zum Hauptinhalt
Freie Fahrt. Reisende kommen hier vorerst niemandem in die Quere.
© imago
Update

Trennung von Rainer Schwarz: Urteil stärkt Position vom aktuellen BER-Chef Mehdorn

Noch mehr als eine Million Euro kostet die Trennung von Rainer Schwarz die Flughafengesellschaft. Das Gerichtsurteil zeigt aber vor allem, dass Klaus Wowereit früh wissen musste, was alles falsch läuft.

Trotz des Fiaskos um die BER-Baustelle in Schönefeld muss der Flughafen an den langjährigen Ex-Geschäftsführer Rainer Schwarz noch rund 1,14 Millionen Euro zahlen. Das hat das Landgericht Berlin am 23. Oktober entschieden und die mit „Pflichtverletzungen“ des 57-Jährigen im Zusammenhang mit der verschobenen BER-Eröffnung 2012 begründete außerordentliche Kündigung für unwirksam erklärt. Jetzt liegt das Urteil mit seiner ausführlichen Begründung vor. Auf Antrag des Tagesspiegels ist es vom Gericht herausgegeben worden, obwohl die Flughafengesellschaft eine Einstufung als vertraulich erreichen wollte. Die 27 Seiten bergen neue Brisanz, wegen der Bewertung der Rolle Wowereits, aber auch für das aktuelle Verhältnis von Aufsichtsrat und BER-Chef Hartmut Mehdorn.

Eine ungültige Kündigung

Nach den Entscheidungsgründen kann Schwarz nicht zum alleinigen Sündenbock für die 2012 abgesagte Eröffnung gemacht werden. Beim Rausschmiss hatte der Flughafen dem 57-Jährigen nicht die Verschiebung an sich, sondern allein „die Verletzung von Informationspflichten gegenüber dem Aufsichtsrat“ angelastet. Nach Auffassung des Gerichts war das von Klaus Wowereit (SPD) geführte Aufsichtsgremium aber frühzeitig im Bilde. Dem Aufsichtsrat, insbesondere dem Vorsitzenden, sei „bereits mehrere Monate vor der Absage des Termins bekannt“ gewesen, „dass die Gebäude nur mit der Behelfslösung ,Mensch-Maschine-Kopplung‘ würde in Betrieb genommen werden können“. Mit Hilfskräften, die im Brandfall die Türen öffnen – sonst nicht. Spätestens „seit Februar“ 2012 sei für Geschäftsführung und Aufsichtsrat klar gewesen, dass ein vollautomatischer Betrieb der Entrauchungsanlage nicht möglich sein werde und für die Notlösung „ein signifikantes Genehmigungsrisiko“ bestehe.

Im Prozess ging es auch um Warnschreiben der Unternehmensberatung McKinsey und des Flughafens München vom 13., 14. und 15. März 2012 – beide waren mit dem Probebetrieb am BER betraut –, wonach die Eröffnung am 3. Juni 2012 gefährdet sei. So zitiert das Urteil aus der E-Mail eines Wowereit-Mitarbeiters vom 22. März 2012, in der dieser auf die telefonische Bitte von Schwarz um ein Gespräch mit Wowereit „bereits von sich aus wusste“, dass es „vor allem auch um das Halten des Fertigstellungstermins“ gehen würde. „In dieser Mail seines eigenen Mitarbeiters spiegelt sich der Kenntnishorizont des Aufsichtsratsvorsitzenden jedenfalls insoweit wieder, dass dort die Einhaltbarkeit des Fertigstellungstermins aufgrund des aktuellen Baufortschritts als problematisch erkannt war.“ Das Gespräch zwischen Wowereit und Schwarz fand trotzdem, umso merkwürdiger, erst zwei Wochen später statt. Im Prozess hat Schwarz ausgesagt, dass er Wowereit in dem Gespräch am 30. März 2012 über die Warnschreiben mündlich informiert habe – im Abgeordnetenhaus hatte er am 18. Mai 2012 das Gegenteil erklärt.

Nach der Absage hatten Wowereit und sein damaliger brandenburgischer Amtskollege Matthias Platzeck (SPD) erklärt, vom Ausmaß der Technikprobleme und dem Scheitern des Termins überrascht worden zu sein. Für das Gericht wurden die Weichen für das Fiasko weit früher gestellt. „Aus heutiger Sicht muss es als ausgeschlossen gelten, dass es Anfang 2012 objektiv noch möglich war, die Flughafengebäude bis zur geplanten Eröffnung am 3. Juni 2012 oder auch bis zum Ersatztermin insoweit fertigzustellen, dass sie hätten in Betrieb genommen werden können.“

