Corona und die Gastronomie: Hoffen auf die unerschrockenen Berliner
Abgesagte Messen, täglich neue Stornos: Wie Restaurants in der Hauptstadt mit der Krise umgehen
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Wie wirkt sich die Corona-Krise auf die Berliner Gastronomie aus? Wir haben in vielen Restaurants nachgefragt.
"Letzte Woche lief es im ,Grill Royal' und ,Petit Royal' noch sehr gut, obwohl viele Tische wegen des Ausfalls der ITB abgesagt wurden", sagt Geschäftsführer Boris Radcun. "Wir haben aber die freien Plätze schnell mit Nachbarn und Stammgästen gefüllt bekommen. Der Berliner ist ziemlich unerschrocken, alles, was den Charakter von etwas Besonderem hat, das lassen sie sich nicht nehmen. Schwierig ist die Sternegastronomie, die viele Gäste von auswärts besuchen und das lange vorher planen. Unser Restaurant ,Pauly Saal' bleibt zwar erst einmal offen, aber ein Sternerestaurant machst du nicht so einfach kurzfristig voll. Notfalls müssen wir auch mal einen Abend schließen."
"Miese Situation"
Björn Swanson, Chef des Sternerestaurants "Golvet": "Unsere Situation ist mies, das muss man so sagen. Wir leben auch von den Gästen, die nach Berlin kommen, da haben wir 70 Prozent Stornos. Wir werden jetzt erst einmal nur noch von Donnerstag bis Samstag öffnen und unsere Mitarbeiter in Teilzeit schicken. Deswegen bieten wir aktuell auch kein à la carte, sondern nur ein Menü an, das ist sonst nicht zu schaffen.
Ivo Ebert, Gastgeber im besternten "Einsunternull" in Mitte: "Bei uns ist richtig Absturz, ich hatte allein durch den Ausfall der ITB fünf Absagen für große Veranstaltungen. Auch größere Gruppen sagen besonders häufig ab. Bei Zweiertischen sieht es besser aus, vor allem unser Berliner Publikum versucht uns zu helfen, es gibt viele, die auch kurzfristig einspringen, das ist ein großes Glück für uns. Wir arbeiten extrem an der Hygiene und bieten verschiedene Desinfektionsmöglichkeiten für die Gäste.
"Gäste haben auch Vorteile"
Billy Wagner vom szenigen Sternerestaurant "Nobelhart & Schmutzig" erzählt, es kämen derzeit viele Stornos. "Aber wir sind zusammen mit drei, vier anderen Berliner Restaurants so gefragt, dass wir das schnell auffüllen können. Wir haben ja auch eine Whats-App-Gruppe mit anderen Restaurants, mit denen wir im Austausch sind. Und dann kann man das ja auch über unsere Reservierungsplattform gleich sehen, wenn kurzfristig etwas frei wird. Gerade hat zum Beispel ein Gast reserviert, weil sein Konzert an dem Abend abgesagt wurde, jetzt geht er kurzfristig mit seiner Verabredung bei uns essen. Für viele Gäste ist es doch auch wunderbar, wenn sie jetzt, ohne lange auf einen Platz warten zu müssen, eine Reservierung bei uns bekommen. Auch das „Blackout Dinner“ am 25. März werden wir nicht absagen. Wir haben zahlreiche Sicherheitsvorkehrungen getroffen, es ist auch eine relativ kleine Veranstaltung. Man muss auch sehen, dass da immer auch Arbeitsplätze dranhängen, da muss man auch wegen der Menschen, die davon abhängig sind, weitermachen. Ich bin froh, dass wir Reserven haben, um die Durststrecke überleben zu können. Andere haben es deutlich schwerer."
"30 Prozent weniger Umsatz"
Ben Pommer vom "Brlo" zeigt sich besorgt. „Ich bin schon den ganzen Tag am Telefon, habe mit der Dehoga, mit Berlin Partner und Kollegen telefoniert. Die Stimmung ist ziemlich bescheiden. Die Liquiditätsdecke in der Gastronomie ist oft gering, das Geschäft ist immer ein Balanceakt. Januar und Februar sind eh schon schwierige Monate, und viele sagen, wenn das jetzt noch zwei, drei Wochen so weiterläuft, dann gehen wir hops.
Wir selbst sind noch gut aufgestellt. Aber wir haben 30 Prozent weniger Umsatz aktuell. Letzte Woche Donnerstag fing das an, dass weniger Reservierungen reinkamen. Gerade sind wir 45 Prozent unter Normalniveau bei den Reservierungen, und auch die Walk-ins, die bei uns etwa ein Viertel der Gäste ausmachen, wurden weniger. Am Sonntag als sich die Nachrichtenlage zuspitzte, hatten wir auch viel mehr No Shows als üblich. Und davor hat uns die ITB Absage ein paar 10 000 Euro gekostet. Im Augenblick sind wir dabei, uns intern mit Personalgesprächen auf eine längere Krise vorzubereiten. Wir schauen, was wir die nächsten sechs Wochen machen können. Wir versuchen, einen sozialverträglichen Weg finden, damit es nicht den am meisten trifft, der am wenigsten verdient und nach Stundenlohn bezahlt wird. Eine Maßnahme, über die wir nachdenken, ist eine Stundung bei Festangestellten. Wir planen jetzt so, dass wir auch ohne staatliche Hilfe durchkommen könnten.“
"Noch gut gebucht"
Stephan Hentschel, Küchenchef des vegetarischen Szenerestaurants „Cookie’s Cream“ in Mitte hat noch kein größeres Problem mit Stornierungen. "Es ist zwar unter der Woche ruhiger als sonst – gerade während der abgesagten ITB hatte unser Restaurant statt sonst 120 nur 40 Buchungen am Tag. Aber generell sei das Cookie’s für die nächsten vier Wochen gut gebucht." Schließen? Für ihn derzeit keine Option. Dass das im als Risikoland eingestuften Japan ganz anders aussieht, hat er noch am Wochenende während seines Urlaubs erlebt. "In Kyoto waren die Lokale praktisch leer. In Restaurants, in denen man bisher nur auf Wochen hinaus ein Tisch reservieren konnte, hab' ich innerhalb eines Tages einen Platz bekommen. Auf meinem Rückflug über Paris bin ich übrigens an keiner Stelle kontrolliert worden."
