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Der Klimaschutz findet eine breite öffentliche Akzeptanz – und man sollte die Sorgen der Menschen ernst nehmen.
© PNN / Ottmar Winter

Brauchen wir den Klimanotstand in Berlin?: Symbolhafte Politik reicht nicht aus

Instrumente gegen die Klimakrise sind in Berlin verfügbar, sagt der Umweltpolitik-Experte Lothar Stock. Man müsse sie nur nutzen. Ein Gastbeitrag.

Lothar Stock ist ehemaliger Abteilungsleiter in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, die für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz zuständig ist. Mittlerweile arbeitet er als Berater.

In der vergangenen Woche hat das Berliner Abgeordnetenhaus auf Antrag der Grünen das Thema „Hunderttausende beim Klimastreik: Berlin setzt ein deutliches Zeichen für mehr Klimaschutz“ debattiert. Im Verlauf der Diskussion erklärte die für den Klimaschutz zuständige Senatorin Regine Günther (Grüne), sie wolle dem Senat vorschlagen, in Berlin als erstem Bundesland den Klimanotstand auszurufen.

Die Ausrufung des „Klimanotstands“ bedeutet die Selbstverpflichtung, den Klimaschutz ernst zu nehmen, wirksame Maßnahmen zu entwickeln und vor allem auch umzusetzen. Wird der Klimaschutz also in Berlin nicht ernstgenommen, gibt es keine wirksamen Maßnahmen zur CO2-Reduktion oder werden diese nur nicht umgesetzt und wer trägt dann die Verantwortung dafür?

Berlin nimmt den Klimaschutz schon länger ernst

Anders als auf der Bundesebene hat Berlin seinen Klimaschutzzielen bereits vor einiger Zeit einen gesetzlichen Rahmen gegeben: Am 17. März 2016 verabschiedete das Abgeordnetenhaus einstimmig das Energiewendegesetz Berlin (EWG Bln). Darin wurden CO2-Minderungsziele gegenüber 1990 für 2020 (mindestens –40 Prozent), 2030 (mindestens –60 Prozent) und 2050 (mindestens –85 Prozent) gesetzlich festgelegt und der Senat verpflichtet, „… seine Handlungsmöglichkeiten zu nutzen, um die Ziele … zu erreichen.“ Offensichtlich hat der Gesetzgeber den Klimaschutz in Berlin schon früh ernst genommen.

Das Gesetz regelt zudem unter anderem die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand zur Erreichung der Klimaschutzziele, den Aufbau einer klimaverträglichen Energieerzeugung und -versorgung, die verpflichtende Nutzung von erneuerbaren Energien usw. usw.

Mit dem Berliner Energie- und Klimaschutzkonzept (BEK) verfügt die Landesregierung zudem über ein Maßnahmenbündel, das in Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Stadtgesellschaft entwickelt wurde und dessen Umsetzung Berlin auf den Pfad zur Klimaneutralität bringen soll. Von der Wirksamkeit dieser Maßnahmen ist also auszugehen und für die Umsetzung stehen bis 2021 rund 94 Millionen Euro im Landeshaushalt zur Verfügung.

Von einem Erkenntnisproblem, einem Mangel von Einsicht in die Notwendigkeit von Klimaschutz und der Wirksamkeit der im Gesetz enthaltenen Maßnahmen ist somit nicht wirklich auszugehen. Gleichwohl haben viele Menschen in dieser Stadt den Eindruck, dass es mit dem Klimaschutz nicht wirklich voran geht. Haben wir also ein Umsetzungsproblem und wo stehen wir heute?

Von den 2018 für das BEK zur Verfügung stehenden 21,466 Millionen Euro wurden lediglich rund 1,3 Millionen verausgabt. Auch für 2019 ist keine wesentliche Veränderung zu erwarten: mit Stand vom 31. Juli 2019 wurden von 21,45 Millionen Euro lediglich 0,73 Millionen ausgegeben. Mit den zu finanzierenden Maßnahmen einhergehende CO2-Minderungen dürften somit auch erst zu deutlich späteren Zeitpunkten Beiträge zu den Berliner Klimaschutzzielen leisten.

Es braucht überzeugende Maßnahmen

Es spricht also vieles für ein Umsetzungsproblem, das allein durch symbolhafte Politik wie die Ausrufung des „Klimanotstandes“ nicht behoben wird. Sich allein damit zufrieden zu geben, wäre ein Armutszeugnis für den Senat. Es muss vielmehr darum gehen, den engagierten Kolleginnen und Kollegen in der Verwaltung die Arbeit durch unmittelbar wirksame Maßnahmen zu erleichtern und vielleicht auch einmal mit „Verwaltungstraditionen“ zu brechen.

Ein ausgerufener „Klimanotstand“ bringt eine Schlagzeile, gibt aber niemandem neue Instrumente in die Hand. Die sind in Berlin längst verfügbar und müssen nur konsequent genutzt werden.

Es ist höchste Zeit, endlich sofort wirksame Maßnahmen zur CO2-Reduzierung auf den Weg zu bringen und sich nicht mit weiteren Studien und der Abarbeitung von Prüfaufträgen zufrieden zu geben. Wir wissen längst, was getan werden muss. Es kommt nun darauf an, in der täglichen Arbeit entstehende Umsetzungsprobleme zu erfassen, ernst zu nehmen und auszuräumen. Dazu bedarf es eines strukturierten Dialogprozesses mit denen, die tagtäglich an der Energiewende arbeiten und sich für Klimaschutz einsetzen.

[Dieser Gastbeitrag erschien zuerst bei unserem Fachdienst „Tagesspiegel Background Energie & Klima“.]

Im Verhältnis zur Berliner Stadtgesellschaft bedarf es neuer Beteiligungsformate, die über die klassischen Gesprächskreise, Podiumsdiskussionen und Informationsveranstaltungen hinausgehen und die breite Bürgerschaft ansprechen. Es geht darum, die Gesellschaft auf dem Weg zur Klimaneutralität mitzunehmen, ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen und erforderliche Entscheidungen daran auszurichten. Engagierte Menschen wollen sicher sein, mit ihren Belangen ernst genommen zu werden.

Das bedeutet aber auch, Befürchtungen über die sozialen Auswirkungen eines klimaverträglichen Umbaus nicht einfach abzutun und damit denen zu überlassen, die ein ganz anderes Süppchen kochen wollen. Die Notwendigkeit von Klimaschutz und Energiewende wird von einem überwiegenden Teil der Bevölkerung akzeptiert. Diese Akzeptanz nicht nur zu erhalten, sondern durch überzeugende Maßnahmen weiter zu steigern, ist die Herausforderung an Politik und Zivilgesellschaft.

Wer heute politische Verantwortung trägt, sollte sich nicht mehr unter Hinweis auf fehlendes Personal, schwierige Abstimmungsprozesse, mangelnde Zuständigkeit und Organisationsprobleme herausreden und in symbolhafte Handlungen wie die Ausrufung eines „Klimanotstands“ flüchten dürfen. Die Erwartung der Menschen, die sich tagtäglich für Klimaschutz einsetzen, um eine lebenswerte Zukunft zu haben, ist eine andere. Sie wollen, dass solche Probleme tatsächlich gelöst werden. Es ist hohe Zeit.

Lothar Stock

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