Erdogan in Deutschland: Köln ist Türkei
Wie der türkische Ministerpräsident die Kölnarena für drei Stunden zum Staat der Deutsch-Türken macht. Beim Auftritt beweist er Starcharakter, das Publikum dankt es ihm mit Standing Ovations.
Die Musik erinnert an Star Wars. Scheinwerfer blinken, über die Videoleinwand flackern hunderte Bilder des türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan. Weil der Star länger braucht, als offensichtlich geplant, muss der Moderator auf der Bühne zu der immer wieder neu startenden Musik immer weiter einpeitschen. Jetzt spricht er von der türkischen Fahne. „Ihr wisst wofür die rote Farbe steht“, ruft er und erinnert an das Blut der Märtyrer der Türkei, die man nie vergessen werde.
Im Vorprogramm war viel die Rede von der „großen Nation“, die weiter wachse. Ein Redner lobt den Aufstieg der Türkei in der Welt, ein anderer fordert von den Türken mehr Selbstbewusstsein, „damit jeder die Türken respektiert“. Es wird die „Sehnsucht nach der Heimat“ beschworen, die man auch hier in der Kölnarena spüren könne. Dazu laufen Werbefilme für das Urlaubsland Türkei – mit bildhübschen Frauen ohne Kopftuch. Das Filmchen wirkt wie ein Fremdkörper.
„Egal wo der Türke auch geboren ist, er bleibt ein Türke“, sagt ein Funktionär der türkischen Regierungspartei AKP. Die Botschaft aller Redner ist die Gleiche: Erdogan wird an diesem Nachmittag seinen Auslandsbesuch unterbrechen. Die Kölnarnena ist heute Türkei. Ein Redner sagt: „Der Ministerpräsident kommt mit einer starken Nation zusammen.“
Die mit 18 000 Menschen gefüllte Arena, in der sonst Weltstars der Popmusik und die Eishockeyspieler der Kölner Haie auflaufen, ist für das ungewöhnliche Ereignis umgerüstet worden. Die Bierbuden haben zu, die Imbissstände garantieren, kein Schweinefleisch im Verkauf zu haben. In einem Eckchen des Foyers ist ein Gebetsraum eingerichtet worden.
Vor der Halle demonstrieren über dreihundert PKK-Sympathisanten, während drinnen plötzlich Jubelgeschrei ausbricht. Endlich ist er da: Standing Ovations für Erdogan., der mit seiner Frau die riesengroße Bühne betritt. Ein Satz zur Begrüßung reicht, um die Leute zu Sprechchören zu bringen. Erdogan nennt sein Publikum „Brüder und Schwestern“, er nennt die Assimilierung „ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ – und fordert mit Nachdruck dazu auf, sich zu integrieren. Die Zeiten seien vorbei, in denen man sich als „die Anderen“ begreifen dürfe. Eltern sollen ihre Kinder auf die besten Schulen schicken, sie Sprachen lernen lassen, damit sie wichtige Positionen in der deutschen Gesellschaft ausüben können.
Es ist schwer zu ergründen, was die Faszination dieses Mannes ausmacht, der keine großen Gesten redet und die martialischen Worte seiner Einpeitscher nicht braucht. Er fesselt mit einfachen Worten. „Das ist ein ganz korrekter Mann“, sagt Sami Sahin aus Remscheid, der mit einer Enkelin gekommen ist. Erdogan denke an die armen Leute und mache gute Politik. Arife Günay aus Köln hält ihn für einen „besonderen Politiker“. Er stehe dafür, dass „Muslime moderne Menschen“, Demokratie und Islam vereinbar sein können. Die Kritik, die Veranstaltung mache Integrationsbemühungen zunichte, wie die SPD- Bundestagsabgeordnete Lale Akgün sagt, kann sie nicht nachvollziehen.
Erdogan ist der Mann, der sich endlich mal um die emigrierten Türken kümmert, sagt eine andere junge Frau. Jahrelang habe man darüber geklagt, dass sich die türkischen Regierungen nicht um die Türken im Ausland gekümmert habe.
Der Ministerpräsident geht auf die Leute zu, verlässt sein Pult und läuft mit einem Handmikro über die Bühne. „Zur Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union gibt es keine Alternative“, sagt er bei tosendem Applaus. „Die europäischen Freunde irren sich. Ihre Betrachtungsweise der Türkei ist falsch.“ Die Türkei sei stabil und ein friedliches Land, dem man vertrauen kann. Etwas grotesk wird die Erfolgsbilanz, wenn Erdogan zum Beispiel haarklein beschreibt, wie man heutzutage in türkischen Apotheken Medikamente bestellt. Was er als Errungenschaft präsentiert, ist für die Türken in Deutschland seit Jahrzehnten Alltag. Aber Applaus gibt es auch dafür. Für drei Stunden war die Kölnarena eben Türkei.
Helmut Frangenberg[Köln]