Großbordell „Artemis”: Staatsanwaltschaft stellt Bordellbetreiber weiter ins Zwielicht
Von den Vorwürfen gegen die Artemis-Geschäftsführer ist nach der Razzia 2016 nichts geblieben - dennoch hält die Anklagebehörde an „Verdachtsmomenten” fest.
Es war alles gesagt. Drei Jahre nach der Razzia im Berliner Großbordell "Artemis" am Westkreuz blieb von den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft Berlin nichts übrig - und zwar gerichtsfest. Das Landgericht hat alle Anklagepunkte zurückgewiesen, die Vorwürfe sind haltlos. Für Hakki Simsek, Betreiber des Unternehmens, könnte nun alles gut sein. Denn er wurde nicht verurteilt, er ist unschuldig. Sein Geschäft ist rechtlich sauber, soweit sich das bei einem Bordell, bei Geschäften im Rotlichtmilieu so sagen lässt.
Doch für Simsek und seine vier Geschäftspartner, gegen die die Staatsanwaltschaft ohne Erfolg Anklage erhoben hatte, ist nichts gut: Die Sache ist nicht erledigt. Denn die Staatsanwaltschaft stellt die Unschuldsvermutung, die bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt, offen in Frage. Obwohl die Behörde keine Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts eingelegt hat, teilte sie im Januar mit, dass die Verdachtsmomente nach ihrer Auffassung weiterhin bestünden. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte auch dem Tagesspiegel: "Wir bleiben bei unserer Rechtsauffassung und der rechtlichen und tatsächlichen Bewertung des Falls." Ist Simsek also doch ein Straftäter oder nur ein Bürger zweiter Klasse?
Im April 2016 rückte ein Großaufgebot der Polizei im "Artemis" ein
Das Verfahren war von Beginn an belastet. Vor drei Jahren, im April 2016, rückte die Polizei mit einem Großaufgebot und Hunderten Beamten in dem Bordell an. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen mehrerer Vorwürfe: Ausbeutung von Sexarbeiterinnen, Zuhälterei und Beihilfe zum Menschenhandel. Später erklärte die Staatsanwaltschaft sogar, das Artemis basiere auf organisierter Kriminalität. Und der Coup der Polizei erinnere an das Vorgehen gegen Mafiaboss Al Capone. Hakki Simsek und sein Bruder Kenan, der Mitbetreiber ist, saßen sogar mehrere Monate in Untersuchungshaft, bis das Kammergericht einschritt. Den entstandenen Schaden spürten sie danach noch, ihnen haftete der Verdacht als angebliche Menschenhändler an: Geschäftspartner und Freunde hatten sich abgewendet.
Schließlich reichte die Staatsanwaltschaft Anfang 2018 ihre Anklageschrift beim Landgericht ein. Am Ende blieb von den vormals schweren Vorwürfen nur eins übrig: Die Prostituierten seien scheinselbstständig gewesen. Die Anklage führte daher Vorenthaltung von Sozial- und Rentenbeiträgen und Steuerhinterziehung "aus groben Eigennutz in großem Ausmaß" an. Die angebliche Schadenssumme: 41,5 Millionen Euro. Doch das Landgericht ließ die Anklage nicht zur Verhandlung zu. Es gab keinen Prozess.
Die Betreiber hatten stets mit Finanzamt, Zoll und LKA kooperiert
Für die Richter war die Sache klar: Die Betreiber hatten mit Finanzamt, Zoll und Landeskriminalamt stets eng kooperiert, wurde regelmäßig kontrolliert, ohne dass die Behörden Anlass zum Einschreiten sahen. Kurzum: Die Unternehmer achteten darauf, dass bei dem Geschäft mit dem gekauften Sex rechtlich alles sauber läuft. Die Prostituierten seien nicht als Arbeitnehmer einzustufen. Zudem falle die Anklageschrift durch missverständliche Formulierungen und die teils ungenaue und verkürzte Wiedergabe von Sachverhalten auf. So steht es immer wieder und an mehreren Stellen im Gerichtsbeschluss. Es gebe keinen hinreichenden Tatverdacht. Zunächst legt die Staatsanwaltschaft Beschwerde gegen die Entscheidung ein, zog diese dann aber zurück. Aber warum äußert die Staatsanwaltschaft weiter "Verdachtsmomente"?
