Keine Masken, kein Abstand: So chaotisch verlief die Demo gegen Corona-Maßnahmen in Berlin
Am Sonntag haben 2000 Menschen gegen die Pandemie-Maßnahmen demonstriert, unter ihnen Corona-Leugner und Verschwörungsideologen. Die Polizei setzte Vorschriften kaum durch.
Am Sonntagmittag und -nachmittag zogen nach Polizeiangaben rund 2000 Menschen durch Berlin-Mitte, um gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Dabei kam es zu teils chaotischen Szenen zwischen den Demonstranten und der Polizei.
Die wenigsten Teilnehmer hielten die Maskenpflicht und das Abstandsgebot ein. Die Berliner Polizei war mit 600 Beamten im Einsatz, ließ den Protest aber trotz der Verstöße gegen die Corona-Auflagen vorerst laufen.
Um 12 Uhr hatten sich die Demonstranten am Alexanderplatz versammelt. Von dort aus wollten sie über das Rote Rathaus und die Karl-Marx-Alle zum Bersarinplatz in Friedrichshain ziehen.
Bereits kurz nach Beginn der Demonstration eskalierte die Lage. Als der Zug zuerst nicht starten durfte, weil die Teilnehmer keine Masken trugen, brach ein Teil der Demonstranten aus der Menge aus und zog ohne polizeiliche Begleitung in Richtung Karl-Marx-Allee.
Dort versammelten sie sich vor dem "Kosmos", einem ehemaligen Kino, in dem ursprünglich der Weltgesundheitsgipfel stattfinden sollte. Anhänger von Verschwörungstheorien hatten zum Protest gegen das Treffen mobilisiert.
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Die Demonstration war mit 2500 Teilnehmern angemeldet. Die Polizei hat die Aktion jedoch unterschätzt und war nach Einschätzung des Tagesspiegels anfangs mit Einsatzkräften im zweistelligen Bereich vor Ort, die Lage war chaotisch.
Am frühen Nachmittag lief der Protest an der Karl-Marx-Allee etwas ruhiger ab, die Polizei hielt sich zurück. Die Einhaltung des Abstandsgebots und der Maskenpflicht wurde nur vereinzelt kontrolliert.
In Beiträgen auf Twitter ist zu sehen, wie Demonstranten einem Krankenwagen und einem Feuerwehrauto den Weg versperren, die Beamten greifen nicht ein.
Auf Anfrage des Tagesspiegels erklärt die Pressestelle der Berliner Polizei, dass sie den Protest als "sehr dynamisch" einschätze, man arbeite aber noch an einer ausführlicheren Stellungnahme.
Gegen 15.30 Uhr kippte die Stimmung: Um eine Auflösung durch die Polizei zu vermeiden, erklärten die Veranstalter die Demo für beendet. Nach Angaben einer Polizeisprecherin haben Polizisten anschließend die Bühne betreten und die Lautsprecher der Veranstalter abgestellt.
Die Demonstranten wehrten sich jedoch gegen die Aufforderung der Polizei, den Versammlungsort zu verlassen. Es kam zu Ausschreitungen, die Stimmung war angespannt. Mehrere Menschen wurden festgesetzt.
Ein größere Gruppe von Demo-Teilnehmern kesselte kurzzeitig einige Polizisten ein. Mehrfach wurde dazu aufgerufen, "die Bullen zu umzingeln". Die Beamten konnten sich schließlich nur mit großer Mühe befreien.
Nach Angaben einer Polizeisprecherin ist eine weitere Demonstration, mit der in Berlin gegen die Corona-Politik protestiert werden sollte, kurzfristig abgesagt worden. Der Veranstalter habe die Demonstration am Großen Stern gegen 17 Uhr telefonisch abgesagt, sagte die Sprecherin am Sonntagabend. Ursprünglich waren zu der Kundgebung rund 10.000 Teilnehmer angemeldet worden. Die Veranstalter waren für eine Stellungnahme zunächst nicht zu erreichen.
Auch die Versammlung in der Karl-Marx-Allee löste sich gegen 18 Uhr auf. In den internen Kanälen der „Querdenker“ wird nach Tagesspiegel-Informationen jedoch dazu aufgerufen, zum Landeskriminalamt am Tempelhofer Damm zu fahren. Hier soll sich der am Mittag festgenommene Markus Haintz, Anwalt der Bewegung, befinden.
Die Pressestelle der Polizei sprach am Abend von Festnahmen, verwies aber auf eine Bilanz zu den Versammlungen am Montag. Auch ob es Verletzte gab, konnte die Polizei nicht sagen.
