Kinderbetreuung in Berlin: SPD fordert Kita-Pflicht - CDU hält dagegen
Die SPD will eine Betreuungspflicht für Kinder ab drei Jahren in Berlin einführen. Die CDU reagierte verhalten. Zudem gibt es verfassungsrechtliche Bedenken - doch dafür gäbe es eine verfassungskonforme Lösung.
Die Betreuung von Kleinkindern bleibt in den Schulferien ein beliebtes Streitthema der Politik. SPD-Fraktionschef Raed Saleh fordert nun eine Kita-Pflicht für Kinder ab drei Jahren. Er beruft sich dabei auf die Ergebnisse der Einschulungsuntersuchungen 2012, die bereits am Montag vorgestellt wurden. Diese Analyse ergab wie berichtet, dass Kinder, die keine Kita besuchten, deutlich schlechtere Sprachkenntnisse haben als Kinder, die dort längere Zeit betreut wurden. „Die Startchancen von Menschen werden in jungen Jahren gelegt“, sagte Saleh dem Tagesspiegel. „Es kann nicht sein, dass Kinder mit mangelnden Sprachkenntnissen an die Schulen kommen und dort von vornherein benachteiligt sind.“ Zwar seien die Bedingungen in Berlin, wo mehr als 88 Prozent der Kinder mindestens zwei Jahre eine Kita besuchen, gut: „Aber wir müssen noch besser werden.“
Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) begrüßte den Vorschlag: „Es ist richtig, dass wir die Diskussion darüber führen, wie wir möglichst alle Kinder rechtzeitig in die Kita bekommen.“ Sie verwies darauf, dass sie bereits einen verpflichtenden Sprachtest ein Jahr vor der Einschulung eingeführt habe. Kinder mit Sprachschwierigkeiten würden zu Förderangeboten oder zum Kita-Besuch verpflichtet.
Der Koalitionspartner CDU reagierte indes verhalten. Wichtig sei es, die Kinderbetreuung auszubauen und attraktiver zu machen, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Heiko Melzer. „Eine Zwangsmaßnahme ist nicht das Erste, was uns dazu einfällt.“ Gesundheits- und Sozialsenator Mario Czaja (CDU) äußerte sich am Mittwoch nicht zur Kita-Pflicht, hatte aber bei der Vorstellung der Einschulungsuntersuchungen gesagt, dass der Kita-Besuch als wichtiges Instrument zur Chancengleichheit gestärkt werden müsse.
Der Neuköllner Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU) unterstützte Saleh, „aus der Perspektive meines Bezirkes“, und geht sogar noch weiter. Es müsse zusätzlich sichergestellt werden, dass die Kinder, die in einer Kita angemeldet seien, auch dort erscheinen.
Kritik kommt dagegen von den Grünen. „Der Senat schafft es ja nicht einmal, genügend Plätze für diejenigen, die freiwillig in die Kita wollen, zur Verfügung zu stellen“, sagte Jugendstadträtin Monika Herrmann aus Friedrichshain-Kreuzberg. Gerade in den Innenstadtbezirken sei kaum noch ein Platz zu finden, genügend Erzieherinnen gebe es auch nicht. Von einer „Law-and-Order-Politik“, wie Saleh sie vorschlage, halte sie nichts.
Saleh greift mit seiner Forderung einen alten Beschluss der Berliner SPD wieder auf. Schon im Oktober 2009 hatte sich ein Landesparteitag für eine Kita-Pflicht ab dem vierten Lebensjahr ausgesprochen und die SPD-Fraktion im Bundestag aufgefordert, eine entsprechende Gesetzesinitiative zu starten.
Viele Verfassungsrechtler weisen darauf hin, dass ein verpflichtender Kita-Besuch gegen das Grundgesetz verstoßen könnte. Dort heißt es in Artikel 6: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“ Deshalb wäre es auch nicht möglich, in der Berliner Verfassung eine Kita-Pflicht zu verankern, ohne auf Bundesrecht Rücksicht zu nehmen. Zwar ist das Bildungswesen Ländersache, aber das Bundesverfassungsgericht ordnete bisher die Kita-Betreuung in den Bereich der öffentlichen Fürsorge ein – und dafür ist der Bund zuständig.
Ein möglicher Ausweg wäre die Umwandlung der Kitas – etwa für Kinder ab dem 4. Lebensjahr – in Vorschulen. Dann würde die Schulpflicht greifen, die in allen Landesverfassungen verankert ist. Die öffentliche Debatte über eine Kita-Pflicht in Berlin stieß Anfang 2010 der Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) an. Er forderte sogar einen obligatorischen Kita-Besuch ab dem ersten Lebensjahr.
Sylvia Vogt, Ulrich Zawatka-Gerlach
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