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Fünf Jahre dauert der Prozess gegen die Hells Angels bereits.
© Franz-Peter Tschauner dpa/lnw

Mord im Wettbüro: Staatsanwaltschaft fordert Lebenslang für Rocker

Nach fast fünf Jahren nähert sich der Prozess gegen Hells Angels dem Ende. Die Staatsanwaltschaft fordert für acht Angeklagte lebenslange Freiheitsstrafen.

Am 296. Tag die Überraschung: Erst schlossen die Richter im brisanten Rocker-Prozess wegen Mordes im Wettbüro nach fast fünf Jahren die Beweisaufnahme, dann bekamen um 13.49 Uhr die Staatsanwälte das Wort. „Die Anklage hat sich im Wesentlichen bestätigt“, begann Staatsanwalt Christian Fröhlich am Dienstag das Plädoyer der Anklage. Etwa vier Stunden später die Anträge: Für acht der zehn Angeklagten fordert die Staatsanwaltschaft lebenslange Freiheitsstrafen – sieben von ihnen hätten sich des gemeinschaftlichen Mordes schuldig gemacht, zudem sei der 35-jährige Kadir P. wegen Anstiftung zu verurteilen.

Die zumeist bulligen Angeklagten in ihren Sicherheitsboxen aus Panzerglas zeigten sich wenig beeindruckt. Kadir P., Chef der Hells-Angels-Gruppierung, drehte den beiden Staatsanwälten seinen Rücken zu und plauderte munter mit einem Mitangeklagten. Nur einer der Männer schien dem Plädoyer konzentriert zu folgen: Kassra Z., der als Kronzeuge gilt. Auch der 32-Jährige habe sich des Mordes schuldig gemacht, so die Staatsanwälte. Doch wegen seiner erheblichen Aufklärungshilfe sprachen sie sich für eine Haftstrafe von zehn Jahren aus.

Es war ein Anschlag vor laufenden Überwachungskameras: Am 10. Januar 2014, kurz nach Mitternacht, marschierten 13 zum Teil vermummte Männer in ein Wettcafé in Reinickendorf. Der erste Mann des Trupps hielt eine Pistole in der Hand. Im Hinterzimmer zielte er auf Tahir Ö., einen 26-Jährigen, durch den sich die Rocker um Kadir P. provoziert gefühlt haben sollen. Sechs von acht Kugeln trafen den Mann aus kurzer Distanz. Der Anschlag dauerte nur 25 Sekunden.

Seit November 2014 stehen erstmals ein Hells-Angels-Boss und fast seine komplette Truppe vor Gericht. Es ist ein Prozess der Superlative: 346 Zeugen wurden befragt, einige mehrfach, und 26 Sachverständige. Über Monate ging es auch um mögliches Fehlverhalten von Ermittlern. Unterließen Beamte bewusst zwingend gebotene Schutzmaßnahmen für das Opfer, um die potenziellen Tatbeteiligten strafrechtlich verfolgen zu können? Das soll in einem anderen Verfahren geprüft werden.

"Berlin gehört mir"

Die meisten Angeklagten demonstrieren Desinteresse. Einige gaben Erklärungen ab, in denen sie Mordvorwürfe zurückwiesen. Sie seien zum Wettbüro gefahren, „um eine Ansage zu machen“, hieß es. „Es ging darum, ihn klein zu machen, zu erniedrigen und je nach Reaktion auch zu schlagen.“ Einen Tötungsplan habe es nicht gegeben. Als plötzlich Schüsse fielen, sei Panik ausgebrochen. Später habe er erfahren, dass einer von ihnen habe schießen müssen, weil Ö. eine Waffe gezogen habe, so einer der Rocker.

Die Staatsanwaltschaft aber geht von einem heimtückischen Mord aus niedrigen Beweggründen aus. „Das Opfer musste für einen Ehrenkodex und für Rache sterben, die sich ein Rockerclub ausgedacht hatte“, hieß es im Plädoyer. Kadir P. habe den Auftrag erteilt. „Er war das unangefochtene Alphatier in der Gruppe, der nach immer mehr Macht strebende Präsident.“ Mit Äußerungen wie „Berlin gehört mir“ sei er aufgefallen.

Mord mit Ansage

Es war den Ermittlungen zufolge ein Mord mit Ansage. Ein Entschluss, der im Oktober 2013 nach einer Messerattacke gegen einen Hells-Angels-Türsteher vor einer Diskothek gefasst worden sei, so die Staatsanwälte. Tahir Ö. soll den Mann verletzt haben. Aus Rache für die erlittene Demütigung und für eine vermeintliche Wiederherstellung der Ehre sei es zu einem Mordkomplott gekommen. „Alle hatten Kenntnis von gezielten Schüssen.“

Die 13 Männer, die hintereinander in das Wettbüro zogen, trugen keine Kutten und keine Abzeichen, die auf ihre Hells-Angels-Zugehörigkeit deuteten. Das ist für die Ankläger ein Indiz dafür, dass es nicht darum ging, lediglich Präsenz zu zeigen und Ö. einzuschüchtern. Die Videosequenzen würden auch zeigen: „Keiner der Angeklagten war entrüstet oder zuckte zusammen, als die Schüsse fielen. Alle wussten, was passiert.“

Es war Recep O., der die Waffe in der Hand hielt und abdrückte. Der 30-Jährige erklärte: „Die Member wollten mit Ö. reden und ihm klar machen, dass er sich nicht provozierend benehmen soll.“ Einer aus der Gruppe habe ihm die Pistole gegeben. O. will in einer notwehrähnlichen Situation abgedrückt haben, bis kein Schuss mehr im Magazin war.

Für einen zehnten Angeklagten plädierten die Ankläger auf Freispruch vom Vorwurf der Anstiftung zum Mord. Ihm sei eine Beteiligung nicht nachzuweisen. Allerdings habe man bei Yakup S. eine Waffe gefunden. Er sei deshalb zu einer Strafe von zwei Jahren Haft zu verurteilen. Nach den Staatsanwälten sind für Donnerstag die Schlussvorträge der Nebenklage vorgesehen. Dann folgen vermutlich über mehrere Wochen die Plädoyers der Verteidiger.

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