zum Hauptinhalt
Yakup Ayar, Vorsitzender der Gemeinde, Rifki Olgun Yükcekök, türkischer Generalkonsul, Innensenator Andreas Geisel und SPD-Fraktionschef Raed Saleh (von links) in der Moschee.
© Fabian Sommer/dpa

Berlins Innensenator in Neuköllner Moschee: Trauer, Wut – und ein Zeichen der Solidarität nach dem Terror

Innensenator Geisel und SPD-Fraktionschef Saleh besuchen die Neuköllner Sehitlik-Moschee. Nach dem Anschlag von Hanau ist die Stimmung gespannt.

Es regnet, als Innensenator Andreas Geisel und Fraktionschef Raed Saleh (beide SPD) auf die Treppe der Sehitlik-Moschee in Neukölln treten. Die Rufe des Imams schallen über den Innenhof. Freitagsgebet. Der Himmel trägt grau. Das rechtsextremistische Attentat im hessischen Hanau ist knapp drei Wochen her.

Kurz zuvor hatte Berlins Innensenator im Inneren des prächtigen, weißgetünchten Baus am Columbiadamm gestanden und zu den etwa 1200 Betenden gesprochen. „Wir lassen Sie nicht allein“, sagt Geisel in seiner kurzen Rede. Er bedankte sich dafür, zu den Gläubigen sprechen zu dürfen. „Salam Aleikum“, sagt Raed Saleh zur Begrüßung, selbst Muslim. Applaus brandet auf.

Die beiden Politiker sind gekommen, um ein Zeichen zu setzen: Ihr gehört zu uns, soll das heißen. Kameras klicken. In einem Nebenzimmer der Moschee hat der neue Vorstand der Sehitlik-Moschee, Yakup Ayar, zum Gespräch geladen. Auf den flachen Holztischen stehen Tee und Baklava.

Geisel hat mehr mitgebracht als warme Worte, verkündet ein Maßnahmenprogramm gegen „anti-muslimischen Rassismus“, so sagt er das. Mindestens eine Million Euro wolle man in diesem und dem kommenden Jahr für den besseren Schutz von Moscheen und Kultureinrichtungen investieren.

„Sehen Sie, ich bin ein weißer Mann“

Man habe das Problem, in der Vergangenheit nicht ernst genug genommen. „Sehen Sie, ich bin ein weißer Mann“, sagt Geisel. „Ich bekomme persönlich wenig von den täglichen Anfeindungen mit, vom Rassismus – so geht es vielen.“ Die ganze Gesellschaft habe deshalb Nachholbedarf. „Wegschauen ist keine Lösung. Wir müssen uns wehren.“

Andreas Geisel (SPD, l-r), Berliner Innensenator, Raed Saleh (SPD) wollen in einem gemeinsamen Gespräch mit Besuchern und Verantwortlichen der Moschee über anti-muslimischen Rassismus reden.
Andreas Geisel (SPD, l-r), Berliner Innensenator, Raed Saleh (SPD) wollen in einem gemeinsamen Gespräch mit Besuchern und Verantwortlichen der Moschee über anti-muslimischen Rassismus reden.
© dpa

Es ist ein hektischer Tag, für die Moscheegemeinden sind die Freitage, neben den Feiertagen, die wichtigsten Tage. Jakup Ayar trägt einen sauber geschnittenen Bart, Schlips, schwarzen Anzug. Der 33 Jahre alte Theologe, geboren in Mettmann, Nordrhein-Westfalen, will sich Zeit nehmen für ein Gespräch. Vor drei Wochen erst wurde er zum neuen Vorstand der Sehitlik-Moschee gewählt. Dann geschah Hanau.

„Wir erleben diesen Tag noch immer, als sei alles erst Stunden her“, sagt er. Es gebe Beunruhigung, Trauer. In der Gemeinde sei die Sorge groß, dass der rechtextremistische Terror auch die Sehitlik-Moschee treffen kann. Die Türen der Gemeinde stehen offen, es gibt Führungen, sie gilt als liberal. „Wir stehen sehr in der Öffentlichkeit“, sagt Ayar.

