Neue Show im Theater am Potsdamer Platz: Thomas Hermanns bringt die Boybands der 90er zurück
In den 90ern gefeiert, heute belächelt: Backstreet Boys, Take That und viele mehr. Thomas Hermanns will das ändern: Mit einer Show, die nicht nur Fans von damals erreicht.
Thomas Hermanns meint das wirklich ernst. Man erwartet ja bei Deutschlands Chefkomiker, Entertainer mit Herz für Trash, Erfinder des Quatsch Comedy Clubs, dass sich hinter diesem breiten Grinsen immer irgendwo eine Pointe versteckt. Und ganz ehrlich: Eine Show über die Boybands der 90er Jahre? Diese zusammengecasteten Jünglinge, die entweder halbnackt durch den Regen tanzten oder in weißen Anzügen vom Bravo-Cover schmachteten und zu deren zweifelhaften Hits man heute höchstens noch nachts um drei betrunken auf der Weihnachtsfeier tanzt? Nein, sagt Thomas Hermanns, seine neue Show „Boybands Forever“, die am heutigen Donnerstag im Theater am Potsdamer Platz Berlin-Premiere feiert, ist eine ernstgemeinte Hommage an eine völlig unterschätzte Zeit in der Musikgeschichte. Und die Pointe ist: völlig zurecht.
Theater am Potsdamer Platz, 7. Stock, Blick aufs Theaterufer, hier wo in zwei Wochen wieder ein unübersichtliches Gewusel zwischen Rotem Teppich und Filmfans herrschen wird, ruht der Piano-See noch still. Oben ein schmuckloser Probenraum, unverputzte Decke, großer Spiegel, in der einen Ecke Ballettstangen, in der anderen eine zusammengeklappte Tischtennisplatte. Irgendwer hat zwei Stühle hingestellt, mitten in den Raum, Thomas Hermanns, eher ein Mann des Nachtlebens, sieht müde aus, braucht erstmal einen Kaffee. „Klar wurde ich belächelt“, sagt er dann, aber das kennt er ja schon. Beim Quatsch Comedy Club, vor mehr als 20 Jahren, hätten ihn auch alle für verrückt erklärt, Stand-Up-Comedy in Deutschland, schon wieder eine Pointe. Heute läuft das Format erfolgreich im Fernsehen, hat einen festen Ort an der Friedrichstraße und ist Talentschmiede für Deutschlands Komiker-Nachwuchs. Heute weiß man: Was der Hermanns anpackt, das wird was. Also hat man ihn machen lassen.
Die Lieder sind überschattet von den Videos
Und wie er gemacht hat! Sechs Stockwerke tiefer bekommen fünf zusammengecastete Jünglinge gerade die Headsets angelegt und man denkt sofort: Ja, die hätten auf der Bravo auch funktioniert, obwohl sie heute zur ersten Durchlaufprobe noch Jogginghosen und Turnschuhe tragen. Zum Warm-Up singen sie „Back For Good“ von Take That, mehrstimmig, volle Stimmgewalt, perfekte Ballade, Gänsehaut. „Dieser Song hat die gleiche Qualität wie ,Yesterday‘ von den Beatles“, sagt Hermanns. Überhaupt ist das der Grund, warum wir heute hier sitzen in den roten Theatersesseln: Als er in seiner Pop-Shuffle-Playlist auf dem Laufband „Breathe Easy“ von Blue hörte, aus dem Kontext gerissen, dachte er: Was für ein geiler Song, was für eine Wahnsinnsballade, so viel besser als man es in Erinnerung hat.
„Diese Lieder sind überschattet von den Videos, von den 90ern, man denkt immer nur an die albernen Klamotten, Robbies Fellhut!“, sagt Hermanns. Bunt, frivol, naiv und easy, das heißt dann eben, vor allem in Deutschland, immer auch: qualitativ minderwertig. „Ich werde dann immer trotzig und sage: Leute, guter Pop ist schwer, hört euch doch mal die Songs an.“ Und das hat er getan, mit „The Voice“-Zugang – am Klavier, ohne Videos, ohne Weichspüler, quasi nackt, nur die Musik. „Die erste Überraschung war: Das sind wahnsinnig gute Songs, große Emotionen und gar nicht so dumme Texte, wie man denkt.“
Comedian Ole Lehmann hält die Sache zusammen - auch singend
Die Headsets sitzen, die Leinwand spinnt noch etwas, Hermanns, der Perfektionist, findet das gar nicht lustig. „Jetzt sollte das Touché-Bild kommen“, raunt er ins Mikro. Es laufen weiter die Bilder kreischender Fans, der ganze Groupie-Wahnsinn. Schlimme modische Ausfälle, Netzhemden, Oben-Ohne-Shootings im Meer, Gary Barlows Blondie-Phase – sie haben die besten Bravo-Schätze gehoben. Und natürlich ist das alles auch große Showtreppe, ein Wasserdreh wird nachgestellt wie in „Quit Playing Games With My Heart“ von den Backstreet Boys und jede Menge Hermanns-Klamauk, ein bisschen Spaß muss sein.
