Kenia-Koalition: SPD, CDU und Grüne wollen in Brandenburg verhandeln
SPD, CDU und Grüne wollen eine Koalition schmieden. In zentralen Punkten haben sie bereits eine Einigkeit erzielt. Ein Überblick.
In Brandenburg soll nach der Landtagswahl vom 1. September nun eine Kenia-Koalition von SPD, CDU und Bündnis90/Grüne unter Führung von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) geschmiedet werden.
Der Landesvorstand der von Woidke geführten SPD hat am Donnerstagabend auf seinen Vorschlag den Weg dafür freigemacht, mit elf Ja-Stimmen und nur einer Gegenstimme. Auch der CDU-Vorstand votierte nach Angaben des kommissarischen Parteichefs Michael Stübgen einstimmig für die Aufnahme von Kenia-Koalitionsverhandlungen. „Sie werden am Montag beginnen“, sagte Woidke.
Man habe sich stark aufeinander zubewegt, betonte Stübgen. Der Landesparteirat der Grünen, der ursprünglich ein rot-grün-rotes Bündnis favorisierte, empfiehlt am Donnerstagabend ebenfalls Kenia, mit 13 Ja- bei drei Nein-Stimmen. Die Entscheidung selbst wird bei den Grünen ein Kleiner Parteitag am Samstag treffen. Die Linken kritisierten die Entscheidung von SPD und Grünen. Das Bündnis sei eine Zählgemeinschaft, kein inhaltlicher Aufbruch, erklärte Fraktionschef Sebastian Walter.
Grundlage ist ein gemeinsames Zehn-Seiten-Sondierungspapier der drei Parteien, das dem Tagesspiegel vorliegt. Es trägt den Titel: „Zusammenhalt, Nachhaltigkeit, Sicherheit. Gemeinsam Brandenburg neu denken.“ Als Anspruch wird formuliert: „Wir wollen beweisen, dass Politik Gestaltungskraft hat, und einen Politikstil leben, der neue Maßstäbe setzt: Beteiligung und Transparenz der Entscheidungsfindung und mehr Dialog mit den Brandenburgerinnen und Brandenburgern.“
Ein Kenia-Bündnis hätte eine Mehrheit von sechs Stimmen im Landtag, eine rot-grün-rote Regierung nur von einer Stimme. Mit der Entscheidung für Kenia will Woidke, der nach dem knappen Wahlsieg vor der AfD bei der Landtagswahl mit der SPD den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten hat, auch die schwierige Stimmung im Land aufnehmen.
Im Sondierungspapier haben sich SPD, CDU und Grüne auch in strittigen Feldern auf ein gemeinsames Vorgehen und Kompromisse verständigt, wobei die Grünen der SPD und CDU weitreichende Zugeständnisse abringen konnten. Ein Überblick, was Kenia mit Brandenburg in den nächsten fünf Jahren vorhat.
Landesentwicklung/Infrastruktur
Das Bündnis setzt auf regionalen Zusammenhalt, will zur Stärkung der ländlichen Regionen eine den Gesamtraum abdeckende Regionalentwicklungsstrategie. Stichworte sind der „Heimateuro“ und soziale Dorfentwicklung. Der neue gemeinsame Landesentwicklungsplan mit Berlin, den die CDU kündigen wollte, soll ein Jahr nach dem Inkrafttreten nun evaluiert werden. Der Nahverkehr soll ausgebaut werden. „Die Sondierungsparteien sind sich einig, dass wir eine Angebotssteigerung im ganzen Land brauchen, die sowohl für Pendler als auch für die Anbindung berlinferner Regionen eine deutliche Verbesserung bewirkt. Ein 365-Euro-Ticket wird geprüft.
