Stadtentwicklungssenator Michael Müller: "Ich war betroffen, nicht beleidigt"
Als Weggefährte von Klaus Wowereit plant Michael Müller die Zukunft Berlins – und provoziert Kritik. Zwei Monate, nachdem seine Pläne für das Tempelhofer Feld gescheitert sind, fragt sich, ob der SPD-Senator aus dem Schatten des Regierenden treten kann. Eine Stadtrundfahrt.
Verletzlich sei er und neige zu „schmollen“, wenn er Niederlagen erleidet. So wird über Michael Müller gesagt. Der Sozialdemokrat, der im Senat die Stadt entwickelt, die Umwelt schützt und nun auch die Versorgung mit Strom und Gas zurück in die öffentliche Hand holen soll. Zu wenig Profil, Charisma eher wenig, heißt es auch, ein Arbeiter halt, der sich durch Akten frisst und Sätze sagt wie diesen: „Berlin gehört zu den wachsenden Metropolen in Deutschland und wird der damit verbundenen Verantwortung in der Wohnungspolitik gerecht“ - was für ein Gefälle zu den markigen Gesten und Sprüchen seines langjährigen Weggefährten und Chefs im Senat, Klaus Wowereit. Ohne Wowereit wäre er wohl kaum da, wo er ist. Unterschätzt wird er deshalb schon mal. Nur von Wowereit vermutlich nicht, für den Müller so viel abgeräumt hat, wie wohl kein anderer Senator oder Kampfgefährte in der SPD.
„Man weiß ja nie, wie lange das gut geht“
Aber wie nähert man sich einem, der stets korrekt, aber etwas steif daher kommt, dessen Blick tief hinter der Brille oft ausweicht – aus Misstrauen? Wer Müller kennen lernen will, muss ihn aufsuchen dort, wo er für sich ist. In den eigenen vier Wänden, aber das ist nicht nur die Wohnung am Tempelhofer Damm, gegenüber von dem Feld, dessen Bebauung ihm das Volk verwehrte, es ist auch – sein Dienstwagen. Ein Mercedes der E-Klasse, schwarz, 163-Diesel-PS.
Sozis und Autos, seit Gerhard Schröder sich in Armani und mit Cohiba ablichten ließ, ist die schnittige Limousine fast schon das passende Accessoire, um das Klischee vom Aufstieg des Arbeitersohns zum Politbaron zu bedienen. Müller würde ins Bild passen: Bis zum Jahr 2004 stand er noch selbst an der Druckmaschine, die Traueranzeigen oder Hochzeitskarten auf schwerem Papier ausspuckt. Fraktionschef war er da schon und Wowereit Regierender. „Man weiß ja nie, wie lange das gut geht“, sagt er auf die erstaunte Nachfrage. Erst als er auch noch Parteichef wurde, habe er in der Druckerei des Vaters aufgehört.
Abheben ist Müllers Sache nicht. Michael ist in der Familiengeschichte „seit Generationen der Erste mit einem Arbeitsvertrag“. Dass er eine Behörde mit 2000 Mitarbeitern führt und vom Fahrer mit schwarzem Mercedes durch Berlin gewiegt wird, sieht er fast als Zufall an. Planbar sei sie jedenfalls nicht gewesen, die Bankenkrise im Jahr 2001, „die kam über Nacht“ und sprengte die CDU-Herrschaft im Berliner Senat, katapultierte den Sozi Wowereit in den Regierungssitz – und auch Müller ins Zentrum der Macht.
Gut zweieinhalb Monate liegt die wohl schwerste Niederlage seiner Karriere nun zurück, als die Berliner ihm das Vertrauen entzogen für seine Baupläne auf dem Tempelhofer Feld. Sogar Rücktrittsforderungen wurden laut. Aber dann hätten viele aus dem Amt ausscheiden müssen, nicht zuletzt Wowereit, der noch kurz vor dem Volksentscheid die Sozialdemokraten auf das Projekt einschwor. Ein Segen ist das, dass Müller sich oft hinter der breiten Brust des Regierenden in Sicherheit wiegen darf. Aber auch ein Fluch. Weil er selbst mal als Nachfolger gehandelt wurde. Doch dafür müsste er aus Wowereits Schatten treten, wenn nicht sogar zum Königsmörder werden – aber ist ihm das wirklich zuzutrauen?
Bevorzugt er moderne oder historische Architektur? Müller zögert, weicht aus
Am Schloss hält der Wagen. Müller weist auf die hoch emporgewachsenen Mauern: „Das wird die Mitte komplett verändern.“ Der Blick von der Museumsinsel zur Breiten Straße ist nun versperrt. Und die Fassade wird nur dann ausschließlich auf der Rückseite modern gestaltet, wenn die Stiftung das Geld für den Schmuck zusammenbekommt. Ein Schloss-Gegner ist er nicht, er ist sogar für das „Humboldtforum“. Mit dem Namen werden die Nutzer des Schlosses bezeichnet und ihr Angebot: Bibliothek, Museen und Veranstaltungen im Inneren des Neubaus. Sie werden das Image Berlins als Schmelztigel und Treffpunkt der Weltkulturen befördern, glaubt Müller.
Wie hält es Müller mit der Baukultur? Bevorzugt er modern oder historisch?
