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Schutz gegen Hitze: Bunte Schirmchen, wie auf den Walter-Benjamin-Platz in Charlottenburg, reichen nicht.
© dpa/Kay Nietfeld

Klimawandel in der Stadt: So unzureichend schützt Berlin Ältere und Kranke vor Hitze

Wenn es länger heiß ist, gibt es fast zehn Prozent mehr Todesfälle. Der Senat hat kein verbindliches Konzept, wie es die Bundesregierung seit 2017 empfiehlt.

Berlin steht eine weitere sommerlich heiße Woche bevor – auch wenn am Dienstag die Höchsttemperatur vorübergehend auf 26 Grad zurückgehen soll. Besonders ältere Menschen leiden darunter.

Ein Beispiel: Eine 80-Jährige Berlinerin wird in ihrer Moabiter Wohnung vom Pflegedienst betreut. Dreimal am Tag kommen wechselnde Mitarbeiterinnen, waschen sie, bringen das Mittagessen und helfen ihr beim Toilettengang. Den schafft die Frau nicht mehr ohne Hilfe, deshalb trinkt sie ohnehin sehr wenig. Bei mehreren Tagen oder gar Wochen anhaltender Hitze kann das aber tödlich sein, sagt Dieter Lehmkuhl.

Der Berliner Psychiater ist Vorstands- und Gründungsmitglied in der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG), einem bundesweiten Zusammenschluss von Ärzten, Pflegern und anderen im Gesundheitssystem Beschäftigten. Diese haben gerade in einer Pressemitteilung bitter beklagt, dass Deutschland auf Hitzewellen wie die gegenwärtige immer noch nicht vorbereitet ist. Dabei steigt die Zahl der Menschen, die gesundheitliche Hilfe benötigen, in solchen Zeiten stark an.

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So musste auch die Berliner Feuerwehr in der vergangenen Woche mehrmals den Ausnahmezustand ausrufen – allein wegen der hohen Zahl an Notrufen. Aufgrund der Hitze habe es vermehrt Einsätze wegen Kreislaufbeschwerden und Herzproblemen gegeben. „Wir führen zwar keine Statistik, wie viele der Einsätze genau wegen der Hitze erfolgt sind“, sagte ein Sprecher am Sonntag dem Tagesspiegel, „aber die hohe Anzahl zu bestimmten Zeiten geht höchstwahrscheinlich größtenteils darauf zurück.“

Hitze kann genauso gesundheitsgefährdend sein wie Corona

Die Bundesregierung hat bereits 2017 den Städten und Kommunen empfohlen, sogenannte Hitzeaktionspläne auszuarbeiten, aber bis auf wenige Ausnahmen sei dies bisher nicht geschehen, sagt Dieter Lehmkuhl. Dabei seien besonders Kleinkinder, chronisch Kranke sowie alleinstehende ältere Menschen gefährdet.

Europaweit würden bei Hitzewellen etwa zehn Prozent mehr Menschen sterben. „Im heißen Sommer 2018 stieg die Zahl der Todesfälle auch in Deutschland sprunghaft an, heute würden wir es Übersterblichkeit nennen. Es gab etwa 10.000 Hitzetote – das ist durchaus vergleichbar mit der Zahl der Opfer von Covid-19.“

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Aber im Gegensatz zu den zahlreichen und weitreichenden Corona-Schutzmaßnahmen würde in Sachen Hitzeschutz kaum etwas geschehen, klagt Lehmkuhl. Vor allem nicht in Berlin, wie die CDU-Abgeordnete und Vorsitzende des Bildungsausschusses, Emine Demirbüken-Wegner, kritisiert.

Unvergessen sei der Hitzesommer 2003, in dem mehr als 1000 Berlinerinnen und Berliner den Auswirkungen der Hitze erlagen, erklärt sie: „Und was tut der Senat? Er ließ dazu wissen, dass er sich mit ,Aspekten‘ des Themas beschäftige und Hinweise veröffentliche, wenn es warm wird. Das ist lächerlich für jemanden, der das Wort Klimaschutz und den präventiven Gesundheitsschutz zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit im Munde führt.“

Eine Handreichung zum Umgang mit Hitze reiche nicht aus, sagen Kritiker

Tatsächlich hatte die Senatsgesundheitsverwaltung Anfang März auf eine entsprechende Anfrage Demirbüken-Wegners geantwortet, dass der Senat schon in den Vorjahren Hinweise zum Thema „Was tun bei Hitze? Hinweise für Seniorinnen und Senioren“ veröffentlicht habe.