Zur "Querdenken"-Bewegung, die zu dem Protest aufgerufen hatte, gehören Corona-Skeptiker, Verschwörungsideologen und Leugner der globalen Pandemie. Unter ihren Befürwortern sind auch bekannte Namen wie der Vegan-Koch Attila Hildmann, der antisemitische Verschwörungsideologien verbreitet und "Reichskanzler" werden und Deutschland von der "Merkel-Diktatur" befreien will.
Auch die Presse wird von den "Querdenkern" immer wieder angegriffen, insbesondere die "Mainstream-Medien" sind ihnen verhasst. So berichtet auch der Tagesspiegel-Reporter vor Ort, dass ihn ein Demo-Teilnehmer verbal bedroht habe: Nach dem "Umsturz" werde er "wie alle anderen Systemjournalisten an einem Baum hängen".
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An einer Gegendemonstration an der U-Bahnstation Weberwiese in der Nähe des "Kosmos" beteiligten sich am Sonntag etwa 150 Menschen, darunter auch Familien mit Kindern. Zwischendrin kam es zu Wortgefechten mit den "Querdenken"-Demonstranten.
Eine Szene, die unser Reporter beobachtete, zeigt, wie ein Gegendemonstrant den "Querdenkern" den Mittelfinger zeigt und anschließend von der Polizei kontrolliert wird. Er trägt eine Maske. Die drei Demonstranten ohne Maske wurden von der Polizei nicht angesprochen.
Unbekannte warfen Brandsätze auf Robert-Koch-Institut
Im "Kosmos" sollte ursprünglich der Weltgesundheitsgipfel stattfinden, an dem unter anderem der Virologe Christian Drosten und Mitglieder des Robert-Koch-Instituts teilnehmen. Auf letzteres wurde in der Nacht zu Sonntag ein Brandanschlag verübt.
Mehrere Unbekannte warfen nach Polizeiangaben Brandsätze auf ein Gebäude des Robert-Koch-Instituts in Berlin-Schöneberg. Ein Sicherheitsmitarbeiter bemerkte den Angriff gegen 2.40 Uhr.
Demnach sollen die Angreifer Flaschen mit brennbarer Flüssigkeit angezündet und auf die Fassade geworfen haben. Eine Fensterscheibe sei zu Bruch gegangen, in einem Raum habe es gebrannt. Der Sicherheitsmitarbeiter habe das Feuer löschen können und die Polizei alarmiert. Verletzt wurde niemand.
Aufruf über Messengerdienst Telegram
Gegen den Weltgesundheitsgipfel hatten auch bekannte Wortführer der "Querdenker", wie der HNO-Arzt Bodo Schiffmann und Rechtsanwalt Markus Haintz, mobilisiert. Auch Attila Hildmann aktivierte seine Anhänger über den Messengerdienst Telegram.
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Im "Kosmos" in der Karl-Marx-Alle sollten ursprünglich Vorträge und Debatten des "World Health Summit" durchgeführt werden. Auf Anfrage des Tagesspiegels teilten die Betreiber des ehemaligen Kinos mit, es werden keinerlei Programmpunkte der Konferenz in Präsenz stattfinden. Wegen der hohen Infektionszahlen wird das Treffen online abgehalten.
Unklar ist, wieso die "Querdenker" dennoch vor allem zum Kosmos mobilisierten. Um 13 Uhr sollte parallel eine Gegenkundgebung der Bergpartei unter dem Motto "Das Impferium schlägt zurück" am U-Bahnhof Weberwiese stattfinden, auch andere linke Gruppen wollten gegen die Skeptiker der Pandemie-Maßnahmen auf die Straße gehen.
Hotel Park Inn dementiert Gerüchte über Kooperation mit "Querdenkern"
Unterdessen weist das am Alexanderplatz gelegene Hotel Park Inn der Radisson-Group Vorwürfe von sich, wonach es eine Kooperation zwischen dem Hotel und der Bewegung "Querdenken" gäbe.
Die in den internen Chat-Kanälen der Organisation verbreitete Information, dass von außerhalb anreisende Demonstranten durch einen speziellen Code Rabatt auf Zimmerkontingente des Hotels bekommen würden, wurde dem Tagesspiegel gegenüber dementiert.
Man distanziere sich ausdrücklich von den Zielen der Demonstration und würde bei entsprechenden Verstößen von Gästen gegen die Corona-Maßnahmen "hart durchgreifen" und Hausverbote aussprechen, sagte der Manager des Park Inn Jürgen Gangl.