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Türkische Staatsangehörige in Deutschland konnten zum ersten Mal an der türkischen Präsidentschaftswahl teilnehmen.
© dpa

Wahlen der Türkei in Berlin: Sultan Erdogan - warum Hatice Akyün nicht gewählt hat

Unsere Kolumnistin Hatice Akyün hat sich der türkischen Präsidentschaftswahl in Berlin verweigert. Dass der selbst ernannte Sultan Erdogan der Sieger sein würde, habe von vorne herein festgestanden.

Äpfel kann man nicht mit Birnen vergleichen. Was macht man aber, wenn einem etwas als Kompott serviert wird? Also, ich, die Deutsche mit türkischen Wurzeln, möchte nicht wählen, obwohl ich das könnte. Ich könnte es mir jetzt einfach machen und sagen, dass ich mich voll und ganz entschieden habe, Deutsche zu sein. Nun gehöre ich aber zu denen, die beides sein dürfen, was ich eigentlich prima finde. Trotzdem übe ich mein Wahlrecht für die türkische Präsidentschaftswahl nicht aus. Ein Freund meinte, ich solle einen leeren Wahlzettel abgeben, wenn ich nicht mit dem einverstanden sei, was zum Angebot stünde. Aber das empfinde ich als sinnlos. Ein bisschen Trotz und Resignation ist auch dabei.

Es lässt mich ratlos zurück, wenn ich erlebe, wie junge Deutsch-Türken, die hier geboren sind, hier aufwuchsen und noch nie in ihrem Leben in der Türkei gelebt haben, mit stolzer Brust verkünden, dass sie ihrem Meister die Stimme gegeben haben.

Nach dieser Wahl gibt es sowieso nichts mehr zu lachen

Als Wahlberechtigter darf man seine Stimme übrigens erst dann abgeben, wenn man sich zuvor im Internet registriert hat. Zugegeben, einen gewissen Zynismus kann ich dieser Wahl nicht absprechen. Ist es doch ausgerechnet der Internetblockierer selbst, der sich prominent zur Wahl stellt. Leider wird es kaum Überraschungen geben. Hat doch der Kandidat in den letzten 15 Monaten den Staat zunehmend auf seinen Erfolg zugeschnitten. OSZE-Beobachter kritisieren, dass Erdogan den Staat für sich benutze. Staatliche Flugzeuge, öffentliche Verkehrsmittel, die Ordnungsämter, das Staatsfernsehen und alle Medien, die seine Linie fahren, stehen ihm zur Verfügung.

Demokratie setzt aber einen fairen Wahlkampf voraus. Nachdem die Gewaltenteilung für die Türken nun bedeutet, dass nur noch einer Gewalt austeilt, steht der Sieger schon längst fest. Eigentlich braucht man niemandem mehr das Lachen zu verbieten, es gibt nach dieser Wahl sowieso nichts mehr zu lachen.

Erdogan hat das paternalistisch geprägte Volk nicht erfunden

Es greift aber zu kurz, Erdogan für den Untergang der freiheitlichen Demokratie zu brandmarken. Er hat ein Jahrzehnt gewirkt und bewegt. Das paternalistisch geprägte Volk mit einer autoritären Verwaltung hat er nicht erfunden, er hat sie vorgefunden und in seinem Sinne weiterentwickelt. Ein Staatsmann aber muss den ganzen Staat vertreten und darf seine Gegner nicht verfolgen. Und Kandidaten, die ihre Politik auf Religiosität ausrichten, wähle ich grundsätzlich nicht. Mein Glaube ist Privatsache. Und mein Staat muss mir die Freiheit geben, mich dafür oder dagegen entscheiden zu dürfen. Die einstmals große und republikanische CHP bekommt meine Stimme aber auch nicht, weil sie immer noch voller Arroganz meint, als Elite genau zu wissen, was in ihren Augen für das zurückgebliebene Dorfvolk gut sei. Aber ein Volk ist nicht blöd oder schlau, es ist das Volk.

Demokratie braucht Demokraten, und ein Staat ist keine fremde Institution, der Staat bin auch ich. Es gibt kein Schicksal, das festlegt, was passieren wird. Wir tun Unrecht, wenn wir Kriege einfach hinnehmen, weil sie nicht mein Land betreffen. Und ich tue wohl auch Unrecht, wenn ich aus Verzweiflung wegtauche bei der inszenierten Wahl eines selbst ernannten Sultans, dem niemand die Stirn bietet. Wir tragen alle ein Stück Verantwortung für das, was um uns herum passiert. In Charlottenburg, in Berlin, in Gaza, in Syrien, in der Ukraine und in der Türkei. Oder wie mein Vater sagen würde: „Bir pire için yorgan yakılmaz.“ Für einen Floh setzt man nicht die ganze Decke in Brand.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.

Hatice Akyün

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