Große Koalition: Tiefschwarz war gestern
Eine neue große Koalition zwischen SPD und CDU schreckt viele Genossen in Berlin. Ist ihre Sorge vorm Erwachen „der alten CDU“ berechtigt?
So schnell kann das gehen in der Politik: Noch vor ein paar Wochen bestritten führende Sozialdemokraten, dass die Berliner CDU ein möglicher Regierungspartner sei. Klaus Wowereit etwa sagte, eine Koalition sei unwahrscheinlich, weil sich die Union „kaum erneuert“ habe. Hinter dem Mann an der Spitze – Frank Henkel – lauerten noch immer die gleichen Gestalten, erklärten SPD-Politiker im Wahlkampf. Und ein wichtiger linker Sozialdemokrat sagte, jenseits aller inhaltlichen Gegensätze bestünden menschliche – vor allem in der CDU: „Es gibt einfach zu viele, die uns hassen“. Das galt wohl auch umgekehrt. Nun will man am Mittwoch mit Koalitionsverhandlungen beginnen.
Die Pflege alter Vorbehalte hatte im Wahlkampf ihren Sinn – mit der Wirklichkeit hat sie nicht so viel zu tun. Schon die neue CDU-Fraktion hat mit der nicht mehr viel gemein, die vor einem Jahrzehnt die Macht verlor. Damals hatte der mächtigste Mann Berlins noch vor dem Regierenden Bürgermeister, CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky, 75 Abgeordnete geführt. Sein Nach-Nach-Nach- Nachfolger Frank Henkel war in der vergangenen Legislaturperiode Vormann für 37 Parlamentarier; seit der Wahl sind es 39. Von diesen 39 sind 16 Abgeordnete neu in der Fraktion. Einige andere haben zwar zwischen 1999 und 2004, also zur Zeit des Bankenskandals und der Polit-Apokalypse der Berliner CDU, schon dem Abgeordnetenhaus angehört. Doch waren sie, wie zum Beispiel der Wissenschaftspolitiker Nico Zimmer, viel zu jung, um politisch haftbar zu sein für Skandal und Machtverlust. Wen also meinten die Genossen, wenn sie hinter Henkels Rücken schon wie in dem Film „Nebel des Grauens“ Gestalten auftauchen sahen, die sie an die grauenhafte Zeit ihrer politischen Gefangenschaft als Juniorpartner der CDU erinnerten?
Frank Steffel kann es nicht sein. Der Bundestagsabgeordnete mag manchen, die sich für Politik interessieren, als Gesicht von 2001 in Erinnerung sein. Das lag daran, dass er sich in einer Mischung aus Parteisoldatentum und Fehleinschätzung der Lage als Spitzenkandidat zur Verfügung stellte – während 2001 große Teile des Publikums die Union in den Orkus wünschten.
Und Ingo Schmitt? Der Politiker, der von Stil und Selbstgewissheit noch am ehesten dem CDU-Ideal der 90er Jahre entsprach und doch bis 2008 ganz oben im Landesverband dabei war, wurde vor drei Jahren von Henkel von der Macht entfernt. Nicht mal in Charlottenburg-Wilmersdorf, Schmitts früherem Königreich, ist viel von ihm zu hören.
Und Eberhard Diepgen wird Klaus Wowereit mit seinem „kaum erneuert“ auch nicht gemeint haben. Der ehemalige Regierende weiß, warum seine Parteifreunde ihn zum „Ehrenvorsitzenden“ wählten: Von Ehrenvorsitzenden wird allgemeines Schweigen zur Lage erwartet (das gilt nicht für Helmut Kohl).
Lesen Sie auf Seite zwei mehr zu den Gründen der üblen Nachrede zu Wahlkampfzeiten.
Aus Sicht der schlechtgemachten Christdemokraten hat die üble Nachrede, wie man sie in Wahlkampfzeiten zu hören bekam, ganz andere Gründe. So lenke die SPD von eigenen Defiziten ab, heißt es. Dass man zum Beispiel einem Steffel die Erfolge der Reinickendorfer CDU nicht verzeiht, versteht sich – in diesem Bezirk ist für die Union ganz einfach die Welt noch in Ordnung, wenn sie mehr als 40 Prozent der Wählerstimmen gewinnt. Noch weniger verzeihlich ist so ein Erfolg, weil ausgerechnet Steffel seine CDU mit einer offenen Liste in den Wahlkampf geschickt hatte, auf der Parteilose ganz oben ebenso Platz gefunden hatten wie ein ehemaliger SPD-Mann.
Oder Michael Braun – auch so einer, der für lang gediente Genossen schon sehr lange das Gesicht des politischen Gegners darstellt. Braun pflegt in den Auseinandersetzungen einen schroffen Stil – und ist doch der Entwickler eines schwarz-grünen Bündnisses auf Bezirksebene: In Steglitz-Zehlendorf, deren mächtigen CDU-Kreisverband Braun seit Jahren führt, kommen Bezirksverordnete der CDU und der Grünen so gut miteinander aus, dass sie in der kommenden Legislaturperiode gemeinsam weitermachen wollen.
Gerade Braun hat für den „Nicht-genug-erneuert!“-Vorwurf nur ein Schulterzucken übrig. Wie wenig dieser Befürworter von Bürgerbeteiligung, der lange vor der Wahl eine Volksbefragung zur A100 gefordert hat, mit der alten CDU von Diepgen und Landowsky zu tun hat, ist in den tieferen Schichten des Parteigedächtnisses festgehalten. Dreimal, erzählt Braun, habe er als junger Mann in den frühen siebziger Jahren die Mitgliedschaft in der CDU beantragt, bis der damalige Kreischef von Zehlendorf nachgab und ihn eher unwillig aufnahm. Dessen Name: Klaus Landowsky.
„Wir waren früher eine von oben strukturierte Partei“, sagt Braun. Das ist längst anders. Die CDU hat ihr Wahlkampfprogramm sozusagen basisdemokratisch erstellt – per Befragung ihrer Mitglieder. Organisiert hat Thomas Heilmann den Prozess. Henkels Stellvertreter im Parteipräsidium war verantwortlich für ein Verfahren, in dem Mitglieder und Bürger auf Probleme hinweisen konnten. Sache der Fachleute der Partei war es dann, Lösungen zu entwickeln.
Heilmann steht als Person für die Erneuerung der CDU – was die Basis der Partei lange mit Skepsis betrachtet hat. Das ist heute anders. Henkel selbst, Monika Grütters und Heilmann haben die Partei in Richtung politische Mitte geschoben, um in Berlin wieder wählbar zu werden.
Weil die runderneuerte CDU-Programmatik – von der Bildung bis zur Integration – in der Programmdiskussion an die Basis gebracht wurde und weil dieser Prozess mit Henkel genauso verbunden ist wie mit Heilmann, trägt die Basis alles mit. Die Chance auf Teilhabe an der Macht ist so überraschend, dass ohnehin niemand in der Partei jetzt mit überzogenen Forderungen kommt. Womöglich, heißt es an der Basis, wird es in der Schulpolitik spannend – und bei der inneren Sicherheit. Dass man die Gemeinschaftsschule einfach so mittrage oder die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte, sei schwer vorstellbar. Darüber werden die Sozialdemokraten mit CDU-Politikern zu streiten haben, die vor zehn Jahren noch keine Verantwortung trugen.
Werner van Bebber