Halt in Moscheegemeinden finden

In der Vergangenheit habe es Angriffe gegeben und die Gemeinde besitze zu wenig Geld, sich selbst zu schützen. „Wir fordern mehr Schutz, wir fordern mehr Polizeipräsenz.“ In etwa sechs Wochen beginnt der Ramadan, der muslimische Fastenmonat, dann kämen vor allem an den Wochenenden mehr als 200 Eltern mit ihren Kindern in die Moschee.

Yakup Ayar, Vorstandsvorsitzender der Gemeinde, Innensenator Andreas Geisel und SPD-Fraktionschef Raed Saleh vor der Sehitlik-Moschee.
Yakup Ayar, Vorstandsvorsitzender der Gemeinde, Innensenator Andreas Geisel und SPD-Fraktionschef Raed Saleh vor der Sehitlik-Moschee.
© Fabian Sommer/dpa

Ayar ballt die Faust, redet nachdenklich, wählt seine Worte genau. „Diese Vorfälle werden Muslime nicht von Moscheen fernhalten. Ganz im Gegenteil: Die Menschen werden noch mehr Halt in den Moscheegemeinden finden“, sagt er. Es klingt entschlossen, kämpferisch.

Er sei dankbar, dass Saleh und Geisel gekommen sind, sagt er. Aber auch: „Hanau ist drei Wochen her – ich hätte mir gewünscht, dass diese Begegnung früher stattfindet.“ Fernsehansprachen hielten sich leicht, noch einfacher verschicke man eine Pressemitteilung, dieser Besuch in der Moschee aber habe etwas bedeutet für die Mitglieder der Gemeinde. Dass ein hochrangiger Berliner Politiker wie Raed Saleh Muslime mit „Salam Aleikum“ begrüßt? „Eine super Geste.“

[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Etwa eine Stunde zuvor hatte der SPD-Fraktionschef vor Journalisten gesagt: „Der Islam gehört bei uns in der Gesellschaft selbstverständlich dazu.“ Und: „Der Islam muss Normalität sein.“ Das allein helfe gegen Ausgrenzung und Rassismus. Wunschvorstellung oder Realität?

Politik sollte enger mit muslimischen Organisationen zusammenarbeiten

„Das ist keine Wunschvorstellung“, sagt Ayar. Der Islam gehöre längst zu Deutschland. „Muslime leben hier selbstverständlich, sie sind hier geboren.“ Man könne die vielen Menschen in Deutschland, die dem Islam angehören, nicht einfach ausgrenzen. Allerdings, fordert der Gemeindevorstand, müsse die deutsche Politik künftig viel enger mit muslimischen Organisationen und Interessenverbänden zusammenarbeiten.

„Wir brauchen mehr Dialog auf Augenhöhe“, sagt er. Seit Hanau passiere das vermehrt. Innensenator Geisel hatte etwa verschiedene Interessenverbände nach dem Anschlag zu sich eingeladen, kommende Woche soll ein weiteres Treffen stattfinden. „Das ist aber noch zu wenig“, sagt Ayar, der auch Mitglied im Landesvorstand der DITIB ist – der „Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion“, die auch Träger der Sehitlik-Moschee ist.

„Der Politiker, der für unsere Sicherheit sorgt“

Die Organisation wird kritisiert, unter starkem Einfluss der staatlichen türkischen Religionsbehörde zu stehen, zum Beispiel Kriegspropaganda zu verbreiten. Ayar weist das entschieden zurück. „So etwas gibt es hier nicht“, sagt er.

Dass Dialog immer von zwei Seiten kommen muss, bestreitet Ayar nicht. „Wir muslimischen Gemeinden sind seit langem bereit, uns zu öffnen und arbeiten mit allen Mitteln daran.“, sagt er. Warum das in der Sehitlik-Moschee teilweise geschehe, woanders aber kaum? Ayar erklärt das mit mangelndem Personal, mangelnden Kapazitäten.

Bei den Gläubigen hat der Besuch Eindruck hinterlassen. Bei einigen. Immerhin. Deutsche Politiker kommen ja selten. „Wer ist das?“, fragt einer und zeigt auf Andreas Geisel. Ein Moscheevertreter sagt: „Der Politiker, der für unsere Sicherheit sorgt.“ Der Mann streicht sich den Bart. Dann nickt er einmal.

Zur Startseite