Die Verantwortung des Aufsichtsrats

Das Urteil wirft ein Schlaglicht auf das verunglückte Krisenmanagement des Aufsichtsrates nach der abgesagten Eröffnung. Für das Gericht entscheidend ist, dass eine entscheidende Frist versäumt wurde, um Schwarz erfolgreich zu kündigen. Zur Sitzung am 1. November 2012 lagen dem Aufsichtsrat unter Vorsitz Wowereits nämlich die brisanten Warnschreiben von McKinsey und des Flughafens München vom März 2012 vor. „Eine Kündigung, die sich auf diese Dokumente stützt, hätte bis 15. November 2012 erklärt werden müssen.“ Tatsächlich wurde Schwarz aber erst im Juni 2013 gekündigt, ein Jahr nach der Absage – zu spät. Aufsichtsratschef war damals Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), vorher Stellvertreter Wowereits.

Auch für die vorschnelle Verkündung eines neuen Eröffnungstermins – am 16. Mai wurde der 27. März 2013 bekannt gegeben –, die der Flughafen allein Schwarz anlastet, sieht das Gericht die Verantwortung eher beim Aufsichtsrat. Dieser Termin auf Vorschlag von Schwarz sei „nur eine Woche nach der Absage des vorherigen Termins, auf das Drängen des Aufsichtsrates und offensichtlich zur Besänftigung der öffentlichen Meinung verkündet worden“. Dabei habe der Aufsichtsrat – nach einer Sitzung des Projektausschusses unter Anwesenheit von Wowereit – gewusst, dass von den am Bau beteiligten Firmen keine verbindliche Planung zugesichert werden konnte, vorher „zentrale organisatorische Verbesserungen“ angemahnt wurden. Damit sei klar gewesen, dass der neue Termin „mit erheblichen Unsicherheiten behaftet“ sein musste.

Die Rolle der Geschäftsführung

Diese Passagen lesen sich gerade vor der Aufsichtsratssitzung am 12. Dezember interessant, zumal es anhaltende Spannungen zwischen Flughafenchef Hartmut Mehdorn und seinen Kontrolleuren gibt. Mehdorn beklagt schon länger, dass sich der Aufsichtsrat zu sehr ins operative Geschäft einmischt, sich aufgrund der Vorgeschichte eine „Misstrauenskultur“ entwickelt habe. Das Urteil stärkt Mehdorns Position.

Zwar ist es auch für das Gericht selbstverständlich, dass die Geschäftsführung den Aufsichtsrat aus wichtigem Anlass über neue Entwicklungen zu informieren hat. Dies sei aber „nicht jede kritische Äußerung“ eines Beteiligten, eines Behördenvertreters. „Es gilt sogar umgekehrt, dass die Mitteilung eines jeden Detailproblems oder einer jeden kritischen Einschätzung an den Aufsichtsrat den Blick für das Wesentliche vermissen lassen würde“, heißt es. „Solange zu erwarten steht, dass ein sich neu auftuendes Problem gelöst werden kann oder sich ein bereits bekanntes Problem gegenüber der bisherigen Situation jedenfalls nicht verschärft hat, stellt sie daher keinen wichtigen Anlass für die umgehende Information an den Aufsichtsrat dar.“

Auswirkungen auf Schadenersatzprozesse

Das Gericht kommt zum Schluss, dass Schwarz die BER-Eröffnung nicht vor dem 7. Mai 2012 hätte absagen müssen. Er habe keine Sorgfaltspflichten verletzt, „in der Wahl zwischen zwei problematischen Alternativen“ im vertretbaren Ermessen gehandelt, als er mit Behelfslösungen alles versuchte, den Termin zu retten, heißt es. „Die Wahrscheinlichkeit für diesen Erfolg mag deutlich unter 50 Prozent gelegen haben, aber es war immerhin eine Chance, die es auszunutzen gilt, wenn der Preis dafür vertretbar ist.“

Wäre das Gericht zu einer anderen Abwägung gekommen, hätten sich alle Schadenersatzforderungen von Airlines, Gewerbemietern und anderen Betroffenen darauf stützen können. Dieser Ausgang kommt also Hartmut Mehdorn zugute. Das Schadenersatzrisiko für den Flughafen, das derzeit auf 31 Millionen Euro beziffert wird, wird nun geringer – falls das Urteil Bestand hat. Bisher ist erst ein einstelliger Millionenbetrag wegen der Eröffnungsabsage geflossen.

Noch keine Rechtskraft

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es ist noch offen, ob der Flughafen in Berufung geht. Flughafensprecher Ralf Kunkel wollte sich am Sonntag nicht äußern. Die Kosten für Gutachten und Anwälte sind allerdings schon jetzt höher als die 1,134 Millionen Euro, die Ex-Geschäftsführer Schwarz „im ungekündigten Zustand“ noch bekäme.

Das Urteil können Sie auch hier als pdf im Original noch einmal nachlesen.

Zur Startseite