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Bilderdiebstahl
© dpa/ Roland Weihrauch

Umziehen nach Berlin: Sicherheit: Verbrecher-Hauptstadt Berlin?

Immer wieder macht die Hauptstadt mit schweren Verbrechen Schlagzeilen. Laut Statistik sind sie aber relativ selten, auch in sozialen Brennpunkten gibt es keine Häufung.Taschendiebstähle und Schwarzfahren kommen dagegen massenhaft vor.

Bitte beachten Sie: Zurzeit sind Trickdiebe unterwegs", so werden Neuankömmlinge am Berliner Hauptbahnhof begrüßt, "wir empfehlen Ihnen, besonders aufmerksam zu sein."

In den Zeitungsständern hängen die Boulevardzeitungen, die in diesen Wochen von versteckten Cannabis-Plantagen in öffentlichen Grünanlagen berichten oder von einem Prozess gegen Einbrecher, die mit Macheten bewaffnet in das Haus des Chefs einer Teppichreinigungsfirma eingedrungen sind. Ein Busunternehmen fordert schließlich die Berlinbesucher auf: "Kommen Sie mit auf eine zweieinhalbstündige Zeitreise durch das kriminelle Berlin!" Verbrecher hebeln Wohnungstüren auf, tagsüber, um möglichst niemanden anzutreffen - das sollte jeder Neuberliner zum "Überleben in Berlin" wissen. Besonders oft gehen die Täter an Herbst- und Winternachmittagen auf Beutezug, wenn es draußen schon dunkel ist, die Bewohner aber noch bei der Arbeit sind.

In Berlin wurden im vergangenen Jahr 12 159 Einbrüche in Wohnungen und Häusern angezeigt - doppelt so viele wie zehn Jahre zuvor. "Wir haben uns oft gefragt: Ja, sind die Raubtäter denn alle zu Einbrechern geworden?", sagt Georg von Strünck, der beim Landeskriminalamt für Einbruchsschutz zuständig ist, lachend.

Gestohlen wird laut von Strünck bevorzugt Bargeld und Schmuck. Manche Täter aber scheinen nicht wählerisch zu sein, was ihre Beute angeht. In einem wenig wohlhabenden Teil von Moabit warnte die Polizei kürzlich vor Kellereinbrüchen. In keiner Gegend der Stadt sei man vor Einbrüchen gefeit, sagt von Strünck. Allerdings seien die meisten Taten leicht zu verhindern, indem man beispielsweise an seine Wohnungstür ein Stangenschloss anbringe. "Wenn Einbrecher nicht in drei bis fünf Minuten in eine Wohnung reinkommen, brechen sie ab", erklärt er. In fast 40 Prozent der Fälle sei das so. Wer in Erdgeschossen oder ausgebauten Dächern wohne, müsse zudem die Fenster sichern. Sogenannte Dachläufer kämen über die Terrassen.

"So gut wie nie greifen Einbrecher Bewohner an", sagt Georg von Strünck. Der Teppichreinigungsunternehmer wurde hingegen von den Männern, die in sein Haus eingedrungen waren, geschlagen und mit Elektroschocks traktiert. Sie drohten sogar, ihm eine Zehe abzuschneiden, wenn er nicht verraten würde, wo sein Tresor sei. Die Einbrecher kamen gezielt in der Nacht, um den Hausbesitzer anzutreffen. Es handelt sich also um einen Sonderfall, der zugleich ein Beispiel dafür ist, wie die Medienberichterstattung, die sich naturgemäß auf spektakuläre Verbrechen fokussiert, das Bild der Kriminalität verzerrt.

In den 80er Jahren traf es Kreuzberg. Die Berichterstattung über die Straßenschlachten zwischen Hausbesetzern und Polizei ließ es für manche Berlinbesucher schon als Mutprobe erscheinen, am U-Bahnhof Kottbusser Tor auszusteigen.