Das reiche aber bei Weitem nicht aus, sagen Kritiker. Und verweisen seit Längerem auf Frankreich, das nach dem dramatischen Geschehen im Sommer 2003, als schätzungsweise 15.000 Menschen wegen der Hitze starben, ein vorbildliches Warn- und Hilfssystem installiert habe. Unter anderem verpflichtet es die Gesundheitsbehörden, zu kontrollieren, dass öffentliche Einrichtungen beim Erreichen entsprechender Temperaturen Maßnahmen zur Hitzeprävention einleiten.

So müssen etwa Obdachlosen- und Senioreneinrichtungen, aber auch Krippen und Schulen nicht nur Getränke, sondern auch gekühlte Aufenthaltsräume anbieten. Die Bürgermeister müssen Hitzereferenten ernennen und ein Register über besonders gefährdete Personengruppen wie ältere alleinstehende Menschen führen. Die können dann bei hohen Temperaturen regelmäßig von Betreuungsdiensten oder Vereinen besucht werden. Wenn die beiden höchsten Hitzewarnstufen erreicht sind, wird das Personal in Kliniken aufgestockt, und der Premierminister kann einen Krisenstab ausrufen.

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„Davon sind wir in Berlin noch weit entfernt“, sagt Dieter Lehmkuhl. Für Emine Demirbüken-Wegner ist das unverständlich – vor allem, weil das Land Berlin in einer Arbeitsgruppe des Bundesministeriums für Umweltschutz zur Implementierung von Hitzeaktionsplänen mitgewirkt hat.

Die Senatsverwaltung für Gesundheit weist denn auch die Vorwürfe zurück. Das Thema Klimawandel und Gesundheit habe für das Land Berlin eine hohe Relevanz, heißt es auf eine Anfrage des Tagesspiegels. Aus diesem Grund werde sich die diesjährige Gesundheitsministerkonferenz auf Initiative Berlins mit dem Thema befassen. Außerdem habe man einige der Empfehlungen des Bundes zur Erarbeitung eines Hitzeaktionsplanes bereits umgesetzt, etwa die Kommunikation von Präventionsmöglichkeiten oder die Berechnung der Übersterblichkeit.

Überdurchschnittliche Sterblichkeit wegen Hitze trat zuletzt 2018 auf - und dieses Jahr?

Letztere habe ergeben, dass eine überdurchschnittliche Sterblichkeit in Berlin nur auftrat, wenn die Hitzeperiode ohne Unterbrechung andauerte. Dies gilt für die Sommermonate der Jahre 1994, 2006, 2010 und 2018. Und es gilt wahrscheinlich auch für die gegenwärtige Situation.

Die Häufigkeit der Übersterblichkeit in Berlin stieg übrigens laut der Untersuchung an, je älter der betroffene Personenkreis war. Georg Kössler, Sprecher für Umwelt und Klimaschutz der Grünen im Abgeordnetenhaus, geht deshalb sogar noch einen Schritt weiter. In Straßen und an Orten, wo es nicht genügend Schatten gibt, müsse man eben auch mal einen Parkplatz schließen und dafür Bäume pflanzen, sagt er.

Die Grünen-Fraktion will wahrscheinlich noch in dieser Woche ein entsprechendes Papier zum Thema Hitze und Trockenheit beschließen. Gefordert werden kühlere Straßen, lebendiges Stadtgrün und bessere Versickerung – Maßnahmen, die in den Bereich der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz fallen und zum Teil durch das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm (BEK) finanziert werden können.

Auch die Gesundheitsverwaltung verweist auf das BEK, das auch verschiedene Maßnahmen wie die Thematisierung der Klimaanpassung in der Alten- und Krankenpflege oder entsprechende Aus- und Weiterbildungsangebote für Ärzte und Pflegekräfte enthalte.

"Viele Ältere schaffen es nicht allein, mehr zu trinken"

Dieter Lehmkuhl bleibt skeptisch. Man brauche unter anderem ein verbindliches Alarmsystem, Kühlzonen und Fortbildung für Mediziner und Pfleger. Aufklärung allein reiche nicht aus, wenn die Verantwortlichkeiten nicht klar benannt sind. Ähnliches gelte für die Weitergabe von Handlungsempfehlungen. „Viele ältere, aber auch psychisch oder physisch eingeschränkte Menschen nehmen die doch gar nicht mehr auf“, sagt er: „Oder sie schaffen es nicht allein, mehr zu trinken und den Raum zu verdunkeln.“

Die 80-Jährige aus Moabit hat sich von ihrem Enkel Jalousien einbauen lassen, die sie vom Bett oder Sessel aus mit Fernbedienung öffnet und schließt. Und zusätzlich hilft ihr zweimal am Tag eine Nachbarin beim Gang zur Toilette – damit sie ausreichend trinken kann.

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