Filmstadt Berlin: Tom Tykwer dreht auf dem Alex
Am Sonntag wurde auf dem Alex die Zeit zurückgedreht: Tom Tykwer drehte Szenen für die Volker-Kutscher-Verfilmung „Babylon Berlin“.
Na bitte, endlich mal etwas Action auf dem Alex. Ein klitzekleines Mädchen, ganz in Weiß, Mandelaugen, schwarze Haare, Pagenschnitt, will sich nicht länger von so einer blöden Absperrung stoppen lassen und rennt los, rauf aufs Filmset, so schnell die Füßchen es tragen. Ist es doch dort hochinteressant: Die Menschen so komisch gekleidet, auch eine altertümliche Straßenbahn und klobige Autos in düsteren Farben stehen herum. Hat sie so bestimmt noch nie gesehen.
Aber da wetzt der Wachmann vom Eingang auch schon hinterher, schnappt sich die Kleine, durchaus behutsam, reicht sie der Mama, die hinterhergeeilt ist, und bittet nun alle, auch den aufs Set drängenden Rest der Gruppe, höflich, doch bestimmt wieder hinaus. „Sorry, closed area.“ Aber für ein paar rasche Selfies reicht die Zeit dann doch, die nun vielleicht als Gruß „from this exciting Berlin“ nach Tokio oder Hongkong gesendet werden – oder wo, bitte, kommen Sie her? „We are from Vancouver.“ So kann man sich irren.
Verfilmung der Geschichten um Kommissar Gereon Rath
Was hier gedreht wird, wissen die Gäste aus Kanada natürlich nicht, „a new movie“, mehr hat der Mann am Tor nicht verraten. Mehr hätte auch kaum geholfen. Tom Tykwer verfilmt Volker Kutschers Geschichten um den Kommissar Gereon Rath? Von beiden hat der Familienvater noch nie gehört.
„Babylon Berlin“ heißt das 40-Millionen-Euro-Projekt von ARD, Sky, X Filme und Beta Film, zu drehen in zwei achtteiligen Staffeln, mit Tom Tykwer, Achim von Borries und Hendrik Handloegten als Autoren und Regisseuren, mit Volker Bruch als Kommissar und weiteren Stars wie Matthias Brandt, Hannah Herzsprung, Benno Fürmann oder Fritzi Haberland. Mitte Mai hatten die Dreharbeiten in der „Neuen Berliner Straße“ im Studio Babelsberg begonnen, werden sich noch monatelang hinziehen und sind an diesem Sonntagvormittag nun eben auf dem Alexanderplatz angelangt.
Genau genommen auf dem trapezförmigen östlichen Drittel, eingefasst vom winkelförmigen historischen Alexanderhaus, dem Saturn-Elektronikmarkt und zur Platzmitte hin, hinter den Straßenbahngleisen, von einer mannshohen, mit blauer Plane verkleideten Absperrung begrenzt. Gut möglich, dass auch sie wie der zusätzlich montierte Blue Screen später dazu dient, dem realen Ort ein historisches Ambiente zu verleihen, die Spuren der Gegenwart am Computer heraus- und die Zeugnisse der Vergangenheit hineinzuschneiden. Die Weltzeituhr jedenfalls hat in einer in den zwanziger Jahren spielenden Serie keine Chance zu überleben.
Von solchen später auszuradierenden Fremdkörpern abgesehen: Für hinreichend Zeitkolorit ist gesorgt. Gut ein halbes Dutzend altertümlicher Autos, alle mit dem alten Berliner IA-Kennzeichen versehen, kurven auf dem Platz herum, wenn Tom Tykwer das Zeichen gibt.
Die alte Straßenbahn ist der Blickfang
Auch ein Bierkutscher dirigiert seine Fässerladung zweispännig über den Platz, auf dem ein Querschnitt durch die Berliner Gesellschaft der Weimarer Zeit mal müßig herumsteht, mal zielstrebig vor laufender Kamera nach festgelegter Choreografie flaniert, parliert, einherschreitet: abgerissene Proletarier mit Schiebermützen, ein kleiner Junge, der, verdreckt, verschrammt und blutig, offenbar gerade eine Keilerei überstanden hat, Schupos mit Tschako, feine Pinkel mit Melone, die Frauen gern mit Bubikopf und Glockenhut, auch eine kleine Gruppe orthodoxer Juden aus dem Scheunenviertel wurden nicht vergessen. Nahe Saturn wurde ein historischer Kiosk („Tabak und Presse am Alexanderplatz“) aufgebaut, und die historischen Radler hätten mit ihren robusten Gefährten beim Velothon für einiges Hallo gesorgt. Als städtische Transportmittel haben Kiepe und Bollerwagen heute ebenfalls ausgespielt.
Aber der Blickfang ist doch die alte Straßenbahn, die Tykwer immer wieder bei wuselig-luftigem Altberliner Großstadtverkehr die wenigen Meter auf die Haltestelle „Alexanderplatz“ zurollen, anhalten und zurückfahren lässt. Ein nur zwei Waggons langer Zug der Linie 48 E zwischen Hackescher Markt und Pankow-Kirche, gefüllt mit Fahrgästen, die jetzt in der Sonne ziemlich schwitzen dürften. Aber zumindest müssten sie sich hier, sollten sie unter Nikotinsucht leiden, nach der Aufschrift am hinteren Waggon keinen Zwang auferlegen. Schließlich steht dort groß und breit: „Raucher“.