Flüchtlinge in Berlin: Superhelden gesucht!
Wie wird Berlin zu einer Stadt, in der Flüchtlinge willkommen sind? Der Bürger guten Willens muss zum Engagement ermutigt werden – dafür braucht man Spitzenkräfte.
Dies ist eine Stellenanzeige für ausrangierte Superhelden. Sie wendet sich an Spitzenkräfte, die in den letzten ein, zwei Jahren im Bund, in den Ländern oder in der Wirtschaft auf der Strecke geblieben sind. Fähige Macher und Netzwerker, die aus politischen oder persönlichen Gründen mehr oder weniger freiwillig ihren Job aufgegeben haben und nun gerade das bisschen Abfindung verknuspern, auf ihr Traumangebot warten oder im Karriereknick die Wunden lecken. Jedem von uns fallen bestimmt Namen ein, es geht aber keineswegs um alle, erst mal bräuchten wir nur zwei, drei von ihnen – die Besten, Engagiertesten! Und es geht gar nicht darum, dass unsere unausgelasteten Leistungsträger nun um Himmels willen sinnstiftend beschäftigt werden müssen, kein Missverständnis. Es geht mitnichten um Therapie, nein, um Weltgeschichte: Sie werden gebraucht.
Das Flüchtlingsthema wird die nächsten Jahrzehnte für Berlin, Deutschland, Europa so zentral und so dramatisch umwälzend sein wie wenige andere gesellschaftliche Baustellen. Bislang sitzt „der Bürger“, während Schreckensmeldungen von ertrinkenden Boatpeople, misshandelten Asylbewerbern und geplanten Containersiedlungen an uns vorbeiziehen, vorwiegend im Zuschauerparkett und betrachtet, unter Stirnrunzeln und Zwischenrufen, wie die angeblich Zuständigen (Politiker, Behörden, Kirchen) das Ding angehen.
Dass die Dimension allen Beteiligten über den Kopf wächst, spricht keiner drastisch aus. Wer Eins und Eins zusammenzählt, weiß jedoch, dass die Abschottungsoption „Festung Europa“ keine ist: unabhängig davon, ob Zuwanderungsgesetze verschärft oder Ermessensspielräume restriktiver umgesetzt würden. Es gibt Gruppen, die sich für Betreuung von Flüchtlingen aus persönlichen ethischen Motiven verantwortlich fühlen, aber deren Einsatz fällt noch nicht ins Gewicht. Die Mehrheit der Bürger hofft, dass andere Verantwortungsträger – die da oben und Gutmenschen – den Albtraum irgendwie in den Griff kriegen, so dass er sich eines Tages wunderbar verflüchtigt haben wird.
Ankunft der Fremden betrifft künftig jeden
Das wird er natürlich nicht. Momentan stecken wir in der Phase des Hin- und Herschubsens: Die einen sagen, man soll Menschen nicht in Container pferchen. Viele denken, man müsste Container für Flüchtlinge nach dem St.-Florians-Prinzip aufstellen. Manche Aktivisten provozieren den Staat mit einer Kreuzberger Schulbesetzung und verheizen dort für PR-Effekte Flüchtlinge, denen der Bezirk vier Wochen im Hostel angeboten hat. Andere Aktivisten lösen das Problem, indem sie Gedenkorte beschädigen, die Maueropfern gewidmet sind, damit endlich alle Spießer aufwachen und fortan nett zu Flüchtlingen sind.
Wieder andere sagen, Belastungen der Unterbringung seien gleichmäßiger zwischen Ost und West, schicken und prolligen Vierteln zu verteilen. Natürlich ist der Gedanke reizvoll, Containerdörfer neben Villen aufzupflanzen. Reiche und Arme könnten so beschämt werden, ungeahnte Aggressionen wären zu aktivieren – oder utopisches Verbrüderungspotenzial. Aber all solche Verteilungs-, Überbrückungs- und Zeigefinger-Strategien helfen nicht darüber hinweg, dass die Ankunft der Fremden künftig jeden betrifft, der im Land der Deutschen leben will.
Wo finden wir ad hoc den Idealstandort für eine mehr oder weniger temporäre Flüchtlingsunterkunft? Auf der grünen Wiese, wo Berliner Luft frisch weht? Weit weg von muffigen Einheimischen, die sich bedroht fühlen? Fußnah zu Behörden und Krankenhäusern? Neben einer Kita, die – da am Stadtrand gelegen – über erstaunlich viel Platz verfügt? Und warum eigentlich nicht regierungsnah auf Rasenflächen des Tiergartens, rund ums Haus der Kulturen der Welt?
Der Standortstreit läuft bislang als Verdrängungsdebatte. Ideale Standorte finden sich nicht allein aufgrund logistischer Kriterien. Geeignete Unterbringungsquartiere gäbe es vor allem dort, wo viele Familien und einzelne Citoyens bereit wären, Patenschaften für Flüchtlinge zu übernehmen. Ließe sich Einquartierung dann über Ablehnung verhindern? Vielleicht. Tatsächlich ist aber von einem Konzept für Patenschaften bislang wenig zu hören. Der CDU-Abgeordnete Martin Patzelt macht sich zum Vorreiter der Idee und stößt auf Skepsis in den eigenen Reihen. Politisch ist mit diesem Thema derzeit nichts zu gewinnen.
Die Kampfklasse ist wurscht
Dies ist der Moment zur Reaktivierung unserer Superhelden! Rückwirkend werden sie unser aller Retter gewesen sein, aktuell sagen die Meckerer natürlich: Der nun wieder, die nun wieder! Springen aufs Thema, wollen sich interessant machen! Egal. Ein größerer Verdienst fürs Vaterland ist momentan kaum zu erwerben, auch Mutti wird nichts dagegen haben. Unsere Superhelden sollen ruhig ihren Promibonus in die Waagschale werfen, bewährte Strippen verdammt noch mal wieder einsetzen und eine Stiftung oder Task-Force oder Aktionsplattform, wie auch immer sich das organisiert, auf die Beine stellen: in der religiöse, politische und andere zivilgesellschaftliche Gruppierungen gemeinsam Flüchtlingspatenschaften voranbringen.
Familien und einzelne Bürger, die positiver und motivierbarer gestimmt sind, als die „öffentliche Meinung“ das reflektiert, werden von Supervisoren, Dolmetschern, Sprachlehrern, Beratern angesprochen, aufgeklärt, betreut und begleitet, wenn sie Berührungsängste abbauen, vielleicht ihre Nase in einen Wohncontainer stecken, jemanden zu sich nach Hause oder zum Sport einladen, Nachhilfe oder Sachspenden geben, Deutsch üben helfen, die Stadt zeigen, Behördengänge erledigen – einmal im Monat, einmal die Woche?
Oder gar eine Unterkunft anbieten?
Um Gottes willen, wie funktioniert so was versicherungstechnisch?
Klar, solch ein Herkulesprojekt ist ein Fass ohne Boden. Da möchte keiner allein drin untergehen. Es geht höchstens gemeinsam: im Aktionsbündnis mit Leuten, die vielleicht überhaupt nicht unsere Kragenweite sind. Minihelden oder Superhelden, die Kampfklasse ist wurscht. Gefragt wären Mut und die Intelligenz, dieses eine Mal wenigstens nicht den Kopf in den Sand zu stecken.