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Showtime. Szene aus „Der Glöckner von Notre Dame“, derzeit zu sehen im Theater des Westens.
© Johan Persson/Disney/Stage Entertainment

Geschäftsführerin von Stage Entertainment: „Die Musical-Konkurrenz in Berlin ist enorm“

Stage-Geschäftsführerin Uschi Neuss über den Mangel an guten Musicals, die Zukunft des Theaters am Potsdamer Platz und die Zusammenarbeit mit staatlichen Bühnen.

Frau Neuss, seit fast einem Jahr ist das einstige Flaggschiff der Stage Entertainment in Berlin, das Theater am Potsdamer Platz, nun schon geschlossen. Musste das wirklich sein?

Die Entscheidung ist uns wahrlich nicht leichtgefallen, hier die dauerhafte Bespielung durch große Musical-Shows einzustellen. Aber wir haben auf absehbare Zeit keine Möglichkeit gesehen, das Theater wirtschaftlich erfolgreich zu betreiben. Genau das müssen wir aber tun, da wir keine Subventionen erhalten.

Lag es auch am relativ niedrigen Berliner Preisniveau?

Das ist auf jeden Fall eine Komponente. Durch die große Dichte von Angeboten ist in Berlin der Konkurrenzdruck enorm hoch, was wiederum die Ticketpreise drückt. Im Vergleich mit allen anderen Standorten, an denen wir spielen, hat Berlin tatsächlich die niedrigsten Preise pro Sitzplatz. Weil wir aber auf der Bühne keine Kompromisse eingehen können, brauchen wir hier mehr Zuschauer pro Abend, um dasselbe Ergebnis wie anderswo zu erzielen. Ein weiterer Faktor ist, dass wir immer dann erfolgreich waren, wenn wir eine Show angeboten haben, die zu dem Ort passt, an dem sie gezeigt wird. Das Publikum honoriert das Gesamterlebnis eines Musical-Besuchs, bei dem eben auch das ganze Drumherum stimmig ist. Wir erreichen das in Berlin mit der Blue Man Group und wir haben es mit „Hinterm Horizont“ erreicht.

Derzeit läuft im Theater des Westens, der anderen großen Stage-Entertainment- Bühne in Berlin, der „Glöckner von Notre Dame“ – ein Stück, das einst explizit zur Eröffnung des Neubaus am Potsdamer Platz konzipiert worden ist.

Wir haben die Show für das Theater des Westens intensiv überarbeitet, mit neuer Regie und komplett anderem Bühnenbild. Damit Stück und Haus nun auch dort organisch verschmelzen können.

Der neue „Glöckner“ ist auf Ihrer Website allerdings als Tournee-Produktion verzeichnet.

Ja, das ist unser Konzept in Berlin: Wir wollen das TdW zur Brutstätte von neuen Shows machen, die dort einige Monate laufen, und dann von der Hauptstadt aus in andere Märkte gehen, zum Beispiel nach München oder auch in die Schweiz oder nach Österreich.

Noch einmal zurück zum Theater am Potsdamer Platz. Sie haben dort einen Mietvertrag, der noch bis 2022 läuft. Darum herrscht jetzt das Prinzip Gemischtwarenladen: Jeder, der bezahlt, darf hier auftreten, für die kommenden Monate sind beispielsweise ein Zauberer-Duo sowie eine Comedy-Show mit dem Titel „Sex und Sechzig“ angekündigt, dazu eine russische „Schwanensee“-Produktion, André Hellers „Afrika! Afrika!“ und das Musical „Boybands forever“.

Ja, wir konzentrieren uns derzeit auf das Vermietungsgeschäft an Tourneeveranstalter, aber das ist keine Dauerlösung für das Haus. Ich kann Ihnen aber versichern, dass wir hinter verschlossenen Türen intensiv über Zukunftsperspektiven verhandeln.

Die nächste Produktion im Theater des Westens, „Ghost – Nachricht von Sam“, die im Dezember herauskommt, ist eine Koproduktion mit der Musical-Sparte des Theaters in Linz. Also mit einem weitgehend staatlich finanzierten Haus.

Die Zeiten und Haltungen ändern sich. Früher gab es ein klares Gegeneinander von privatwirtschaftlich arbeitenden Musical-Produzenten und subventionierten Stadt- und Staatstheatern. Weil es uns aber darum geht, zu guten Inhalten zu kommen, beharren wir nicht darauf, alle Shows allein zu entwickeln, sondern gehen jetzt auch Partnerschaften ein. Im Fall von „Ghost“ sieht das so aus, dass wir die Aufführungsrechte der britischen Originalproduktion von 2011 einkaufen und das Theater Linz seine Infrastruktur zur Verfügung stellt, damit wir eine ganz neue Inszenierung machen können. Linz hat das Stück zunächst gezeigt, nicht acht Mal die Woche, wie bei uns üblich, sondern als eine Produktion in ihrem Repertoirebetrieb. Wenn wir „Ghost“ übernehmen, werden wir die Show für das Theater des Westens noch einmal weiterentwickeln.

