Flüchtlinge in Berlin: Syrer legen Verwaltungsgericht mit Klagewelle lahm
Die Zahl der Asylklagen in Berlin hat sich mehr als verdreifacht – das verlangsamt auch andere Verfahren, etwa auf einen Schulplatz oder eine Bauerlaubnis.
Die Zahl der Asylverfahren am Berliner Verwaltungsgericht steigt derzeit massiv, und das hat Folgen. In den ersten zehn Monaten dieses Jahres gingen 6908 neue Asylklagen ein, im gesamten Vorjahr waren es 2343. „Wenn es so weitergeht, könnte sich die Zahl der unerledigten Verfahren zum Jahresende nahezu verdoppelt haben“, sagt Gerichtssprecher Stephan Groscurth.
Die Zahl der Eingänge beim Verwaltungsgericht ist bis Oktober gegenüber dem Vorjahreszeitraum um fast 37 Prozent gestiegen. Dies ist laut Gericht maßgeblich auf Asylverfahren zurückzuführen. Ihr Anteil am aktuellen Gesamtbestand der Vorgänge liegt bei fast 40 Prozent, Tendenz steigend. Dabei hatte das Gericht nach Jahren der Überlastung gerade einen positiven Zustand erreicht – Eingänge und Erledigungen hielten sich fast die Waage, ein Klageverfahren dauerte 9,6 Monate. Das ändert sich jetzt. Der Bestand unerledigter Verfahren ist um 52 Prozent gestiegen. „Das wird uns über Jahre lahmlegen“, sagt ein Richter. Die zusätzlichen Verfahren werden in Fünfzigerpacks gebündelt und auf alle Kammern verteilt.
Die Klagewelle hat aber nicht nur Folgen für das Gericht, das jetzt dringend weiteres Personal braucht, und für die klagenden Flüchtlinge, sondern auch für jeden anderen Kläger, der etwa einen Schulplatz oder eine Bauerlaubnis haben will: Die Verfahrenszeiten verlängern sich für alle erheblich.
Die jetzige Situation war vorhersehbar – erstens gibt es seit Längerem mehr Asylbewerber, zweitens arbeitet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) dank zusätzlichen Personals mehr Fälle ab, und drittens hat es seine Entscheidungspraxis geändert und billigt syrischen Antragstellern meist nur noch subsidiären Schutz zu. Ausländerrechtliche Folge: Kein Familiennachzug bis März 2018. Klagen richten sich also auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus.
Für Kläger fallen meist keine Kosten an
Gerichtspräsidentin Erna Viktoria Xalter fordert schon länger eine bessere Ausstattung des Gerichts, von dessen 94 Stellen derzeit nur 87 besetzt sind und für das im Haushaltsplan 2017 nur drei weitere Richterstellen vorgesehen sind.
„Der klagende syrische Flüchtling trägt kein finanzielles Risiko, wenn ihm Prozesskostenhilfe gewährt wird“, sagt der Rechtsanwalt Housam Ibrahim, der viele Asylverfahren hat. „Dies ist der Fall, wenn die Erfolgsaussichten der Klage zumindest offen sind.“ Auch bei ihm sei die Zahl der Mandate gestiegen.
Selbst wer keine Familie habe, die er nachholen wolle, stelle sich besser, wenn er den Flüchtlingsstatus erhält, betont der Anwalt. Dieser könne nämlich nur unter engen Voraussetzungen widerrufen werden.
Ist die Prozesskostenhilfe erst einmal gewährt, dann ist der Ausgang des Gerichtsverfahrens kostenmäßig für den klagenden Flüchtling egal: Gewinnt er, so muss das BAMF die Verfahrenskosten tragen, also der Bund. Verliert er, dann zahlt Berlin. Gerichtskosten fallen im Asylverfahren nicht an, und den Anwalt übernimmt das Land.
Das hat im schlimmsten Fall noch mit weiteren Kosten zu rechnen: Seit fünf Jahren gibt es im Gerichtsverfassungsgesetz einen Entschädigungsanspruch, wenn Verfahren unangemessen lange dauern. Pro Jahr kann der wartende Kläger dann mit 1200 Euro Schadensersatz rechnen. So weit soll es aber nicht kommen. Aus Verhandlerkreisen ist zu hören, man habe das Problem des Verwaltungsgerichts bei den Koalitionsgesprächen auf dem Schirm.