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Auch die Uni-Stelle los: Der zurückgetretene Berliner Staatssekretär Andrej Holm
© dpa/Jörg Carstensen
Update

Berliner Humboldt-Universität und Fall Holm: Uni begründet Entlassung mit Falschangaben - Holm kündigt Klage an

Die Berliner HU kündigt dem Soziologen und bereits zurückgetretenen Staatssekretär Holm wegen "arglistiger Täuschung" über seine Stasi-Vergangenheit. Holm will dagegen klagen.

"Ich habe heute entschieden, das Arbeitsverhältnis mit Herrn Dr. Holm ordentlich zu kündigen …" Weiter kommt Sabine Kunst, Präsidentin der Humboldt-Universität, nicht. Ein Sturm von "Buh"-Rufen, Pfiffen und Getröte bringt sie zum Schweigen. Gut 40 Studierende, allesamt Holms Unterstützer, sind am Mittwoch zur Pressekonferenz in den Senatssitzungssaal der HU gekommen, um die schon erwartete Entscheidung selbst aus dem Mund der Präsidentin zu hören. "Holm bleibt!", skandieren die Studierenden und halten Schilder in die Höhe: "Berufsverbot ist keine Aufarbeitung", "Studis für Andrej".

Über ein mitgebrachtes Mikrofon diskutieren sie mit Kunst schon, bevor diese ihre Gründe erklären kann: "Holm hat für das Renommee der Humboldt-Uni gesorgt! Rechtlich bewegen Sie sich auf dünnem Eis!", ruft einer. "Die Entscheidung haben Sie nur getroffen, weil Sie in derselben Partei sind wie Michael Müller!" Dagegen verwahrt sich Kunst: "Ich bin in der Verantwortung der Präsidentin der Humboldt-Universität und keiner anderen." Sie bedauere die Entscheidung sehr, weil die HU "einen renommierten und anerkannten Stadtsoziologen mit großer wissenschaftlicher Reputation verliert", kann Kunst schließlich sagen. Wegen dieser Wertschätzung habe die HU versucht, das Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufzulösen: "Leider hat er diesen fast schon vereinbarten Weg verworfen."

Die Präsidentin der Humboldt-Universität, Sabine Kunst, begründet Holms Entlassung.
Die Präsidentin der Humboldt-Universität, Sabine Kunst, begründet Holms Entlassung.
© dpa

Nicht seine Stasi-Vergangenheit, sondern die Falschangaben sind der Grund

Kunst stellt fest, Holm hätte seine Stelle als Wissenschaftler an der HU durchaus bekommen, wenn er bei seiner Anstellung im Jahr 2005 die Wahrheit auf dem Personalbogen angekreuzt hätte. Denn als "zumutbar" galt an der HU die Einstellung von Ex-Stasi-Mitarbeitern, wenn diese ihre Tätigkeit "unmittelbar nach Schulabschluss erst 1989 aufgenommen" hatten. So steht es 1995 im Abschlussbericht des Ehrenausschusses, den die HU zur Bewertung von Stasi-Tätigkeit nach der Wende eingerichtet hatte. Von 380 Fällen seien in der Einzelfallprüfung nach der Wende nur 73 als "unzumutbar" eingestuft und die Mitarbeiter gekündigt worden.

Holms Kündigung beruhe aber auch gar nicht auf einer Bewertung seiner Tätigkeit bei der Stasi, führt Kunst aus. Vielmehr sei sie nötig geworden, weil Holm keine Bereitschaft gezeigt habe, "seine Falschangaben gegenüber der HU einzuräumen und sich von ihnen zu distanzieren". Auch in einem Lebenslauf von 2011 habe Holm sich falsch dargestellt. Die falschen Angaben auf dem Personalbogen seien arbeitsrechtlich eine "arglistige Täuschung", erklärt Kunst und provoziert einen neuen Wutausbruch von Holms Fans.