"Kooperation mit staatlichen Häusern ist eine Win-win-Situation"

Showtime. Szene aus „Der Glöckner von Notre Dame“, derzeit zu sehen im Theater des Westens.
Showtime. Szene aus „Der Glöckner von Notre Dame“, derzeit zu sehen im Theater des Westens.
© Johan Persson/Disney/Stage Entertainment

Auch mit der Folkwang-Universität Essen haben Sie kooperiert, bei einem „Goethe“- Musical.

In diesem Fall kam das Stück aus unserem Haus. Wir hatten nämlich die Macher unseres Musicals „Das Wunder von Bern“, den Regisseur Gil Mehmert und den Komponisten Martin Lingnau, beauftragt, Philip Stölzls Film über die junge Lebensphase des Dichters für die Bühne zu bearbeiten. Das Ergebnis gefiel uns, aber wir wussten, dass wir den Stoff nicht in einem unserer großen Häuser wirtschaftlich erfolgreich spielen können. Darum haben wir das Stück der Folkwang-Universität für eine Inszenierung zur Verfügung gestellt. Und wir hoffen, dass sich andere Bühnen dadurch ermutigt fühlen, es bald nachzuspielen. Das ist gewissermaßen wie bei den Tryouts in Amerika, wo neue Werke zunächst außerhalb von New York vor dem Publikum bestehen müssen, bevor sie an den Broadway kommen.

Böswillig formuliert könnte man natürlich sagen: Die Stage Entertainment, die so stolz darauf ist, keinen Cent vom Staat zu bekommen, versucht sich über den Umweg von Koproduktionen jetzt doch noch Subventionen zu erschleichen.

Ich sehe da eher eine Win-win-Situation: Die staatlichen Institutionen profitieren davon, dass wir die Rechte erwerben respektive das Stück entwickeln und sie nur die Kosten der konkreten Aufführungen tragen. Wir wiederum erhalten die Chance, die Wirksamkeit der Stücke live auf der Bühne austesten zu können, um zu sehen, was schon gut funktioniert und wo wir noch nacharbeiten müssten, damit das Stück in unseren Theatern funktionieren kann.

Das Hauptargument von Stage Entertainment bei der Schließung des Theaters am Potsdamer Platz war, dass es keine geeigneten Stücke gebe. Allein in Wien aber sind in letzter Zeit drei Uraufführungen herausgekommen. Taugen die alle nichts?

Mit den Vereinigten Bühnen Wien sind wir in sehr engem Kontakt, schon weil wir gegenseitig Lizenznehmer sind, sie also Stücke von uns nachspielen wie „Sister Act“ oder „Ich war noch niemals in New York“, während bei uns immer noch deren größter Hit, „Tanz der Vampire“ läuft. Aber Wien ist ein subventionierter Betrieb, die haben konkret den Auftrag, neue Werke herauszubringen. Zwei der drei Uraufführungen waren zudem gezielt auf die österreichische Geschichte ausgerichtet, nämlich „Schikaneder“, über den Librettisten der „Zauberflöte“, und „I am from Austria“ mit Musik von Rainhard Fendrich. Das spricht die Einheimischen und die Wien-Touristen an, ist allerdings kaum auf andere Standorte übertragbar. Wir werden immer mal wieder gefragt: Warum macht ihr in Stuttgart keine Shows auf Schwäbisch? Weil man sich in der Verwertung eben einfach zu sehr einschränkt, wenn man sich lokal bindet.

Eine Alternative ist, fertige Produktionen aus den USA oder Großbritannien einzukaufen.

Natürlich schauen wir uns alle Stücke an, die international erfolgreich gespielt werden, und versuchen bei Eignung für den deutschsprachigen Markt dann, die Rechte zu bekommen.

Es besteht also weiterhin die Chance, dass das „Harry Potter“-Theaterstück irgendwann auf Deutsch in einem Theater in Deutschland laufen wird?

Ja, durchaus.

Das Gespräch führte Frederik Hanssen. Uschi Neuss, geboren 1966 in Brühl, studierte in Köln Geschichte, Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte. Ab 1996 arbeitete sie zunächst in Duisburg bei „Les Misérables“, wechselte dann zum „Phantom der Oper“ nach Hamburg. Seit 2001 ist sie für die Stage Entertainment als deutsche Geschäftsführerin tätig. Damit ist sie für alle elf Häuser verantwortlich, die der holländische Konzern in der Bundesrepublik betreibt. In Berlin sind das die Bühne der Blue Men Group, das Theater des Westens und das Theater am Potsdamer Platz.

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