Keine neuen Tagebaue
In den Koalitionsverhandlungen sollen Eckpunkte „eines Klimaplans für Brandenburg festgelegt werden“. Der Nachhaltigkeitsbeirat, den Woidke abgeschafft hatte, soll wieder eingerichtet werden. Die Kenia-Allianz verweist auf das Ergebnis der Kohlekommission. „Dieses sieht den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis Ende des Jahres 2038 vor, wenn die Rahmenbedingungen entsprechend sind auch schon 2035.“ Und: „Dementsprechend wird es auch keine neuen Tagebaue, keine Tagebauerweiterung und keine Umsiedlung von Dörfern mehr geben.“ Das ist die Proschim-Klausel, der Ort wird nicht abgebaggert. Die Windkraft soll auf 10 500 Megawatt ausgebaut werden, vor allem durch Repowering bestehender Windräder. Die Koalition will die Bundesgesetzgebung „so ändern, dass Industrieunternehmen regional erzeugten Strom auch selbst nutzen dürfen“. In den Koalitionsverhandlungen werden „die Empfehlungen für Mindestabstände überprüft“.
Arbeit/Soziales/Bildung/Kitas
Der Mindestlohn für öffentliche Aufträge in Brandenburg soll „möglichst rasch auf 13 Euro“ erhöht werden“. Geprüft wird eine Tariftreueklausel. Die freien Schulen werden gestärkt. In den Koalitionsverhandlungen soll ein Zeitplan für kostenfreie Kita- und Hort-Betreuung erarbeitet werden, gleichzeitig sollen Betreuungsschlüssel und Qualität verbessert werden.
Inneres, Justiz und Flüchtlingspolitik
Die Polizei soll auf „mindestens 8500 Stellen“ verstärkt werden. Eine umfassende Novellierung von Polizeigesetz und Verfassungsschutzgesetz sind nicht geplant. Die CDU war für eine Verschärfung, die Grünen wollten eine Entschärfung. In der Justiz sollen die Bearbeitungszeiten verkürzt werden. Besonders strittig war die Asyl- und Flüchtlingspolitik. Der Kompromiss sieht so aus: Kenia will ein Landesaufnahmeprogramm für verfolgte Christen. „Die Sondierungsparteien bekennen sich zur Aufnahme von aus Seenot geretteten Flüchtlingen in Kooperation mit dem Bund.“ Geflüchteten sollen in Brandenburg direkt nach Ankunft Angebote zum Spracherwerb unterbreitet werden.
Auf der anderen Seite heißt es: „Flüchtlinge und Asylsuchende, bei denen die Verfahren ergeben, dass sie nicht in Deutschland bleiben können, müssen das Land verlassen.“ Dabei habe „immer die freiwillige Rückkehr Vorrang vor Abschiebungen“. Abschiebehaft könne „nur ultima ratio“ sein. SPD und CDU wollten eine eigene neue Abschiebehaftsanstalt. Der Kompromiss sieht vor, dass der Konflikt vertagt wird, Zitat: „Die Zusammenarbeit mit anderen Ländern zur Nutzung von Abschiebehaftplätzen wird fortgeführt. Sollten dokumentiert keine Kapazitäten mehr zur Verfügung stehen, wird die Koalition über weitere Maßnahmen beraten.“ Priorität habe die Abschiebung von Gefährdern.
Landwirtschaft, Wald, Natur und Wolf
Dazu heißt es: „Die Sondierungsparteien streben an, den Anteil der ökologischen Landwirtschaft durch einen Aktionsplan weiter deutlich zu erhöhen.“ Dies dürfe aber nicht zu Lasten bestehender Betriebe gehen. Zur Massentierhaltung heißt es: „Regelungen zur Flächenbezogenen Tierhaltung, zu Bestandsobergrenzen (...) sowie der Verstetigung und Verbesserung von Weideprämien werden angestrebt.“
Bei Umgang mit den Wölfen im Land setzt Kenia auf die Bundeslinie, also einen härteren Kurs: „Wir setzen auf die Stärkung der Weidewirtschaft, Prävention, Entschädigung und die Entnahme von Problemwölfen.“ Die Koalition will den Waldumbau forcieren, mehr für Artenvielfalt und Naturschutz tun: „So soll zum Beispiel ein Programm zur Erweiterung von Mooren aufgelegt, der Insektenschutz weiter verbessert und Blühstreifen gefördert werden.“ Nachdem der Naturschutz seit Jahren massiv abgebaut wurde, soll es nun eine Kehrtwende geben: „Beim Natur- und Umweltschutz wollen wir an die Erfolge der Gründungsphase unseres Landes anknüpfen, das Großschutzsystem weiter aufwerten.“
Thorsten Metzner