

Günther will schnell handeln, weil sie sich als „Getriebene“ sieht. Im Nacken sitzen ihr die EU, die Deutschland wegen des regelmäßigen Überschreitens der Schadstoffgrenzwerte verklagt hat, sowie Anwohner mit eigenen Klagen. Erfolgreich vor Gericht war bereits ein Anwohner an der Berliner Allee in Weißensee. Das Verwaltungsgericht hat wegen der zu hohen Schadstoffbelastung Tempo 30 angeordnet. Über die von Günthers Vorgänger Andreas Geisel (SPD) eingelegte Berufung ist noch nicht entschieden. Mittelfristig setzt Günther auf die blaue Plakette, die „Stinker“ vom Befahren der Innenstadt ausschließen soll.

AfD sieht in den Plänen "reine Ideologie"

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat bei der Verkehrslenkung Berlin (VLB) für 20 Straßen Tempo-30-Bereiche beantragt. Sollte die VLB die Anträge ablehnen, werde man klagen, kündigte BUND-Verkehrsexperte Martin Schlegel an. Auch wegen der Verkehrssicherheit.

Der verkehrspolitische Sprecher der AfD, Frank Scholtysek, forderte Günther auf, ihre „schädlichen und wieder einmal von reiner Ideologie getriebenen Pläne schnellstens zu den Akten zu legen.“

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