Woche der Seelischen Gesundheit: Stress von der Straße
Machen Großstädte seelisch krank? Oder sind es umgekehrt psychisch labile Menschen, die bevorzugt in Städte ziehen? Themen wie dieses sollen bei der 10. Woche der Seelischen Gesundheit zur Sprache kommen. Ein Überblick.
Es war ein inniger Wunsch, den der römische Schriftsteller Juvenal einst formulierte: „Man sollte darum beten, dass ein gesunder Geist im gesunden Körper sei.“ Ein Stoßseufzer, geboren aus dem Wissen um die Zerbrechlichkeit beider „Gesundheiten“ – und um ihre innige Verquickung. Heute ist es schon fast ein Gemeinplatz, wie eng Körper und Seele zusammenhängen. Was das aber konkret bedeutet, wenn einen selbst über Wochen Schlafstörungen plagen oder mehrere Fachärzte für die Rückenschmerzen des Partners keine organische Ursache finden können, ist eine andere Frage. Ihr widmet sich die heute beginnende 10. Woche der Seelischen Gesundheit.
Die über 170 Einzelveranstaltungen zeichnet diesmal eine besondere Vielfalt der Themen und der Darbietungsformen aus: Da geht es um Krisen rund um die Geburt und um Orte, in denen junge Mütter Hilfe finden, um Möglichkeiten, Stress am Arbeitsplatz zu vermindern, man kann eine erste Einführung in Entspannungsverfahren bekommen, kann an Sport-Schnupperstunden ebenso teilnehmen wie an „Laufen für die Seele“, kann sich aber auch schlicht darüber informieren, woran man Psychosen früh erkennt und was „Kontrolliertes Trinken“ eigentlich bedeutet. Und man hat die Chance, Entlastungsmöglichkeiten für pflegende Angehörige kennenzulernen. Auch Filmabende in verschiedenen Berliner Kinos mit Diskussion unter fachkundiger Leitung und eine „AnsprechBar“ als informelle Anlaufstelle gehören zum Programm.
In Berlin fing es an
Bei der Auftaktveranstaltung am heutigen Montag in der Urania wird auch die mehrfache Olympiasiegerin und Leistungsschwimmerin Britta Steffen sprechen. Die 32-jährige Berlinerin unterstützt unter anderem die Special Olympics Deutschland, die Menschen mit geistiger Behinderung durch Sport und Bewegung zu mehr Selbstbewusstsein und Teilhabe verhelfen möchte. „Wir möchten mit diesem Angebot auch Bevölkerungskreise umfassend informieren, die sich mit dem Thema bisher nicht persönlich befasst haben. Und wir möchten alle, die Hilfe brauchen, ermutigen, sie sich zu holen“, sagt die Psychiaterin Iris Hauth, Ärztliche Direktorin am Alexianer St. Joseph-Krankenhaus in Berlin-Weißensee und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Aus diesen Gründen hat ihre Fachgesellschaft gemeinsam mit dem Anti- Stigma-Programm „Open the doors“ vor zehn Jahren das Aktionsbündnis Seelische Gesundheit, eine vom Bundesgesundheitsministerium geförderte Initiative, aus der Taufe gehoben. „Die Woche der Seelischen Gesundheit gab es zuerst in Berlin, mittlerweile sind 50 Orte in ganz Deutschland dem Beispiel gefolgt“, freut sich Hauth.
Fakt ist, dass in Großstädten wie Berlin, München oder Hamburg überdurchschnittlich viele Menschen leben, die an psychischen Erkrankungen leiden. Allerdings ist noch ungeklärt, ob es labilere Menschen in die großen Städte zieht oder ob die Städte die Menschen erst krank machen. Mazda Adli, Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin, forscht seit Jahren zur Frage, ob und wie sich das Leben in der Großstadt auf die psychische Gesundheit von Menschen auswirkt. Adli geht davon aus, dass es einen besonderen Stadt- Stress gibt. „Vermutlich ist es die Mischung aus sozialer Dichte und sozialer Isolierung, die ihn ausmacht“, so der Psychiater. Helfen kann deshalb alles, was die Orte, in denen es von Menschen wimmelt, auch menschlicher macht.
Orte der Stille mitten in der Stadt
Das ist ein besonderes Anliegen von Thomas Götz, seit Anfang des Jahres Landesbeauftragter für Psychiatrie bei der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales und selbst Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. In Frankfurt am Main, wo Götz zuvor als Leiter der Abteilung Psychiatrie des Amtes für Gesundheit in Frankfurt am Main tätig war, gab es zum Beispiel in jedem Jahr eine „Woche der Stille“, in der der Lärm der Großstadt an bestimmten Orten bewusst ausgeblendet werden konnte. Götz findet es wichtig, vernetzt zu denken und auch mit Stadtentwicklungsplanern zusammenzuarbeiten. Was die Bürger selbst betrifft, so liegt ihm besonders daran, dass ihr Gesundheitsbewusstsein sich auch auf die seelische Gesundheit erstreckt. „Das Thema der diesjährigen Woche der Seelischen Gesundheit ist deshalb wunderbar gewählt. Psychische Erkrankungen kommen ja oft sehr körperlich daher, als Schmerzen, Muskelverspannungen oder in Form geringerer Leistungsfähigkeit. Körper und Seele sind eine Einheit, wir sollten hier nicht in Schubladen denken.“
Die Psychiater können dazu auch mit neuen Ergebnissen aus der Forschung aufwarten: Mittlerweile ist klar, dass Menschen, die einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt durchgemacht haben, im Anschluss an diese oft sehr einschneidenden Ereignisse häufiger unter Depressionen leiden. Umgekehrt zeigt die Statistik leider auch, dass Menschen, die eine Depression haben, ein deutlich erhöhtes Risiko tragen, einen zweiten Infarkt zu erleiden. Wie beides zusammenhängt, dafür existieren derzeit verschiedene Erklärungsmodelle. „Klar ist aber, dass wir hier die Depressionen im Blick haben und rechtzeitig behandeln müssen“, folgert Psychiaterin Hauth. Ein gutes Beispiel dafür, dass es den Körper schützt, wenn die Seele behandelt wird.
Für alle, die psychotherapeutische, psychosomatische und psychiatrische Hilfe brauchen oder die nach einer Behandlung Hilfe bei der Eingliederung in den Beruf oder einen betreuten Wohnplatz benötigen, bieten die Städte gegenüber dem „platten Land“ unschätzbare Vorteile. „In Großstädten existiert ein sehr strukturiertes Angebot“, so Hauth. Sie beklagt andererseits aber auch, dass die Wartezeiten für Schwerstkranke oft noch unangemessen lang sind, und dass bei der Versorgung mit psychologischen und ärztlichen Psychotherapeuten immer noch ein deutliches Ost-West-Gefälle besteht. Und es gibt noch eine Sache, die in Stadt und Land weiter in Fluss kommen muss: Seelische Leiden müssen vom Stigma des Gefährlichen, Unberechenbaren, Asozialen wie auch vom Verdacht des Vorgeschobenen, nur Simulierten befreit werden. Wäre es nicht normal, dass sie Menschen treffen, dann gäbe es vermutlich auch den Stoßseufzer von Juvenal nicht.
Mehr Informationen und das komplette Programm: www.seelischegesundheit.net.mple Zahlreiche Informationen rund um das Thema Seelische Gesundheit finden Sie auch in der Schwerpunktausgabe "Die Psyche" des Magazins "Tagesspiegel Gesund", erhältlich im Tagesspiegel-Shop.