Klaus Wowereit und sein Rückzug: SPD-Chef Stöß lehnt Neuwahlen ab
Wer soll über die Nachfolge Klaus Wowereits bestimmen? Der SPD-Landesvorsitzende und potenzielle Wowereit-Erbe Jan Stöß hat sich jetzt im Gespräch mit dem Tagesspiegel klar gegen eine Beteiligung aller Wähler ausgesprochen.
"Ich bin gegen Neuwahlen, der Regierende Bürgermeister stützt sich auf die Mehrheit im Abgeordnetenhaus", sagte Stöß am Donnerstagabend bei einer Diskussionsrunde im Tagespiegel. Der SPD-Landesvorsitzende war zu Gast des Berlin-Maximal-Clubs des Tagesspiegels. Mit Lorenz Maroldt, Chefredakteur des Tagesspiegels, und Gerd Appenzeller, Chefredakteur der Tagesspiegel-Zeitschrift "Köpfe", sprach er über das Thema "Wie geht es weiter in Berlin?"
Zur Dauerbaustelle BER sagte Stöß, das Thema stehe "ganz oben auf der Agenda des nächsten Regierenden Bürgermeisters", vor allem gehe es um zwei Dinge: "Eröffnungstermin und Kapazitätsfrage klären". Zur Problematik seines bislang eher geringen politischen und öffentlichen Profils sagte Stöß: "Auch Klaus Wowereit war am Anfang seiner Amtszeit nicht weltbekannt." Im Streit um mögliche neue Orte für die auf dem Tempelhofer Feld gescheiterte Zentral- und Landesbibliothek sagte Stöß: "Ich bin ein Anhänger der zentralen Landesbibliothek. Ich glaube an eine Erweiterung der Amerika-Gedenkbibliothek." Bezüglich einer möglichen Olympiabewerbung sprach sich der SPD-Vorsitzende indirekt gegen eine Bewerbung für 2024 aus, wie sie derzeit als eine Option diskutiert wird: "Olympia in Berlin darf nicht durch Schulden finanziert werden, und muss nachhaltig sein", sagte er. "2028 wäre ein günstiger Zeitpunkt." Mehr über diese Veranstaltung lesen Sie hier.
Kurz zuvor hatte sich im Machtkampf der Berliner SPD um die Wowereit-Nachfolge der Bezirksbürgermeister von Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), für Stadtentwicklungssenator Michael Müller ausgesprochen. Er empfehle Müller, sich für das Amt des Regierenden Bürgermeisters zu bewerben. Dem rbb gegenüber begründete Buschkowsky das am Donnerstag mit Müllers politischer Erfahrung. Buschkowsky sagte, wenn Müller kandidiere, sollten die beiden übrigen Kandidaten ihre Bewerbung nochmals überdenken und ihren Karrierewunsch vielleicht noch ein bisschen hinausschieben.
Müller schließt nach dem Rückzug Klaus Wowereits nicht aus, für dessen Nachfolge zu kandidieren. Der Abschied des Senatschef sei "eine Zäsur für die Partei und die Stadt". Er gönne sich "die Freiheit, ein oder zwei Tage nachzudenken". Ihm sei klar, dass das "nicht ewig dauern darf". Das sagte Müller am Donnerstag bei einem Pressetermin, bei dem es eigentlich um die Schaffung günstigen Wohnraums ging.
Spranger: Basis noch vor Herbstferien befragen
Müller sagte, er habe "eigene Erfahrung in unterschiedlichen Führungspositionen gesammelt". Dabei hätten wirtschaftspolitische Themen eine Rolle gespielt, die Schaffung von Arbeitsplätzen und der soziale Ausgleich. Nun sei es die Stadtentwicklung, mit der er sich befasse. "Das sind Dinge, die mir wichtig sind", sagte Müller. Er prüfe zurzeit auch, "wie ich mich mit diesen Inhalten noch pointierter einbringen kann". Das zu erreichen, müsse "nicht zwingend mit einer neuen Position im Senat" einhergehen. Vielmehr sei die Frage, "wie man etwas macht. Wie man im Zusammenspiel von Senat, Fraktion und Partei Dinge bewältigen kann." Müller zeigte sich selbst überrascht über den Zeitpunkt von Wowereits Rücktritt: "Was vorgestern passiert ist, war für mich auch überraschend. Nach so einer langen Zeit."
Die stellvertretende SPD-Landeschefin Iris Spranger forderte am Donnerstag ein "sehr sauberes und klares Verfahren" für den Mitgliederentscheid, unabhängig von der Zahl der Bewerber um die Nachfolge Klaus Wowereits. "Möglichst noch vor den Herbstferien sollte die Parteibasis befragt werden", sagte Spranger dem Tagesspiegel. Aus Müllers SPD-Kreisverband Tempelhof-Schöneberg verlautet, er wäre ein Bewerber, der nicht nur in der SPD "viele Sympathien auf sich ziehen könnte". Wenn er antreten sollte, müsse er das innerparteiliche Rennen aber auch gewinnen, ansonsten habe er kaum noch eine Chance, sein Amt als Stadtentwicklungssenator zu behalten. "Wenn er verliert, ist er ganz weg." Funktionäre im Kreisverband verweisen darauf, dass die Kandidaten Jan Stöß und Raed Saleh laut jüngsten Umfragen kaum bekannt seien und wenig Rückhalt in der Bevölkerung hätten. Für Müller spreche dessen Erfahrung und Vertrauenswürdigkeit.
Eine Stichwahl auf dem SPD-Landesparteitag?
Der SPD-Landeschef Jan Stöß wollte die Äußerungen Müllers nicht kommentieren. Ein Parteifunktionär und Abgeordneter wies daraufhin, dass sich Müller seit der Rücktrittsankündigung Wowereits weder im Landesvorstand noch in der Sondersitzung der Fraktion zu Wort gemeldet habe. Das passe zu seiner abwägenden Haltung, dazu, sich vorerst noch alles offenzuhalten.
Dem Vernehmen nach gibt es Überlegungen, wie der Nachfolgekandidat für Wowereit bestimmt werden soll, wenn sich mehr als zwei Bewerber dem Votum der Parteibasis stellen. Offenbar sollen dann die zwei Bewerber mit den meisten Stimmen auf dem SPD-Landesparteitag am 8. November gegeneinander antreten. Dann würden also die Delegierten in einer Stichwahl entscheiden. Am Sonntag treffen sich die zwölf SPD-Kreischefs gemeinsam mit dem Geschäftsführenden Landesvorstand, um die Sitzung der Parteiführung am Montag vorzubereiten. Das Treffen war schon vor der Rücktrittsankündigung Wowereits anberaumt worden.
Florian Graf, Fraktionschef der CDU, sagte am Mittag bei einem Termin im Tierpark Friedrichsfelde: "Ich habe die Vorgänge nicht zu bewerten. Die SPD muss ihre Führungsfrage alleine klären. Für Neuwahlen sehe ich momentan keinen Anlass." Wichtig sei für die CDU, dass das Regierungsarbeit nicht unter der Machtfrage der SPD leiden dürfe.
Der 49-jährige Müller war 2001 bis 2011 Fraktionsvorsitzender der SPD im Abgeordnetenhaus und von 2004 bis 2012 Landeschef der Sozialdemokraten. Er galt bis zu seiner Abwahl im höchsten Parteiamt, organisiert durch Stöß und Saleh, als Kronprinz Wowereits.