Mord in Berliner Wettbüro: Polizei legt weitere Details vor
Erst Donnerstag stellte sich einer der bekanntesten Figuren der Rockerszene. Kadir P. wird verdächtigt, den Mord an Tahir Ö. in einem Weddinger Wettbüro in Auftrag gegeben zu haben. Bei einer Pressekonferenz stellte die Polizei jetzt weitere Details im Mordfall vor und zeigte ein Video, das die brutale Tat dokumentiert.
Am frühen Nachmittag bestätigten das Landeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft, dass nach dem Stand der derzeitigen Ermittlungen davon auszugehen sei, dass der Boss der mittlerweile verbotenen Rockerbande Hells Angels "Berlin City", Kadir. P. (29), die tödlichen Schüsse in einem Weddinger Wettbüro am 10. Januar in Auftrag gegeben habe. Damit sitzen nun sechs von mutmaßlich 14 Tatverdächtigen in Haft. Sie waren seit Montag sukzessive verhaftet worden.
Bei der heutigen Pressekonferenz zeigte die Polizei erstmals ein Video einer Überwachungskamera, die im Wettbüro installiert war. Es zeigt die Szene, in denen die tödlichen Schüsse fielen. 13 Männer, teils maskiert, teils mit freiem Gesicht, laufen an der Ladentheke vorbei, durch einen Gang in die hinteren Räume des Lokals.
Sie wirken nicht wahllos, sondern sie bewegen sich gezielt auf ihr späteres Opfer, Tahir Ö. (26), zu. Zu diesem Zeitpunkt ahnt Tahir Ö. nichts. Er sitzt in einem der hinteren Räume und spielt Karten, als die Männer auf ihn zustürmen. Einer der Angreifer eröffnet das Feuer. Er schießt acht Mal, sechs Mal davon treffen die Kugeln den Körper von Tahir Ö. Währenddessen halten die anderen Männer der Gruppe die weiteren Gäste des Lokals bei Seite. Nur fünf Sekunden lang, dann ist es vorbei. Kurz darauf flieht der Täter durch die Hintertür, die anderen Beteiligten verlassen das Lokal durch den Vordereingang. Tahir Ö., der selbst der Polizei als Intensivtäter bekannt war, stirbt noch am Tatort.
Streit vor dem "Traffic"
Hintergrund der Tat ist nach jetzigem Stand der Ermittlung ein Vorfall vom Oktober 2013. Tahir Ö., sei vor dem Disco "Traffic" am Alexanderplatz mit einem der Türsteher, selbst ein "Hells Angel", in Streit geraten. Dabei seien Mitglieder der Rocker mit einem Messer verletzt worden. Die Polizei hatte bei den Ermittlungen zum Mord schon früh Hinweise, die in die Rockerszene führten. Schon damals sei aus verdeckten Quellen durchgesickert, dass Kadir P. an Tahir Ö. eine Todesdrohung ausgesprochen habe. Laut dem Leiter des Landeskriminalamts, Christian Steiof, habe man den mutmaßlich Gefährdeten nicht warnen können, da er sich ins Ausland abgesetzt habe. Auch Kadir P. sei nicht durch eine so genannte Gefährdungsansprache von der Polizei gewarnt worden, da "man immer über die Sinnhaftigkeit nachdenken muss", sagte Steiof. Die Frage sei, ob das bei einer Figur wie dem Rockerboss Kadir P. erfolgsversprechend sei.
Im Zuge der auf der Pressekonferenz vorgestellten Ermittlungsergebnisse, ist ein weiteres Detail aufgetaucht. Demnach war bei der Auseinandersetzung vor dem "Traffic" auch ein Polizeibeamter involviert. Dieser sei privat vor der Disko gewesen und ebenfalls ins Visier der Rocker geraten. Disziplinarverfahrensrechtliche Konsequenzen würden laut Ermittler aber erst einmal nicht in Frage kommen, sondern erst wenn das Verfahren abgeschlossen sei. Derzeit ist der Polizist noch nicht suspendiert.
Die Hells Angels "Berlin City"
Die Hells Angels, die seit Jahren im Rockerkrieg mit ihren Erzrivalen Bandidos sind, gelten als bekanntester Motorradclub der Welt. Gegründet 1948 in Kalifornien, geht ihr Name zurück auf einen Film über Kampfflieger im Ersten Weltkrieg. Vor allem der Filmindustrie in Hollywood hatten sie ihren schnellen, weltweiten Ruhm zu verdanken: Filme wie Hells Angels on Wheels (1967) mit Jack Nicholson romantisieren das Rockerleben. 1969 dann der erste Schock, als auf einem Rolling-Stones-Konzert ein Hells Angel einen Fan ersticht, der unter Drogeneinfluss eine Pistole gezogen hatte.
Die Ableger heißen Hells-Angels-Charter. Sie gibt es in mehr als 30 Ländern, einige der größten und bedeutendsten davon in Deutschland. Laut Bundeskriminalamt gehören etwa 1200 Personen den deutschen Chartern an, die Hälfte dieser Rocker ist schon einmal straffällig geworden.
Für die Polizei sind die Hells Angels ebenso wie die Rivalen Bandidos Teil der Organisierten Kriminalität. Die Geschäftsfelder: Prostitution, Drogenhandel, Schutzgeld. Immer wieder fallen sie auch durch Gewaltverbrechen auf, vor allem gegen verfeindete Motorradclubs. Sie selbst bezeichnen sich als »1%er« - als das eine Prozent unter den Motorradclubs, die sich nicht an staatliche, sondern nur an ihre eigenen Regeln halten.
Kadir P., 29, war der Boss des mittlerweile verbotenen Rockerclubs Hells Angels „Berlin City“ mit dem Vereinsheim in der Residenzstraße in Reinickendorf. 2010 war der als skrupellos und gewaltbereite Kadir P. mit rund 80 seiner Getreuen von den verfeindeten Bandidos zu den Hells Angels übergelaufen. In der Geschichte der Rockerbanden in dieser Form eine so nie da gewesene Besonderheit. Er spielte sogar im Dezember 2013 veröffentlichten Video "Mitten in der Nacht" des Rappers Bushido mit. Dieser wiederum ist eng verbandelt mit dem arabischen Famililenclan Abou-C. Offenbar gibt es nun Allianzen zwischen den Rockern und dem Clan.
Aufsehen erregten die Hells Angels „Berlin City“ insbesondere im Sommer 2012, als die Ermittler für Organisierte Kriminalität beim Landeskriminalamt das Vereinheim von Kadir P.s Charter durchsuchen wollten und das Verbot durchgesetzt hatten. Doch als die Beamten ankamen, hatten die Rocker die Schilder bereits abgeschraubt und die Kutten verstaut: Die Razzia war über eine undichte Stelle bei der Polizei verraten worden. Eine Blamage für das zuständige Dezernat. Etliche der Mitglieder wechselten nach dem Vorfall zu den noch nicht verbotenen Ablegern „Hells Angels East Area“ nach Potsdam über.
Laut einem Ermittler spielen die Bandidos nach den Verbotsverfahren und vielen Razzien in Berlin keine bedeutsame Rolle mehr. Die Kontrolle über die Bereiche der Organisierten Kriminalität hätten die Hells Angels übernommen.