Andrang im Olympiastadion: "Türkische Republik, Präsidentschaftswahlen - Berliner Wahllokal"
51 VIP-Logen im Olympiastadion sind geöffnet. Ein Banner grüßt die 140.000 Türken, die in Berlin abstimmen. Auch aus Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern werden Wähler erwartet. Vor dem Tor wird munter diskutiert.
- André Görke
- Katja Demirci
In Berlin und sechs anderen Städten quer durch die Republik hat am Donnerstag die erste türkische Wahl auf deutschem Boden begonnen. Es ist eine Wahl mit Hindernissen. Vier Tage lang können mehr als 1,4 Millionen türkische Staatsbürger in Deutschland ihre Stimme für einen neuen türkischen Staatspräsidenten abgeben. Mit Spannung wird erwartet, ob der derzeitige Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan (AKP) die Wahl für sich entscheiden kann. In der Türkei findet sie am 10. August statt.
Kamerateams bauen am Morgen ihre Technik vorm Stadion auf
Vor dem Olympiastadion in Berlin hatten am Donnerstagmorgen die letzten Vorbereitungen begonnen: Türkische und deutsche Kamerateams bauten ihre Technik auf, die BSR fegte noch einmal gründlich durch, die Sanitäranlagen wurden gereinigt. Auf dem Olympischen Vorplatz fuhr die erste Polizeiwanne vor - während wie fast jeden Tag die Fahrschüler langsam mit großen Lastwagen übten und Motorradfahrer-Anfänger Slalom um kleine Hütchen fuhren.
Doch seit 8 Uhr wird es immer voller. 51 VIP-Logen des Olympiastadions wurden hier zu Wahllokalen umfunktioniert. Vor dem Stadion hängt ein großes Banner: "Türkische Republik, Präsidentschaftswahlen - Berliner Wahllokal". Um Punkt 8 Uhr steht die erste Wählerin vor dem Wahlraum. Wenig später kam auch der türkische Botschafter vorgefahren mit zwei Limousinen. Vor dem Osttor waren viele ältere Ehepaare zu sehen, aber auch junge Türken fuhren gleich morgens nach Westend.
"Türkische Republik, Präsidentschaftswahlen - Berliner Wahllokal"
Etwa 140.000 Menschen sind wahlberechtigt. Dazu zählen nicht nur die Berliner. Im Olympiastadion etwa sollen Türken aus Brandenburg, Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern ihre Stimme abgeben. Alle Wahlberechtigten seien auch automatisch registriert, heißt es hier. Etwa zehn Prozent hätten sich einen separaten Termin geben lassen - das sei ein extra Service.
Es ist das erste Mal, dass im Ausland lebende Türken dort an einer Wahl in ihrem Herkunftsland teilnehmen können. Zudem wird der Staatspräsident erstmals direkt gewählt. Dafür müssen viele Wähler allerdings weite Wege auf sich nehmen. "Zum ersten Mal gibt es auf der ganzen Welt für sie die Möglichkeit zu wählen", sagte Generalkonsul Ahmet Basar Sen. Er rechnet allerdings nicht mit einer hohen Wahlbeteiligung. Die Stimmung unter den Auslandstürken sei "nicht so enthusiastisch", sagte der Generalkonsul. Die Wähler konnten vorab den Zeitpunkt ihrer Abstimmung wählen. Von dieser Möglichkeit machten nach Sens Aussage nur rund "sieben bis zehn Prozent" Gebrauch. "250 Wahlhelfer und 51 Urnen stehen bereit", sagte der türkische Generalkonsul in Berlin. Die Wahllokale werden bis zum Sonntag jeweils von acht bis 17 Uhr geöffnet sein.
Wie die Wahl ausgehen soll, dazu gibt es vor dem Ost-Eingang zum Olympiastadion verschiedene Ansichten. "Ich glaube, Erdogan gewinnt und ich hoffe es auch", sagt eine Dame mittleren Alters und blinzelt in die Sonne. Sie trägt ein edles Kopftuch und einen leichten schwarzen Mantel. Seit 40 Jahren wohnt sie bereits in Berlin, doppelt so lange wie der Herr, der eiligen Schrittes in Richtung Parkplatz geht. Seine schwarze Bauchtasche hat er um die rechte Schulter geschnallt, er ist bester Laune. Als er kürzlich in der Türkei war, stellte er fest, dass er überhaupt nicht als Wähler im Verzeichnis des türkischen Hohen Wahlrats vermerkt war.
"Er ist unsere Rettung vor der Sklaverei"
Zurück in Berlin ging er sofort zum Konsulat und ließ sich registrieren. So eine Wahl und dann nicht wählen! Das geht nicht, meint der 48-jährige Weddinger. "Es ist unsere Rettung von der Sklaverei", sagt er und lacht, weil das doch arg pathetisch klingt. Und trotzdem: diese direkte Beteiligung an der Entscheidung, wer der neue Präsident der Türkei werden soll, das gefällt ihm, so sollte es sein. Er tippt auf eine Stichwahl, keinen einfachen Durchmarsch des Kandidaten Recep Tayyip Erdogan. Dass der am Ende trotzdem Sieger wird, daran besteht für ihn trotzdem keinen Zweifel. Er zuckt mit den Schultern. Gut? Schlecht? Er grinst.
Nihal Kaynak, 58 Jahre alt, Sozialarbeiterin aus Charlottenburg, würde es gefallen, wenn ein Jüngerer die Wahl gewänne. Selhattin Demirtas zum Beispiel, der Kandidat der pro-kurdischen Partei HDP.
Reguläre Besucherführungen durch das Olympiastadion fallen an diesen Tagen aus. Wer aber als Wähler allemal im Stadion ist, wird wohl auch nicht daran gehindert, sich die öffentlichen Bereiche anzuschauen oder mal in der Ostkurve probezusitzen. Von 8 bis 18 Uhr ist das Stadion während der Wahl geöffnet. Das übliche Besichtigungsprogramm beginnt dann am kommenden Montag wieder mit einer geführten Tour um 11 Uhr, gefolgt von Führungen um 13, 15 und 17 Uhr. Jenseits dieser Touren ist das Stadion am Montag voraussichtlich ab 13 Uhr wieder geöffnet, um 20 Uhr schließt es.
Sollte es zu einer Stichwahl kommen, wird in Deutschland übrigens ein weiterer Wahlgang zwischen dem 17. und 20. August durchgeführt – das Olympiastadion ist für diese Tage vorsichtshalber schon reserviert.
Außerdem gibt es auch in Hannover, Düsseldorf, Essen, Frankfurt, München und Karlsruhe Wahllokale mit insgesamt 498 Wahlurnen.