DDR-Geschichte in Berlin: Stasi-Vergangenheit darf man nicht kaschieren
Das Gelände der DDR-Geheimpolizei in Lichtenberg verfällt und verliert seinen Charakter. Ein Weckruf.
Auf den Plastikstühlen vor der Open-Air-Ausstellung auf dem Stasi-Gelände in Lichtenberg räkeln sich Jugendliche. Aber manche schlendern hinüber zu den Tafeln zur friedlichen Revolution. Die Zukunft als Lernort hat hier schon begonnen. Gelegentlich bringt sogar einer der Oberschüler den Ausstellungsführer im Stasimuseum mit der Frage ins Schwitzen, ob Stasi 2.0 im Internet heute nicht schlimmer sei.
Befürchtungen, auf diesem Gelände könne nur rückwärtsgedacht werden, sind offenbar unbegründet. Die Einwände gegen die Idee, Erich Mielkes alten Dienstsitz zum Campus für Demokratie umzufunktionieren, werden weniger. Aber genug Schubkraft hat die Idee auch noch nicht entwickelt, um das ganze ehemalige Stasigelände zu beleben. Weite Teile des Geländes sehen 27 Jahre nach der friedlichen Revolution immer noch wenig einladend aus. Dabei gibt es in Berlin – etwa in der Mauergedenkstätte in der Bernauer Straße und am Holocaust-Mahnmahl – inzwischen gute Beispiele, dass ästhetisches Wohlbefinden und ernsthafte Auseinandersetzung mit der Geschichte gut zusammengehen.
Auf dem Stasi-Gelände wird als Entschuldigung oft auf die komplizierten Eigentumsverhältnisse und auf sperrige Privateigentümer, verwiesen. Dabei florieren private Initiativen wie das Ärztehaus in der ehemaligen Stasi-Polyklinik. Verschlissene Planen gegen bröckelnde Fassaden und der hässlichste Leerstand entlang der Frankfurter Allee gehen dagegen auf das Konto der öffentlichen Gebäudeverwaltung von Bund und Land.
Urbanität kann vieles heißen
Inzwischen ist das Kerngelände des ehemaligen MfS förmliches Sanierungsgebiet. Bezirk und Stadt kommen nicht umhin, sich zu kümmern. Nutzungsinteressen wie der Druck, Wohnungen und Infrastruktur zu schaffen, sowie private Verwertungsinteressen konkurrieren mit der Funktion als Lernort. Das ist grundsätzlich gut. Mielkes Monokultur ist nur durch Vielfalt aufzubrechen.
Zu Recht hat der Architekt Dieter Hoffmann Axthelm unlängst gefordert, wieder Urbanität hineinzuholen. Ob die Öffnung aber durch den diskutierten Abriss des Hochhausriegels der ehemaligen Spionageabteilung gut zu bewerkstelligen ist, ist fraglich. Dort,wo früher eine lebendige Mischung aus schmucken Wohnhäusern, Handel und Gewerbe war, blickt man heute nur auf die schnellstraßenähnliche Frankfurter Allee mit ihren Wohnhochhäusern. Für einen behutsamen Umgang mit dem Baubestand plädiert denn auch Axel Klausmeier, der als Direktor der Gedenkstätte Bernauer Straße um den Wert historischer Spuren weiß. Urbanität kann auch heißen, Leben ins Gelände zu holen.
Die Spuren wurden verwischt
In Gedankenlosigkeit ist schon viel verschwunden. Das Eingangstor zur Zentrale an der Ruschestraße beispielsweise. Weltweit stand es für den Sturm auf die Stasizentrale am 15. Januar 1990. Heute ist es weg und keiner will es gewesen sein. Weniger berühmt, aber nicht minder interessant ist eine monumentale Buntglaswand mit ideologischem Kitsch, die heute auf einer amerikanischen Kunstmesse angeboten wird. Inzwischen wird Geschichte mühselig und teuer rekonstruiert; die verschwundenen Sachzeugen würden es leichter machen, die Neugierde von Schülern und anderen Besuchern zu wecken.
Einzelne Gebäude wie Mielkes ehemaliger Dienstsitz stehen unter Denkmalschutz. Doch das eigentlich Interessante ist das Ensemble. Die Stasi ist im Laufe der Jahrzehnte immer weiter gewuchert. Dies kann man symbolhaft an den Architekturschichten des Lichtenberger Areals nachvollziehen (siehe Grafik). Natürlich kann man nicht ganze Areal zum Museum erklären. Aber der Überwachungsmoloch wird erst durch die Silhouette des Ensembles begreifbar. Sie gilt es erfahrbar zu halten.
Orte mit Stasi-Vergangenheit
Das Ministerium war deutlich größer als der Kernbereich, über den gegenwärtig immer diskutiert wird. Die moderne Stasi, die nicht altmodisch mit Karteikarten und Akten hantierte, sondern elektronisch überwachte, war im Teil nördlich der Normannenstraße präsent. Unklar ist, was mit den bisher unzugänglichen Bunkern werden soll oder mit dem Stasi-Kino, was manche im Bezirk für denkmalschutzwürdig halten. Das Leiden der von den kommunistischen Geheimpolizeien Malträtierten fand rund um das Gerichtsgebäude am Rodeliusplatz statt, wo viele Stasiverhaftete verurteilt wurden. Das angrenzende Gefängnis gehörte zum Ostberliner Untersuchungshaftkomplex des MfS. Nach 1945 war es Schauplatz der stalinistischen Nachkriegsjustiz. Nachgewiesen sind in Lichtenberg 86 Hinrichtungen, es könnten aber deutlich mehr sein. Diese brutale Vor- und Anfangsgeschichte des MfS wird durch die heutige Nutzung überdeckt. Der erste Sitz des MfS ist heute Finanzamt. Das Gefängnis wurde zur Freude der Sozialarbeiter eines der modernsten Berliner Frauenhaftanstalten. Die ehemalige Gefängniskapelle, in der einst sowjetische Militärrichter harte Schnellurteile fällten, ist inzwischen ein modernisierter Aufenthaltsraum. Der berüchtigte Keller des sowjetischen Geheimdienstes gehört heute zu einem normalen Wohnhauskomplex.
Es ist hohe Zeit, dass die Gesellschaft das Gelände städtebaulich zurückerobert. Ohne Eingriffe wird es nicht gehen. Aber in der Vergangenheit sind schon geistlos viele Spuren verloren gegangen. Bevor Abrissbirne, Schrottverwerter oder Maurer erneut walten, wäre es angezeigt, das Gelände historisch neu zu vermessen.