Diebstahl auf Weihnachtsmarkt
Dieb auf einem Weihnachtsmarkt in Frankurt am Main.
© dpa/ Frank Rumpenhorst
Mann beim Kellereinbruch
Ein Mann hebelt in Berlin eine Kellertür auf.
© dpa/ Robert Schlesinger

Der Alexanderplatz gilt als besonders unsicher

Nachdem vor drei Jahren der 20-jährige Jonny K. im Streit mit einer Jungsclique totgetreten worden war, steht der Platz weit über die Grenzen Berlins hinaus für brutale Schlägereien. Stefan Redlich, Sprecher der Berliner Polizei, erzählt, wie er einmal ein amerikanisches Fernsehteam zum Alexanderplatz begleitete. Die seien richtig "enttäuscht"

gewesen, auf wie viel Normalität sie stießen. Nach dem Tod von Jonny K. hat die Polizei ihre Präsenz deutlich verstärkt. Der Platz sei jetzt sicher, sagt Redlich. Natürlich gebe es noch immer Straftaten, aber das sei beim verkehrsreichsten Platz der Stadt nicht zu verhindern. Wo ist es denn sonst in Berlin gefährlich? Nirgendwo, sagt Redlich. Die Polizei lässt die Frage kategorisch unbeantwortet, um kein Viertel zu stigmatisieren.

Dennoch es gibt eine geheime Liste von "kriminalitätsbelasteten Orten", wie es heißt; 23 sollen es sein. Dort hat die Polizei Sonderrechte, darf selbst unverdächtige Passanten kontrollieren. Angeblich stehen die Revaler Straße in Friedrichshain auf der Liste und Teile der Kantstraße in Charlottenburg.

Der Kriminalitätsatlas für Berlin

Der sogenannte Kriminalitätsatlas, den die Polizei sporadisch herausgibt, lokalisiert die Verbrechen. Im Villenviertel Grunewald gibt es demnach überdurchschnittlich viele Einbrüche. Um die Universitäten herum werden häufig Fahrräder gestohlen. Beides ist erwartbar. Bei der Gewaltkriminalität - dazu zählen allein 40 700 Körperverletzungen - ist keine lokale Häufung zu erkennen, auch nicht in vermeintlichen Problemkiezen. Doch hier stößt die Kriminalitätsstatistik an die Grenze ihrer Aussagekraft. In raueren Viertel ruft man nach einer Kneipenschlägerei nicht unbedingt die Polizei.

Ebenfalls fragwürdig erscheint eine Untersuchung, in der Parks "nach polizeilicher Feststellung " für nicht besonders unsicher erklärt werden. Die Untersuchung, die von der Schweizer Firma Team Consult in Zusammenarbeit mit der Polizei stammt, will mit dem Ergebnis die Irrationalität von Kriminalitätsfurcht belegen. Aber ist es nicht vielleicht umgekehrt: Passiert nicht in Grünanlagen nur deshalb relativ wenig, weil Frauen sie als bedrohlich empfinden und deshalb nachts in der Regel meiden?

Der Mord an der 18-jährigen Hanna K. im Mai dieses Jahres zeigt, dass Frauen in Grünanlagen durchaus in Gefahr sind. Die Schülerin wurde auf einem von Büschen gesäumten Verbindungsweg zwischen dem S-Bahnhof Wuhlethal und der Hauptstraße von Kaulsdorf erwürgt. Von einem "Nachläufertäter" spricht die Polizei, denn das Tatmuster kommt häufiger vor: Männer gucken sich Frauen in der U-Bahn aus, verfolgen sie und überfallen sie dort, wo es unbelebt ist: beispielsweise in Hausfluren oder eben in Parks.

Jürgen Thiele, Leiter des Dezernats für Sexualdelikte beim Landeskriminalamt, rät Frauen kategorisch davon ab, nachts allein unterwegs zu sein. "Vergewaltigung lebt von der Einsamkeit des Opfers." Besonders gefährdet seien junge Frauen auf dem Heimweg von Partys oder aus Diskotheken.

