Junglehrerinitiative kritisiert Senat: Stundenausfall an Berlins Schulen wird schöngerechnet
Die Senatsstatistik zum Unterrichtsausfall zeige nicht das ganze Dilemma, sagen Senatskritiker der Junglehrerinitiative "Bildet Berlin": Demnach tauchen hunderttausende Stunden dort nicht auf, obwohl die Schüler definitiv nicht unterrichtet werden.
Berlins jährliche Statistik zum Unterrichtsausfall verschleiert mehr als sie preisgibt. Hunderttausende Stunden tauchen dort nicht auf, obwohl die Schüler definitiv nicht unterrichtet werden, sondern zu Hause im Bett liegen oder mit ihren Mitschülern im Café sitzen. Geschönt werde auch das Ausmaß des Vertretungsunterrichts, warnte die Junglehrerinitiative „Bildet Berlin!“ am Dienstag
Sie ärgert sich besonders darüber, auf welche Weise die Schulen im Auftrag der Bildungsverwaltung ihren Ausfall dokumentieren sollen. So gelten Stunden in der Oberstufe auch dann als „vertreten“, wenn sie „nicht vertreten werden, sondern die Schüler für diese Stunde z.B. Forschungsaufgaben erhalten“. So steht es in den Anweisungen der Bildungsverwaltung für das Ausfüllen der Ausfallstatistik unter der Rubrik „sonstige Maßnahmen“.
„Faktisch handelt es sich dabei um Unterrichtsausfall, zumal an vielen Schulen nicht mal Aufgaben erstellt werden,“ lautet die Einschätzung des Vorsitzenden von „Bildet Berlin!“, Florian Bublys. Insgesamt betreffen die „sonstigen Maßnahmen“ knapp 5300 Unterrichtsstunden pro Woche. So steht es in der Antwort auf eine Anfrage des SPD-Bildungspolitikers Joschka Langenbrinck, die am Dienstag veröffentlicht wurde. Ingesamt muss jede neunte Stunde vertreten werden.
Dort ist auch zu lesen, dass das häufigste Mittel gegen Stundenausfall die Zusammenlegung von Klassen sowie die Streichung von Förderstunden ist. Dies hält Bublys allerdings „gerade in den Zeiten des Umsetzens der Inklusion“ für kontraproduktiv: Teilungs- und Förderstunden seien „essenziell“ für ein Gelingen der Inklusion. Andernfalls sei individuelle Förderung „kaum mehr möglich“.
Noch gravierender wird die Differenz zwischen statistischer Theorie und schulischer Praxis, wenn man berücksichtigt, dass an den Oberschulen bis zu fünf Schultage im Jahr komplett ausfallen, weil zentrale Prüfungen stattfinden. Fünf Tage Unterricht entsprechen rund zwei Prozent des gesamten Unterrichtsvolumens der Sekundarschulen und Gymnasien. Zum Hintergrund: Als vor rund zehn Jahren die zentralen Abiturprüfungen und die Prüfungen zum Mittleren Schulabschluss eingeführt wurden, erhielten die Schulen die Erlaubnis, ihre übrigen Schüler tagelang nach Hause zu schicken. Damit wollte der damalige Bildungssenator Klaus Böger (SPD) die Akzeptanz der aufwendigen Prüfungen erhöhen. Dies führt bis heute dazu, dass manche Schulen die Osterferien eine Woche früher anfangen lassen. Andere geben zwischendurch Tage frei. Wenn man bedenkt, dass der gesamte übrige Unterrichtsausfall bei zwei Prozent liegt, erschließt sich, dass er sich verdoppelt, wenn man die vielen freien Prüfungstage hinzurechnet: Man landet also bei vier Prozent Ausfall statt der offiziellen zwei.
Die Bildungsverwaltung bestreitet dieses Prozedere: „Die Schulen sollen diese Tage bereits bei der Stundenplanung berücksichtigen, in diesem Fall entsteht kein Vertretungsanfall“, betonte Sprecherin Beate Stoffers“. In den Fällen, in denen die Schulen „keine Vorsorge in Ihrer Planung getroffen haben“, müssten sie den Ausfall angeben, erläutert sie. In der Praxis findet das aber nicht statt, wie man an den Ausfallstatistiken der Schulen sehen kann.
Das Dementi der Verwaltung verwundert umso mehr, als dieses Problem seit langem bekannt ist. Der Tagesspiegel hatte zuletzt im Jahr 2012 darauf hingewiesen. Schon damals hatte die Verwaltung bestritten, dass der tagelange Unterrichtsausfall unter den Tisch fällt. Der Forderung des damaligen Landeselternsprechers und der Schulleiter, das Prozedere zu präzisieren, um realitätsnähere Ausfallzahlen zu bekommen, wurde nicht entsprochen.
„Unterrichtsausfall wird in unverantwortlichem Umfang in Kauf genommen, das tatsächliche Ausmaß des Ausfalls wird der Öffentlichkeit vorenthalten“, findet Bublys. Ebenso wie die GEW fordert er angesichts der hohen Krankenquote eine zehnprozentige Vertretungsreserve. Eine Schule mit 100 Lehrern müsse zehn Lehrer zusätzlich haben. Zudem erwartet „Bildet Berlin!“ von der Bildungsverwaltung nicht nur bei der Ausfall- sondern auch bei der Vertretungsstatistik mehr Transparenz. Dort müssten auch jene 450 000 Unterrichtsstunden pro Jahr vorkommen, die aus dem Budget für die Vertretung Langzeitkranker finanziert werden. Bislang ist das nicht der Fall.
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