Neue Pläne der Berliner Koalition: Türkisch lernen ohne Erdogans Einfluss
Berlins rot-rot-grüner Senat will die Herkunftssprachen der Schüler mehr würdigen. Gleichzeitig sucht er aber auch nach Unabhängigkeit vom umstrittenen Konsulatsunterricht.
Es hat lange gedauert, aber jetzt geht es los: Berlin soll unabhängiger werden vom umstrittenen Konsulatsunterricht und dennoch die Muttersprachen seiner Schülern mehr als bisher würdigen. Dazu haben die Regierungsfraktionen jetzt einen Antrag eingebracht, der über die Koalitionsvereinbarung deutlich hinausgeht. Offenbar hat der antidemokratische Kurs der türkischen Regierung ein Umdenken unter Rot-Rot-Grün bewirkt: Bislang hatte der Konsulatsunterricht wenig Beachtung seitens der Berliner Landespolitik gefunden.
Im Antrag zur „sprachlichen Vielfalt in Berlin“ ist das anders geworden. Dort wird der Senat ausdrücklich aufgefordert, an Berliner Schulen „eigene Angebote des Unterrichts in der Herkunftssprache mit angestellten Lehrern des Landes Berlin zu schaffen bzw. zu stärken“. Zudem soll die Ausbildung von Lehrern für die „häufigsten Herkunftssprachen an Berliner Hochschulen ermöglicht und gefördert werden“.
Es fehlen geeignete Lehrer
Dies ist tatsächlich ein ganz neuer Tenor: Bislang gibt es nicht einmal für Türkisch – die Sprache der größten Zuwanderergruppe – ein Lehramtsstudium. Das hat dazu geführt, dass es schwierig ist, gute Lehrer zu finden. Das Fehlen geeigneter Lehrer wird auch als ein wichtiger Grund dafür angesehen, dass die staatliche zweisprachige deutsch-türkische Alphabetisierung an Berlins Grundschulen inzwischen kaum noch nachgefragt wird: 15 von ehemals 19 Schulen haben damit aufgehört.
Stattdessen schicken die Eltern ihre Kinder zum Konsulatsunterricht: Rund 2500 Schüler an 150 Grundschulen werden nach Angaben des Senats wöchentlich ein bis zweimal in türkischer Heimatkunde und Sprache unterwiesen – durch türkische Schulbücher und staatliche türkische Lehrer, die für fünf Jahre nach Berlin entsandt werden und oftmals kaum Deutsch sprechen. In den meisten Bundesländern wird es ähnlich gehandhabt.
Lange hat sich niemand für den türkischen Einfluss interessiert
Dieser unmittelbare Einfluss des türkischen Staates hat lange Zeit niemanden interessiert: Auch dann nicht, als Staatschef Recep Erdogan bei seinen Auftritten in Deutschland seine hiesigen Landsleute vor zu viel Integration warnte; und selbst dann nicht, als er nach dem Putschversuch zehntausende Lehrer suspendierte: Noch im Dezember schien die Bildungsverwaltung nichts Alarmierendes daran zu finden, dass Berliner Schulkinder in den Räumen der öffentlichen Grundschulen im Sinne des türkischen Staates beeinflusst werden.
Inzwischen ist aber eine neue Lage entstanden – nicht nur durch Erdogans Vorhaben, Demokratie und Gewaltenteilung in der Türkei auszuhebeln, sondern auch durch die Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit. „Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Erdogan in den Schulbüchern verherrlicht wird“, lautet die Einschätzung von Berliner Türken – bislang taucht dort in erster Linie Staatsgründer Atatürk auf, der für eine Trennung von Religion und Staat stand. „Die Entwicklung in der Türkei erfüllt uns mit Sorge“, beschreibt denn auch die bildungspolitische Sprecherin der Linken, Regina Kittler, den Hintergrund des aktuellen Antrages. Um rasch neue Lehrer zu rekrutieren, schlägt sie vor, ein Zweitstudium „Türkisch“ für Lehrer mit türkischen Wurzeln anzubieten.
Es geht auch um die Wertschätzung der Herkunftssprachen
Trotz der Befürchtungen im Hinblick auf den türkischen Konsulatsunterricht wollen die Fraktionen im Abgeordnetenhaus den Konsulatsunterricht nicht pauschal ablehnen: Sowohl Rot-Rot-Grün als auch die CDU betonen immer wieder, dass es auch sehr positive Erfahrungen mit dem Konsulatsunterricht gebe. Das gilt für etliche türkische Konsulatslehrer, aber auch für die – allerdings sehr wenigen – Angebote anderer Konsulate. Im Antrag wird die Bildungsverwaltung deshalb aufgefordert, mit den Konsulaten das Gespräch zu suchen. Dabei soll es um die Frage gehen, wie sie ihre Schüler auf „Prüfungen und Abschlüsse vorbereiten“ könnten, wenn weitere Sprachen an Berlins Schulen als erste oder zweite Fremdsprache anerkannt würden.
Das dürfte manche Konsulate freuen, allerdings müssten sie im Gegenzug bereit sein, ihre Lehrpläne den Berliner Bildungszielen anzupassen und ihren Unterricht „unter die Schulaufsicht zu stellen“, empfehlen die Regierungsfraktionen. Ob die Konsulate dazu bereit sind, bleibt abzuwarten. Tatsache ist, dass der türkische Konsulatsunterricht in einigen anderen Bundesländern stärkerer Kontrolle als in Berlin unterliegt, weil er dort von deutscher Seite mitfinanziert wird – das sichert einen gewissen Einfluss.
Eine besondere Hürde bei der Vermittlung von Kurdisch
Rot-Rot-Grüne will aber noch mehr erreichen: Wie schon in der Koalitionsvereinbarung angekündigt, sollen mehr Herkunftssprachen als bisher Einzug in die Berliner Schule halten, „damit die Schüler Wertzschätzung erfahren und wegkommen von der doppelten Halbsprachigkeit“, wie die grüne Bildungsexpertin Stefanie Remlinger die Hauptziele benennt. Als Beispiele werden weitere osteuropäische Sprachen genannt sowie Arabisch und Kurdisch.
Auch hier warten allerdings noch Probleme: Es fehlen Lehrer und Lehrwerke. Bei Kurdisch kommt die Hürde hinzu, dass es zwei sehr unterschiedliche Dialekte gibt. Remlingers Parteifreund, der Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu, sieht darin keinen Ausschlussgrund: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“, glaubt Mutlu. In anderen Bundesländern gebe es schon Erfahrungen - etwa im Rahmen von Kurdisch-AGs.