Wenn sich die Frauen "verbal oder körperlich " wehrten, ließen die Täter meistens von ihnen ab. In seltenen Fällen eskaliere allerdings die Situation, wenn auch fast nie Frauen umgebracht werden. Über Jahre war in Berlin kein Sexualmord mehr vorgekommen. Versuchte und vollendete Vergewaltigungen nach Überfällen gab es laut Polizeistatistik zuletzt 140 im Jahr. Obwohl die Zahl höher liegt als im Vorjahr, erscheint sie für eine Nachtlebenstadt wie Berlin relativ niedrig. Auch die Polizei vermutet, dass Frauen, die einer Vergewaltigung noch mal entkommen sind, den Vorfall oft nicht anzeigen.

Eine eigene Statistik führt der in Kreuzberg ansässige Verein "ReachOut". Darin sind rassistische Vorfälle verzeichnet, auch Pöbeleien. Die Zahl ausländerfeindlicher Taten sei zwar angestiegen, sagt "ReachOut"-Mitarbeiter Biplab Basu, aber die Fälle seien weniger schwerwiegend als noch in den 90ern. No-go-Areas für Menschen, die offensichtlich ausländische Wurzeln haben oder mit einer Kippa als Juden zu erkennen sind, gebe es nicht. Nur am S-Bahnhof Schöneweide - einem Treffpunkt von Rechtsextremen - herrsche den Erfahrungen seiner Klienten zufolge abends mitunter noch eine bedrohliche Atmosphäre. Die meisten rassistischen Pöbeleien sind in der "ReachOut"-Statistik in den Ausgehvierteln in Friedrichshain und Kreuzberg verzeichnet - oft ist Alkohol bei Konflikten im Spiel. Gleichzeitig, sagt Basu, sei dort aber aufgrund der Belebtheit die Sicherheit für Ausländer besonders groß.

Zur Stadt des Verbrechens machen Berlin aber vor allem die kleinen Fische, und die Opfer sind oft Touristen. Am kriminellsten geht es nach den Zahlen der Polizei auf dem Kurfürstendamm und im Regierungsviertel zu. Das liege vor allem an den Laden- und Taschendiebstählen, sagt Polizeisprecher Stefan Redlich. Diebstähle sind das mit Abstand häufigste Delikt in Berlin, Schwerkriminalität dagegen ist selten. Berlin hat - auch durch den Erfolg als Touristenziel - zu den Taschendiebstahl-Metropolen Barcelona, Paris oder Rom aufgeschlossen.

BARBARA NOLTE hat als Reporterin beim Tagesspiegel nicht nur über Großstadtkriminalität berichtet - ihr wurden schon sieben Fahrräder gestohlen.

"WIR HABEN IN BERLIN KEIN PROBLEM MIT DER SICHERHEIT." STEFAN REDLICH, Polizeisprecher

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Fundbüro

Es muss ja nicht gestohlen sein. Portemonnaies, Schlüssel, Handys, Fahrräder und sogar Kinderwagen - rund 30 000 Dinge werden jährlich im Zentralen Fundbüro abgegeben. Wer hier nicht fündig wird, kann die BVG-Hotline 19 44 9 anrufen - die Verkehrsbetriebe haben eine eigene Fundstelle. Tempelhof, Platz der Luftbrücke 6, Tel. 902 77 31 01

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KRIMINALITÄT // STÄDTE-RANKING. Deutsche Großstädte mit der höchsten Zahl polizeilich registrierter Straftaten pro 100 000 Einwohner im Jahr 2014:

1. Frankfurt am Main (17 266)

2. Berlin (15 702)

3. Köln (15 195)

4. Hannover (15 425)

5. Düsseldorf (14 490)

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32 121 TASCHENDIEBSTÄHLE zählte die Polizei im Jahr 2014, eine Zunahme von 55 % gegenüber dem Vorjahr

30 758 FAHRRÄDER wurden in Berlin 2014 gestohlen - 16 % mehr als im Jahr zuvor

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