Späti-Debatte: Sonntagabend ist relativ!
In der Stadt der durchliberalisierten und deregulierten Lebensstile sollten Ämter die Spätverkäufer nicht schurigeln. Der Vergleich mit Tankstellen zeigt, dass begrenzte Spätverkaufs-Öffnungszeiten nicht vernünftig zu begründen sind.
Das wäre was: die Lockerung einer Vorschrift im durchregulierten Berlin – bloß, um den Leuten das Leben leichter zu machen. Freier Spätverkauf für freie Städter, zwei kalte Biere am Sonntagabend, ein Prost auf den Wochenbeginn. Das würde – per Spätverkaufsladen an der Ecke – sogar Leuten selbst bestimmten Konsum möglich machen, die ihren Einkauf nicht planen. Ausgerechnet die streng guckende Wirtschaftssenatorin Sybille von Obernitz will es möglich machen: Läden, deren Chefverkäufer auch Inhaber sind, sollen sonntagabends öffnen dürfen.
Noch ist das verboten. Spätis, wie die Läden leicht infantil genannt werden, müssen laut Berliner Ladenöffnungsgesetz sonntags geschlossen bleiben. Öffnungszeiten sind Ländersache. In Berlin werden viele Sonntage zu Shopping-Tagen, weil ein Event Anlass für Ausnahmeregelungen bietet. Da interessieren Ruhe, Familiengemeinsamkeit und Religion noch weniger als sonst. Aber wenn ein Spätverkäufer sonntagabends Damenbinden feilhält, muss er damit rechnen, dass montags ein Bezirksamtsmitarbeiter mit dem Bußgeldbescheid wedelt.
Dabei zeigt der Vergleich mit den Tankstellen, dass das Begrenzen der Spätverkaufs-Öffnungszeiten nicht vernünftig zu begründen ist. An großen Stationen, die in der Innenstadt eher selten sind, bekommt man alles Mögliche, was am Wochenende plötzlich fehlt, von der Milch über den Tagesspiegel, den Blumenstrauß für die neue Freundin von der Ü40-Party, DVDs, Kinderspielzeug, Grillkohle. Sogar Zündkerzen. Und natürlich Sandwiches. Das macht Tankstellen, nebenbei geflucht, zu den Institutionen, die den Leuten die Fähigkeit abgewöhnen, sich selbst eine Stulle zu schmieren. Wer das nicht glaubt, soll sich mal sonntagabends in Spandau oder Wilmersdorf in die Schlange vor der Benzinhändlerkasse stellen. Verhärmte Gestalten, die zur Umdrehung eines Zündschlüssels weder willens noch fähig sind, stehen mit zitternden Händen an der Kasse, verlangen ein Wurstbrot, zwei Packungen Zigaretten und einen Sechserpack.
Jedem das Seine, zumal bei Konsum und Selbstverwirklichung: Das ist so etwas wie das Berliner Grundgesetz. Warum sollen Spätverkäufer nicht ihr Maximum dazu beitragen? Drei gute Gründe, die über kaltes Bier hinausgehen, sprechen dafür.
Erstens sind die Spätverkäufer für die Kiez-Infrastruktur auch kommunikativ das, was früher Tante Emmas Eckladen war. Das beginnt beim kurzen Geplauder, geht über das von der missgelaunten Christiane Rösinger in ihrer „Berlin“-Ballade besungene „Vorglühen“ beim Späti und endet beim gemeinsamen Fußballabend, was den Spätkauf zur preiswerten Version der „Sportsbar“ macht.
Spätverkäufer bieten, zweitens, anderen Kleinunternehmen Zugang zum Markt. Denn zur Berliner Ökonomie gehören auch Leute, die im Keller Bier in Kleinserie brauen, in Bio-Marmelade-Manufakturen machen oder in Senf. Die kann man beim Spätkauf um die Ecke viel eher testweise ins Regal stellen als beim Discounter.
Spätverkäufer passen, drittens, zu einem Lebensstil, der an keinen Tages- oder Wochenrhythmus mehr gebunden ist: durchindividualisiert, wenig strukturiert, vielleicht nur in jungen Jahren so zu machen, aber jedenfalls von vielen gewollt. Was genauso funktioniert wie der Handel auf Kleingeldniveau, ist der Regulierungswahn. Mit Recht regen sich die Leute darüber auf, dass die EU-Bürokratie sich mit Glühbirnen und Gurkenformen befasst. Genauso begründet wäre Groll über die Schurigelei der Späti-Betreiber durch einige Bezirksämter.
Folgt man indes der Arbeitssenatorin Dilek Kolat – sie möchte an den Öffnungszeiten nichts ändern –, hat das Bundesverfassungsgericht indirekt etwas gegen diesen Lebensstil. Die Verfassungsrichter haben vor ein paar Jahren ein Votum für die Sonn- und Feiertagsruhe getroffen und verlangen sehr starke Gründe, um Ausnahmen zuzulassen. Handel und Konsum, so vermutet Kolat, würden vor den Richteraugen nicht bestehen. Doch gibt es ein Recht auf freie Berufswahl. Das kann bedeuten, dass man im eigenen Laden steht und Dinge verkauft. Der Senat könnte es darauf ankommen lassen: die Öffnungszeiten für die Spätverkaufsläden deregulieren – und dann sehen, ob überhaupt jemand klagt.
Werner van Bebber
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