"Wahrheit und Klarheit gehören aber zur Würde einer Universität"

Zwar habe er in dem neuen Lebenslauf, den er der HU am 13. Dezember 2016 zusandte (an diesem Tag hatte der Tagesspiegel über Holms falsche Angaben berichtet), erstmals seine frühere Tätigkeit als Stasi-Offiziersschüler gegenüber der HU erwähnt. Er sei allerdings weiter bei der "Falschangabe" geblieben, eine Grundausbildung beim Stasi-Wachregiment Feliks Dzierzynski geleistet zu haben. Und in der am 12. Januar von seinem Anwalt vorgelegten Stellungnahme berufe Holm sich auf Erinnerungslücken und zeige kein Wort des Bedauerns über seine falschen Angaben. "Wahrheit und Klarheit gehören aber zur Würde einer Universität", erklärt Kunst. Ein Student schreit: "Was haben Sie denn selbst alles verschleiert?"

Die Studierenden sind erbost. Sie glauben, dass Holm den Bogen korrekt ausgefüllt hat, weil er dort einen Dienst beim Stasi-Wachregiment angab. Dieses gehörte zur Stasi, war aber nicht mit dem Ausspähen von Regimegegnern, sondern mit Sicherungsaufgaben befasst. Dass Holm dort nie gedient hat, sondern seine fünfwöchige militärische Grundausbildung bei der Wach- und Sicherungseinheit der Berliner Bezirksverwaltung für Staatssicherheit absolviert hat, hat aber die Stasiakten-Behörde festgestellt.

Studierende protestieren gegen die Entscheidung der Universität.
Studierende protestieren gegen die Entscheidung der Universität.
© dpa

Die Studierenden diskutieren aber weiter: Der Fragebogen, den Holm ausfüllen musste, sei nicht geeignet, eine komplexe Biografie darzustellen. Sie zitieren Arbeitsrechtler, die Holm gute Chancen einräumen, sich wieder einzuklagen. Dieser hat bereits angekündigt, beim Arbeitsgericht Klage zu erheben. Ziel werde es sein "festzustellen, dass die Kündigung rechtswidrig und damit unwirksam ist." Kunst begründete ihre Entscheidung, indem sie aus ihrer schriftlichen Erklärung vorlas: "Die Falschangaben, das fehlende Bedauern und sein Beharren auf 'Erinnerungslücken' haben mich zu der Entscheidung gebracht, das Arbeitsverhältnis zu beenden." Auf die Frage, ob die Kündigung vermeidbar gewesen wäre, wenn Holm Reue gezeigt hätte, sagte sie: "Ja."

Holm ist wegen seiner Tätigkeit als Staatssekretär noch beurlaubt. Die Kündigung soll zum 30. Juni wirksam werden – gegenüber der fristlosen außerordentlichen Kündigung ein Vorteil für Holm. "Was wir machen, ist nicht die schärfste Kanone", sagt Kunst. Sie habe sich nicht nur mit Arbeitsrechtlern, sondern auch mit Historikern beraten. Generell sei auch über die Sinnhaftigkeit der Fragebögen zu diskutieren. Holms Wiedereinstellung unter anderen Vorzeichen sei "natürlich möglich", erklärt Kunst konziliant. "Die HU war mit ihm als wissenschaftlichem Mitarbeiter ja sehr zufrieden."

Das beruhigt die Studenten nicht. Ebenso wenig wie das Gespräch, das Kunst nachmittags an Holms Institut für Sozialwissenschaften mit ihnen führt. "Rücktritt jetzt!", skandieren sie in Richtung Kunst. "Wer ist die Uni? Wir sind die Uni!" Das Institut sei nun bis Freitag besetzt. Die Studierenden fordern die Schaffung einer neuen Stelle in Holms Spezialgebiet, der Stadt- und Regionalsoziologie.

Wolfgang Kaschuba, Direktor des Instituts für Migrationsforschung an der HU und enger wissenschaftlicher Kooperationspartner Holms, spricht hinterher von einer "vertanen Chance für die Humboldt-Universität und für die Stadtpolitik". Allerdings habe Kunst wegen Holms "sehr unglücklicher Verteidigungsstrategie" keine andere Wahl gehabt, als ihn zu entlassen. "Holm hätte argumentieren können, dass er aus Angst, die für ihn persönlich und politisch so wichtige Dauerstelle nicht zu bekommen, falsche Angaben gemacht hat." Die Dekanin der sozialwissenschaftlichen Fakultät Julia von Blumenthal sagte, sie bedaure "zutiefst, dass wir Herrn Holm als Mitarbeiter, Kollegen und Lehrenden verlieren". Die Institutsbesetzer will die Dekanin erst einmal gewähren lassen: "Wir räumen nicht, das ist eine normale Protestform von Studierenden."

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