Der Artemis-Anwalt Ben Irle war bereits 2016 vor das Verwaltungsgericht gezogen und wollte der Behörde Aussagen - organisierte Kriminalität, Menschenhandel und Prostituierte wie "Sklaven auf Baumwollfeldern" - zu dem Verfahren untersagen lassen. Das hatte das Verwaltungsgericht abgelehnt, es sah keine Wiederholungsgefahr. Denn die beiden Bordellchefs waren längst aus der Untersuchungshaft entlassen worden, das Kammergericht hatte in der Haftentscheidung die Vorwürfe der Ankläger zerpflückt. Zudem hatte sich der damalige Generalstaatsanwalt Ralf Rother eingeschaltet. Eine Unterlassungserklärung lehnte er zwar ab, intern mahnte er die Staatsanwaltschaft aber zur Zurückhaltung, wenn sie sich zu dem Fall äußert.
Die Staatsanwaltschaft spricht weiterhin von "Verdachtsmomenten"
Doch von Zurückhaltung keine Spur. Die Staatsanwaltschaft stellt - trotz ihrer Schlappe bei der Anklagezulassung - die Artemis-Betreiber mit ihren "Verdachtsmomenten" weiterhin ins Zwielicht. Rechtsanwalt Ben Irle verlangte deshalb im Februar von der Behörde eine Unterlassung und einen Widerruf der Äußerungen. Es geschah nichts. Die Generalstaatsanwaltschaft hielt in einem Vermerk dazu fest: "Kein Anlass für eine Reaktion." Dann hat Irle Ende Februar vor dem Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung beantragt - auf 48 Seiten Papier. Entschieden ist nichts.
Die Staatsanwaltschaft beruft sich in ihrer kurzen Stellungnahme auf das Presserecht, auf Anfragen müsse sie Auskunft geben. Und die Artemis-Betreiber hätten nur das private Interesse, dass sich niemand mehr mit ihrem Geschäftsmodell und der Frage befasse, ob die Sexarbeiterinnen selbstständig sind oder nicht. So geht das hin und her zwischen beiden Seiten. Die jüngste Stellungnahme der Staatsanwaltschaft hat nur drei Zeilen: Die Antragsteller, also die Artemis-Betreiber, kämen nur ihrer "gewohnten Herabwürdigung der Strafverfolgungsbehörden" nach. Anwalt Irle findet die Antwort der Behörde "polemisch, unsachlich und gleichgültig", unbeirrt von allen Argumenten.
Der Anwalt der Artemis-Betreiber spricht von einer "Hexenjagd"
Nach den amtlichen Richtlinien für Strafverfahren sollen Staatsanwälte "bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit" mit Presse und Rundfunk "zusammenarbeiten". Dem Ergebnis einer Hauptverhandlung dürfe aber nicht vorgegriffen und der Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren nicht beeinträchtigt werden. Aber nicht einmal dieses Verfahren gibt es. Es gibt gar nichts.
Rechtsanwalt Irle sagt: "Würden tatsächlich rechtlich relevante Verdachtsmomente fortbestehen, hätte die Staatsanwaltschaft ihre Beschwerde gegen die Nichtzulassung ihrer Anklage entweder nicht zurücknehmen dürfen oder neue Ermittlungen einleiten müssen. Beides ist nicht der Fall." Irle wirft der Staatsanwaltschaft eine Hexenjagd vor. Von den haltlosen Vorwürfen sei nichts übrig geblieben, die "vollständige, rückstandslose Unschuld der vormals Angeklagten" stehe fest, sagt Irle. "Die Staatsanwaltschaft erweist sich als schlechter Verlierer und agiert im freien Fall." Das alles offenbare, wie sehr die Behörde die Kontrolle über Objektivität, Sachlichkeit und ihre rechtsstaatliche Funktion in diesem Fall verloren habe - und "dass in einer für den Rechtsfrieden höchst relevanten Behörde offenbar Willkür und Partikularinteressen Einzug erhalten haben." Das sei ein beunruhigendes Signal für die Bürger und die Hauptstadt eines Rechtsstaats.
Die Akte Artemis. Einblicke in eine Branche unter Verdacht. Lesen Sie hier unsere große Reportage aus der Sonnabend-Beilage "Mehr Berlin".
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