zum Hauptinhalt
Passt? Passt nicht? In Sachen Kita-Plätze versus Bedarf ist klar: Passt nicht. Und zwar vorne und hinten.
© J. Stratenschulte/dpa

Kinderbetreuung in Berlin: So könnte der Kitaplatzmangel bewältigt werden

Wie kann der Mangel an Kindergartenplätzen in Berlin behoben werden? Eine bestechend logische Idee kommt aus Köpenick.

Es war mehr ein lautes Nachdenken, ein Logikschluss, als Sozialstadtrat Gernot Klemm (Linke) aus Treptow-Köpenick das Missverhältnis von Kitakapazitäten und Kitaerziehern aufzulösen versuchte. Wenn 1000 Kitaplätze in Treptow-Köpenick nicht besetzt werden können, weil Erzieher fehlen, bleibe eigentlich als Notmaßnahme nur die Möglichkeit, dass eine Überbelegung vom Jugendamt akzeptiert werde, sagte Klemm auf einer Pressekonferenz am Montag.

Am Mittwoch folgte schließlich das überraschende Urteil des Verwaltungsgerichts, das einen Notstand bei den Kitaplätzen quasi anerkannte. Die Richter erklärten, der gesetzlich verbriefte Anspruch auf einen Kitaplatz laufe derzeit „ins Leere“. Der Fachkräftemangel sei kurzfristig nicht zu beseitigen. Die Klägerin könne sich aber eine private Betreuung suchen und die Kosten dann einklagen. Nur hilft das nichts: Auch private Betreuungen wie Tagesmütter sind derzeit ausgebucht.

Hebt man den Betreuungsschlüssel vorübergehend auf, könnte man den eklatanten Kitaplatzmangel – bis Ende des ersten Halbjahres sollen berlinweit 3000 Plätze fehlen – mit einem Federstrich beheben. Wenn dann genügend Quereinsteiger gefunden sind und mehr Fachkräfte die Ausbildung zum Erzieher durchlaufen haben, würde die Notmaßnahme wieder aufgehoben. Doch den Betreuungsschlüssel, für dessen Absenkung zugunsten von Erziehern und Kindern Bildungspolitiker und Gewerkschaften jahrelang gekämpft haben, einfach mal auszusetzen, rührt an ein Tabu, daher reagieren viele Akteure skeptisch.

„Wenn das eingeführt wird, ist der Weg zur dauerhaften Umsetzung nicht weit"

„Das können wir nur ablehnen“, sagt Doreen Siebernik von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Berlin liege im Vergleich zu anderen Bundesländern immer noch im unteren Drittel, was die Erzieher-Kinder-Relation anbelangt. Bei den Über-Dreijährigen kommt ein Erzieher auf acht Kinder, bei den Unter-Dreijährigen liegt die Relation bei 1:5.

Zu einer Lösung komme man nur, wenn die Erzieher deutlich besser bezahlt werden, erklärt Siebernik, da habe sich der Senat bislang nicht bewegt. Viele angehende Erzieher würden wegen der geringen öffentlichen Wertschätzung die Ausbildung abbrechen oder später den Beruf wechseln. „In der Praxis ist der Erzieherberuf unendlich anstrengend und hochanspruchsvoll. Wenn ich gut bezahlt werde, beiß ich mich da durch.“

Torsten Wischnewski-Ruschin, Kitaexperte beim Paritätischen Wohlfahrtsverband, sieht die Gefahr, dass die Politik aus der Betreuungsnot eine Tugend machen könnte. „Wenn das eingeführt wird, ist der Weg zur dauerhaften Umsetzung nicht weit.“ Nur in Einzelfällen könne mal ein Kind zusätzlich betreut werden, „das wäre für vier Monate machbar“, allerdings nur, wenn Kita-Aufsicht, Kita-Leitung und die Eltern zustimmen.

30 Prozent des Kitapersonals darf aus anderen Berufen kommen

Solche Einzelfälle gebe es bereits, sagt die Sprecherin der Senatsjugendverwaltung, Iris Brennberger. So könne ein Kind zusätzlich in eine Gruppe aufgenommen werden, wenn absehbar ist, dass ein anderes Kind in Kürze die Gruppe verlässt. Eine generelle Überbelegung sei für die Senatsverwaltung aber kein Thema. Dort setzt man eher auf Quereinsteiger. 30 Prozent des Kitapersonals darf inzwischen aus anderen Berufen kommen, diese Quote ist längst nicht erreicht. Insgesamt arbeiten in den Berliner Kitas derzeit rund 28.800 pädagogische Fachkräfte, 2017 wurden nach Angaben der Jugendverwaltung 2197 Quereinsteiger neu registriert, 2018 waren es bislang 489 – die meisten machen eine berufsbegleitende Ausbildung.

Auch das sehen Verbände und Gewerkschaften kritisch. Torsten Wischnewski-Ruschin könnte sich vorstellen, dass Eltern die Betreuung ihrer Kinder gemeinschaftlich organisieren und dabei von den Jugendämtern unterstützt werden, ebenfalls als Notlösung, bis die Lage sich bessert.

Thomas Loy

Zur Startseite