Dafür ist vor allem Ole Lehmann zuständig, eine der Quatsch-Comedy-Club-Entdeckungen, heute dick im Geschäft und, was viele nicht wissen: ausgebildeter Musical-Darsteller. Er führt als eine Art Conferencier durch den Abend, witzig kommentierend, selbstironisch und sympathisch. Aber – und vor allem deshalb hat Hermanns diese Rolle, die eigentlich seine Stimme ist, nicht einfach selbst übernommen – auch singend.
Videowand auf, Lehmann tritt aus dem Showlogo-Stern, Madonna-T-Shirt. „Und die mitgeschleppten Männer in der ersten Reihe werden am Ende am lautesten mitsingen“, ruft er ins leere Theater hinein, Hermanns grinst. In München hat es bereits funktioniert, da hat die Show im Herbst Premiere gefeiert, nun geht es auf große Deutschlandtour, sechs Wochen, 29 Städte. „Wir dachten, dass es vielleicht im zweiten Teil, nach der Pause und ein paar Prosecco, richtig laut werden würde“, sagt Hermanns. „Aber die Leute standen ab der ersten Nummer.“
In Deutschland haben sie niemanden gefunden, der die Nummern singen und tanzen konnte
Das liegt vor allem auch an den Tanznummern, umgesetzt von Choreograf Marvin A. Smith, der unter anderen mit Michael Jackson gearbeitet hat. Hermanns zweite Erkenntnis war nämlich: Als die Jungs beim Casting eine Choreographie von NSYNCs „Bye Bye Bye“ tanzen sollten, „haben wir gemerkt wie schwierig das ist“. In Deutschland hätten sie niemanden gefunden, der das tanzen und gleichzeitig die hohen Balladen singen konnte, „von wegen leicht, fluffig und sexy“, sagt Hermanns. Josh Randall, Christopher Haul, Robbie Culley, David Lei Brandt und Hector Mitchell-Turner haben sie schließlich in London und den USA entdeckt, sie sind nun an einem Abend New Kids On The Block, East 17, One Direction, Boyzone, Worlds Apart, All-4-One – und natürlich Take That und Backstreet Boys, eigentlich unvereinbar. „Eine Frage die tiefe Gräben auf den Schulhöfen der 90er Jahre hinterlassen hat“, sagt Lehmann und schon erklingen die ersten Akkorde von „Pray“, natürlich von einer Liveband gespielt.
Die fünf Jungs stehen prototypisch für jede Boyband: Der Schwiegersohn (Gary Barlow/Howie Dorough), der Bruder (Howard Donald/Kevin Richardson), der Sweatheart (Mark Owen/Nick Carter), der Bad Boy (Robbie Williams/AJ McLean) und der Fünfte, an den sich heute niemand mehr erinnert – Jason Orange, Brian Litress und „irgendwie alle in Westlife“, ruft Lehmann. Spätestens bei „Step by Step“ wippt der Fuß, die Lippen singen wie von selbst mit. Aber das muss uns jetzt ja nicht mehr peinlich sein, oder Herr Hermanns?
„Ich befinde mich auf einer Kampagne“, sagt er: „Lasst uns beweisen, wie gut diese Sachen sind. Und dass sie die nächsten 100 Jahre überdauern werden.“
Das wird seine Show vielleicht nicht, erst nach der Tour Mitte März wird entschieden, wie es weitergeht. Die Prognosen stehen gut: Kreischende Mädchen gab es in den 90er Jahren schließlich genug.
Boybands Forever, bis Sonntag, 4.2., jeweils 18 Uhr, im Theater am Potsdamer Platz, Marlene-Dietrich-Platz 1, Tiergarten. Karten ab 49,90€. Weitere Infos unter: www.boybands-forever.de
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