Aber wie hält er es selbst mit der Baukultur? Bevorzugt er moderne oder historische Architektur? Müller zögert. Weil nun Taktik gefragt ist bei den Grabenkämpfen zwischen Befürwortern historischer Rekonstruktion und Modernisten wie die eigene Senatsbaudirektorin? Der Senator weicht aus, lobt den Charlottenburger Savignyplatz und Wilmersdorfs Rüdesheimer Platz: „Grüner Kern, Geschäfte und schöne alte Gründerzeitbauten.“ Berlins Bürger-Kieze eben. Wohlwollende Worte findet er auch für das gute Dutzend Townhouses am Hausvogteiplatz. Aber „ständig vier Treppen hoch und wieder runter, das würde mich nerven.“
Nächster Halt Alexanderplatz. Berlin leide nicht an Hochhaus-Phobie, sagt der Senator etwas unvermittelt. Müller knüpft damit an Debatten aus Zeiten an, die zu Ende waren, lange bevor er ins Amt kam. Richtig ist aber auch, dass erst jetzt, wo sich niemand mehr einfach nur mit einem Koffer in Berlin begnügt, sondern mindestens ein Penthouse hier haben muss, Investoren den Alex entdecken. US-Multi Hines baut am Rande vom Saturn 150 Meter hoch, ein anderer neben dem roten Kaufcenter „Alexa“. Auch landeseigenen Firmen sind dabei, die Degewo errichtet einen Block weiter östlich. 65 Meter, 120 und 150 – in Neukölln geht es sogar noch höher hinaus, neben dem Hotel Estrel, sind es 170 Meter. „Der höchste Bau Deutschlands“, sagt Senatoren-Sprecherin Daniela Augenstein. „Nein, der entsteht in Frankfurt“, korrigiert Müller, ganz korrekt.
Zum Mittagessen ein Salat mit dem Justizminister
War er immer schon so? Nein, schulterlange Haare hatte er mal und trug einen alten Trenchcoat. Da hatte Berlin noch eine Mauer und Studenten besetzten Häuser, um Spekulanten das Geschäft mit Wohnraum zu vermiesen. Er gehöre der „Christiane-F.-Generation“ an, sagt Müller. Die Junkie-Tragödie spielt am Bahnhof Zoo, im Zentrum des alten West-Berlin, in einer Zeit, als David Bowie in der Hauptstraße wohnte. Aber Revolte? Er? Sie blieb aus bei den Müllers oder spielte sich in den Grenzen dessen ab, was das Parteibuch hergab: Für die SPD war er, aber gegen Helmut Schmidts Nato-Beschluss zur Stationierung von Atomraketen im Lande – der Vater hingegen war dafür.
„Lieber rot als tot“, mag er ihm entgegengeschmettert haben. Aber das Einzelkind begehrte nicht auf gegen den Vater, so wie andere, die weg wollten, einfach nur weg. Aber was hätte Michael diesem Suchenden, seinem Vater, auch entgegensetzen sollen, der ursprünglich selbst, „überzeugter Sozialist“, tagsüber die Weltrevolution plante und abends in der Druckerei für die Miete schuftete? Seit mehr als 50 Jahren ist der Vater Mitglied in der SPD, wenn er sich auch in all den Jahren durchaus an unterschiedlichen Rändern des sozialdemokratischen Spektrums bewegte.
Nach Friedrichshain geht die Reise weiter, zum Freudenberg-Areal. 660 Wohnungen entstehen hier, 120 davon baut die landeseigene Howoge und vermietet die meisten für 6,50 Euro pro Quadratmeter und Monat. Der Investor baut eine Kita und einen öffentlichen Platz, das neue Quartier wird nicht verriegelt. Ein „Gesamtkunstwerk“ nennt es Müller, weil es Ergebnis langer Verhandlungen ist.
Beim Spätkauf an der Straße gibt es ein Eis für die Sprecherin und einen Schokoriegel für den Senator. Kein Mittagessen bekommen? „Doch, einen Salat mit Heiko Maas“, sagt Müller. Der Bundesjustizminister war wie Müller jahrelang Landes- und Fraktionsvorsitzender, nur eben im Saarland. Aus dieser Zeit kennen sie sich gut. Jetzt zieht Maas in der Bundesregierung an der Mietpreisbremse, ein für Berlin, von Wohnungsnot geplant, ungemein wichtiges Vorhaben. Doch die CDU hat Maas ausgebremst. Eigentlich sollte der Gesetzesentwurf in der Koalition bereits abgestimmt sein. Doch die CDU rettete sich in die Sommerpause – „das nervt“, sagt Müller.
Ein Faltblatt mit allen seinen Maßnahmen im Kampf gegen die Wohnungsnot hat der Bausenator auch drucken lassen. Bündnisse mit Verbänden und Unternehmen stehen da drauf, Gesetzesänderungen zugunsten von Mietern, die Neue Liegenschaftspolitik, der Fonds für billige Mietwohnungen, Geld und Personal für die Verwaltungen – Müller hat viel auf den Weg gebracht, das müssten eigentlich auch Gegner anerkennen. Und doch: Nach der Niederlage im Volksbegehren zum Tempelhofer Feld hieß es, er schmolle, statt den Volkswillen zu akzeptieren. „Ich war betroffen, nicht beleidigt“, entgegnet er und fragt zurück: „Sollte ich denn jubeln über diese Entscheidung, ich war doch von unseren Plänen überzeugt?“ Es ist der Frust des Ehrgeizigen, von einem, der sich schwer tut loszulassen. Und wieder verteidigt Müller seine Pläne, immer noch, argwöhnt falsches Spiel bei den Gegnern. Erst spät am Nachmittag spricht es aus ihm, wie ein fernes Echo auf die längst verklungene Frage: „Das unberührte, freie Feld, vielleicht wollten die Berliner einfach nur das“. So einfach ist es manchmal, so schwer.