Wem gehört Berlin?: Neukölln: Immer mehr Eigentum in der Hand von Immobiliengesellschaften
Bei der ersten Kiezdebatte zur Recherche "Wem gehört Berlin?" wurde darüber diskutiert, wie Immobilienbesitz und Mieterschutz gerechter gestaltet werden können.
Wem gehört Neukölln? Willi Laumann vom Mietenbündnis Neukölln weiß: Privatpersonen immer seltener, stattdessen werden Wohnhäuser im Bezirk häufig von Gesellschaften aufgekauft, sagte er am Dienstagabend bei der Tagesspiegel-Bezirksdebatte in der Galerie Zönoteka in der Hobrechtstraße 54.
Seine Diskussionspartner waren Jochen Biedermann, Stadtentwicklungsstadtrat der Grünen, und ein Vertreter der Mieterinitiative Elbestraße/Weigandufer (ElWe44), deren Haus erst kürzlich verkauft wurde. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Rechercheprojekts "Wem gehört Berlin?" vom Tagesspiegel und Correctiv statt.
Die Eigentümerstruktur in Neukölln hat sich verändert
Die Hälfte aller in den Neuköllner Milieuschutzgebieten seit 2017 verkauften Häuser wurde von Privatpersonen an Gesellschaften verkauft, ein weiteres Drittel von Gesellschaften an Gesellschaften. „Dadurch hat sich die Eigentümerstruktur verändert“, sagt Biedermann. Das Problem: Die „Newcomer“ könnten viel mehr bezahlen, „normale Eigentümer“ zu den Preisen gar nicht mehr kaufen.
Mit hohen Kaufpreisen steigen auch die Mieten: Seit 2014 in Neukölln um 40 Prozent, die Kaufpreise für Wohnungen sogar um 79 Prozent, wie eine Auswertung von Immobilienscout24 zeigt.
Willi Laumann hat untersucht, „wer bei der Mietpreisbremse am meisten übers Ziel hinausgeschossen ist: Die enden alle mit ,Properties'." 47 Prozent über dem Mietspiegel sei der Spitzensatz in Neukölln gewesen, der Eigentümer: eine Firma namens „Jessica Properties“.
Was kann das Vorkaufsrecht leisten?
Wenn sich immer mehr Mieter die steigenden Mieten nicht mehr leisten können, kann der Bezirk nach einer Voruntersuchung Milieuschutz für ein Gebiet erlassen. Wird dort ein Haus verkauft, kann der Bezirk das Vorkaufsrecht einsetzen.
Das war bei dem Haus der Initiative „ElWe44“ der Fall: Die Hausgemeinschaft erfuhr vom Bezirk, dass ihr Haus verkauft wurde, erzählt der Vertreter. Das Wichtigste beim Vorkaufsrecht ist, dass sich ein dritter Käufer findet, meist eine städtische Wohnungsbaugesellschaft, die das Haus für den Bezirk erwirbt.
Steht das fest, kann der Investor den Vorkauf nur durch eine Abwendungserklärung verhindern. Im Fall der ElWe44 passierte das auch. Mit der Erklärung verpflichtet sich der Vermieter, die Ziele des Milieuschutzes einzuhalten.
Teilverkauf im Schillerkiez - Mieterverein befürchtet "Präzedenzfall"
Das Vorkaufsrecht sei aber ein „erheblicher Kraftakt“, sagte Biedermann, für den im Bezirk das Personal fehle. Es greift nicht immer, wie ein aktueller Fall zeigt, den eine Besucherin der Veranstaltung schilderte: Gerade wurde bekannt, dass ihr Haus in der Schillerpromenade/Ecke Allerstraße verkauft wurde, allerdings nur zu 25 Prozent.
Obwohl das Gebäude die Voraussetzungen zur Wahrnehmung des Vorkaufsrechts erfüllt, erschwert der Teilverkauf die Bedingungen: Der Bezirk muss einen Käufer für das „Viertelhaus“ finden. Wenn das aber nicht klappt und der Bezirk bei dem ersten Verkauf auf die Ausübung des Vorkaufsrechtes verzichtet, kann er es bei einem möglichen weiteren Verkauf der übrigen Teile des Hauses nicht mehr anwenden.
Die Zeit drängt, denn die Frist für die Ausübung des Vorkaufsrechts läuft am 12. November ab. Jetzt bat die Neuköllner Bezirksleitung des Berliner Mietervereins die Senatsverwaltung für Finanzen in einem Brief "auf die Wohnungsbaugesellschaften Stadt und Land und Degewo einzuwirken", dass der Bezirk sein Vorkaufsrecht zugunsten dieser Gesellschaften ausüben könne.
So soll verhindert werden, dass ein Präzedenzfall für diese Art von Teilverkäufen in Milieuschutzgebieten geschaffen werde. Zwar sei die Situation als Minderheitsgesellschafter ungewöhnlich, aber der Mieterverein erwarte, dass die jetzige Eigentümerin sich ohnehin vom Rest des Gebäudes trennen werde und dann wäre vielleicht die landeseigene Gesellschaft Eigentümerin des gesamten Hauses. Die Senatsverwaltung für Finanzen wurde zu diesem Thema vom Tagesspiegel angefragt.
Bezirk appelliert an Bund für besseren Mieterschutz
Aktuell arbeitet neben Biedermann nur eine Teilzeitkraft an den Vorkaufsfällen, eine weitere Stelle ist ausgeschrieben. Ab dem Verkauf hat Bezirk nur zwei Monate Zeit, um einzugreifen. „Eigentlich schaffen wir nicht mehr als vier Verfahren gleichzeitig. Aber wir versuchen auch mehr hinzukriegen.“
Der Bezirksstadtrat wünscht sich vor allem mehr Unterstützung auf Bundesebene: "Wir brauchen eine Mietpreisbremse, die wirklich bremst."
Am Dienstag, 6. November, diskutieren wir „Wem gehört Mitte?“ mit Baustadtrat Ephraim Gothe, Investor Henrik Thomsen von der Groth Gruppe und Mieterinitiativen. 20 Uhr, Singerstraße 109. Anmeldung: wem-gehoert-berlin.de.