Illuminierter Mauerstreifen: Und es ward Licht
Nun leuchten sie: Rund 8000 weiße Ballons ziehen die Mauer symbolisch wieder durch Berlin. Ein berührender Rundgang an der Lichtgrenze.
Am späten Nachmittag beginnt die Stadt zu dämmern und die Grenze zu leuchten. Nur die Marschallbrücke hinterm Reichstag ist noch dunkel. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit drückt zusammen mit den Machern der „Lichtgrenze“ auf einen roten Knopf, und die letzten 25 Ballons werden hell. Ein Vierteljahrhundert nach dem Fall der Mauer ist sie wieder da. Als Lichterkette quer durch die Innenstadt. Das hat etwas Friedvolles, Stimmungsvolles. Nicht an die brutale Realität der Mauer wird erinnert, sondern ihre zunehmende Durchlässigkeit in den Wochen vor dem eigentlichen Mauerfall. Symbolisches Finale ist dann das Aufsteigen der Ballons in den Nachthimmel am Sonntag.
Die Lampionkette pendelt leicht im Wind. An einigen Stellen sind die Ballons geplatzt oder die Ständer umgeknickt. Dann müsste eigentlich das „Havarieteam“ ausrücken. Noch ist nichts zu sehen von den Grenzmonteuren in den gelben Westen. Nur der Wachschutz patrouilliert, bullige Kerle auf Leihfahrrädern. Besondere Vorkommnisse? Mauer-Saboteure? „Nee, allet ruhig.“
Die Lichtmauer erstreckt sich auf 15 Kilometern zwischen Bösebrücke im Norden und Oberbaumbrücke im Süden. 8000 Ballons auf durchnummerierten Ständern. Vier Aufbauteams haben am Freitagfrüh um Sechs angefangen, weiße Ballons mit Stickstoff zu füllen und auf die Ständer zu setzen. Das ging schneller als gedacht, auch wegen des optimal sonnigen Ballonwetters. Team Süd setzte kurz vor Mittag den letzten weißen Ballon auf den Ständer Nummer S2890.
Am Brandenburger Tor beginnt abends das Bürgerfest mit großer Bühne und Buden. Udo Lindenberg probt mit Band für seinen Auftritt am Sonntag. Viele Menschen säumen den Vorplatz. Zwischen Reichstag und Potsdamer Platz ist kaum noch ein Durchkommen. Besucher machen Fotos von der Lampionkette oder stehen gebannt vor einer großen Videowand mit Filmaufnahmen von den großen Demonstrationen 1989. In der ohnehin aus vielen Quellen strahlenden Innenstadt geraten die schwach leuchtenden Ballons etwas aus dem Blick. Eindrücklicher ist die Lichtgrenze dort, wo Brachen durchschnitten und Straßen von ihren Bürgersteigen getrennt werden. Tagsüber erscheinen die Ballonleuchten dagegen wie ausgesetzte Möbelstücke, leicht und fragil. Billigware aus Fernost.
Auf blau gerahmten Tafeln stehen Mauergeschichten
An den blau gerahmten Tafeln mit Mauergeschichten versammeln sich Touristen, aber auch Berliner, denn einige Geschichten gehören nicht zum Kollektivwissen der Hauptstädter. Etwa, dass der West-Berliner Heinz Müller 1970 betrunken von einer Aussichtsplattform an der Köpenicker Straße über die Mauer in den Osten fiel und dort erschossen wurde.
Auch Peter Hollmann, 79, aus Köpenick kannte diese Mauerstory noch nicht, obwohl er selber einige erlebt hat. Als die Mauer gebaut wurde, war er im Urlaub in Westdeutschland. Die Reise hatte ein Interzonenpass ermöglicht, denn Hollmann lebte damals in Potsdam und studierte Jura in West-Berlin. Seine Grenzgänger-Geschichte hätte auch gut zum Mauerfalljubiläum gepasst.
Am Checkpoint Charlie gibt's den Leuchtflummi "Wall-Ball"
„Ganz wunderbar“ findet Hollmann die Lichtgrenze. Auch eine jüngere Berlinerin, promovierte Literaturwissenschaftlerin, lobt die Aktion. Sie erinnert sich, wie 1990 in Franken, wo sie aufwuchs, die ersten Ostdeutschen auftauchten. „Die Gesichter grau, in billigen Jogginganzügen, man hat’s dolle gesehen.“
Am Checkpoint Charlie floriert schon das Mauergedenkbusiness. Die Imbissbuden haben geöffnet, Soldatendarsteller posieren für Fotos. Zum Jubiläum gibt es den Jubiläumsshop. Mit Lichtgrenze-T-Shirts und einem grandiosen Leuchtflummi, dem „Wall-Ball“.
Wir begleiten die Feierlichkeiten zum Mauerfall vor 25 Jahren mit unserem Live-Blog, den Sie hier finden.