"Kaum noch Geschäftsessen"
Matthias Gleiß, Inhaber und Küchenchef des Kreuzberger Restaurants „Volt“ am Paul-Lincke-Ufer sieht zumindest schwarz für sein nächstes großes Event mit Winzern, das für den 4. Mai vorgesehen war. "Die organisatorischen Vorbereitungen haben wir erstmal gestoppt. Im Restaurant machen sich vor allem die Stornierungen von Geschäftsessen und Firmenevents bemerkbar. Tische mit 10 bis 20 Personen werden storniert. Spätestens seit Absage der ITB bricht das alles ein.“ Den Rückgang könne das „Volt“ aber bisher auch mit Buchungen von Privatkunden weitgehend auffangen. "Durchschnittlich 50 bis 60 Gäste kommen immer noch an Wochenenden, mit 80 wäre das Restaurant voll." Personell werde – je nach Auslastung – disponiert. "Mein Team nutzt die Situation, um freie Tage und Urlaub abzubauen."
"Desinfizieren ist wichtig"
Auch die Burger-Kette "Peter Pane" bleibt von der aktuellen Situation nicht unberührt. Pressesprecherin Frederike Schmidt: „In allen Filialen von Peter Pane nimmt man das Thema sehr ernst: Wir achten verstärkt auf Hygiene, informieren Mitarbeiter und bieten an den Eingängen der Restaurants Desinfektionsspender für alle Gäste. Die Restaurants bleiben - bis auf weiteres - nach wie vor geöffnet, man muss sich die Lebensfreude doch ein bisschen erhalten“.
"Auf das Gute besinnen"
Jonathan Kartenberg, Betreiber der Restaurants "Irma la douce" in Tiergarten und "eins44" in Neukölln hat vorerst nicht vor, zu schließen. „Natürlich spüren wir einen Rückgang an Reservierungen", sagt er. "Jedoch möchte ich eher für ein positives Szenario plädieren. Denn wenn die Kultureinrichtungen der Stadt geschlossen sind, an denen zahlreiche Menschen zusammenkommen, die einander nicht kennen, sind schöne Restaurants und ein hochwertiges Essen unter Freunden eine wunderbare Alternative, um eine gute Zeit miteinander zu verbringen. Unsere bürgerliche Verantwortung ist es, zusammenzustehen. Dabei müssen wir uns nicht gleich in den Armen liegen, aber wir können uns mit Freunden beim Dinner und einem Glas Champagner auf das Gute besinnen und unsere Freundschaft genießen. Und das bei ohnehin höchsten hygienischen Standards.“
Ähnlich argumentieren auch Zweisternekoch Sebastian Frank und seine Partnerin Jeannine Kessler vom Restaurant "Horváth". Sie fordern ihre Gäste auf: „Geht in euer Lieblingsrestaurant!“
Markthallen bleiben offen
Markthallen wie die Kreuzberger Markthalle IX oder die Moabiter Arminiushalle, die für regelmäßige Foodie-Treffs bekannt sind und eine Vielzahl von Restaurantständen bieten, halten sich mit Absagen von Events bisher zurück. Die Arminiushalle erwägt aktuell lediglich, ihre für den 19. März geplante „Lange Nacht der Weine“ zu verschieben. Eine vorübergehende Schließung ihrer Standorte planen die Betreiber – auch etwa die Marheineke-Markthalle – nicht. „Wir sind ein Versorgungsort und haben einen Versorgungsauftrag“, sagt Markthalle IX-Geschäftsführer Nikolaus Driessen. „Wir sind vergleichbar mit jedem Einkaufszentrum, so etwas wie ein überdachter Supermarkt.“ Gerade in Zeiten wie diesen müsse den Berlinern die Möglichkeit gegeben werden, frische Lebensmittel einzukaufen. Man stehe aber in ständigem Kontakt mit seinen Einzelhändlern.
In eigener Sache: Ein Appell
Unsere Redaktion wird – Stand heute – weiter in der Berliner Gastronomie unterwegs sein, Restaurants testen und Sie über die genüsslichen Seiten Berlins auf dem Laufenden halten. Wir sehen aktuell keine unmittelbare höhere Gefährdung, die sich aus einem Restaurantbesuch ergibt. Dies ist aber eine persönliche Entscheidung, die jeder tagesaktuell für sich aufs Neue treffen muss. Für die Berliner Gastronomie im Besonderen sind dies extrem schwere Zeiten. Jeder Storno trifft die Gastronomen hart, aber jeder wird dafür Verständnis haben, wenn Sie eine Reservierung aus begründetem Anlass nicht wahrnehmen wollen. Bitte denken Sie daran, rechtzeitig das Restaurant zu informieren. No-Shows sind nicht akzeptabel, das gilt eigentlich immer. Aber gerade jetzt, in einer Situation, in der jeder Wirt von Tag zu Tag überlegen muss, ob er sein Restaurant öffnet, sollten Gastronomen mit Besonnenheit und verlässlichen Buchungen unterstützt werden.