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Protest gegen die Corona-Schutzmaßnahmen an der Siegessäule in Berlin.
© Adam Berry / AFP

Demo-Veranstalter distanzieren sich im Nachhinein: Haben die „Querdenker“ mit den Rechtsextremisten paktiert?

Die Corona-Gegner hätten mit den Rechtsextremen gemeinsame Sache gemacht, heißt es. Das ist die Logik derer, die Dissens als Rebellion werten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Also sprach der Bundespräsident. Die Gegner der Corona-Schutzmaßnahmen, warnte Frank-Walter Steinmeier, sollten sich nicht „vor den Karren von Demokratiefeinden und politischen Hetzern“ spannen lassen. Desgleichen war oft zu hören nach der Demonstration in Berlin am vergangenen Samstag. Angemeldet worden war sie von der Gruppe „Querdenken“ aus Stuttgart.

Es kamen auch mehrere tausend Rechtsextremisten. Von denen distanzierten sich die Veranstalter im Nachhinein, den Versuch, den Reichstag zu stürmen, verurteilten sie. Doch der Vorwurf der Kumpanei hält sich hartnäckig. Die „Querdenker“ hätten mit den Rechtsextremisten gemeinsame Sache gemacht, heißt es.

Was folgt daraus? Muss jemand auf sein Versammlungs- und Demonstrationsrecht verzichten, um nur ja nicht Beifall von der falschen Seite zu bekommen? Das ist die Logik derer, die sich in einem Kampf wähnen. Alles, was den Gegnern nützen könnte, muss unterbleiben. Von den Freunden dagegen wird kritikloses Einverständnis erwartet, Dissens gilt als Rebellion.

Das Argument, jemand provoziere mit seiner Ansicht den Beifall von der falschen Seite, tendiert ins Totalitäre. Es dient der Disziplinierung und verhindert die sachliche Auseinandersetzung.

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Wer in der Bundesrepublik zur Zeit des Kalten Krieges die freie Marktwirtschaft kritisierte, dem wurde empfohlen: Geh doch rüber, wenn’s dir hier nicht passt! Mit „rüber“ war die DDR gemeint. Franz Josef Strauß verspottete die Gegner der Nato-Nachrüstung innerhalb der SPD als „fünfte Kolonne Moskaus“. Kriegsdienstverweigerer galten damals als „Vaterlandsverräter“.

Hinter solchen Diffamierungen stand stets die Strategie, das, was einer zu sagen hat, durch den Fokus darauf zu entkräften, wes Geistes Kind er sei. Nicht die Frage nach wahr oder falsch soll beantwortet werden, sondern die nach nützlich oder gefährlich.

Übertrieben, grundlos, gemein?

Sind die Corona-Schutzmaßnahmen übertrieben, grundlos, gemein? Sind sie ein Werkzeug in der Hand der herrschenden Klasse, um eine Diktatur zu errichten? Alle, die sich den „common sense“ bewahrt haben, rufen an dieser Stelle laut Nein. Das heißt aber nicht, dass jeder Widerspruch erstickt werden muss.

Vor fünf Jahren, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, sprach Angela Merkel ihre berühmten drei Worte „Wir schaffen das“. Und ja, wir schafften das. Unrühmlich allerdings sind jene Phasen, in denen Kritiker der Willkommenspolitik rasch verdächtigt wurden, Sympathisanten der AfD zu sein. Der „besorgte Bürger“ wurde zum Schimpfwort, dessen Unbehagen verlacht.

Die Bundesregierung muss aufpassen, dass sich ein ähnlicher Mechanismus jetzt, in der Coronakrise, nicht wiederholt. Wer sich an die AHA-Regel hält (Abstand, Hygiene, Alltagsmasken), gehört nicht automatisch zu einer Gemeinschaft von Bekehrten, die glauben, eine Gemeinschaft von Verstockten verspotten zu dürfen. Auf Ressentiments mit Ressentiments zu reagieren, vertieft die Spaltung.

Der Nimbus „der Straße“ ist angekratzt

Der progressive Teil der Zivilgesellschaft wiederum – tolerant, klimapolitisch, antifaschistisch – muss hinnehmen, dass ihm „die Straße“ nicht mehr allein gehört. Das kränkt. Die lange emanzipatorische Demonstrationsgeschichte reicht von den Ostermärschen bis zu den Anti-Vietnamkriegs-, Anti-Volkszählungs-, Anti-AkW-, Anti-Asylrechtsreform-, Anti-Irakkriegsprotesten.

Hinzu kamen die Montagsdemonstrationen in der DDR und außerhalb Deutschlands Solidarnosc in Polen, der Arabische Frühling in Tunesien und Ägypten, die Freiheitskämpfer in Hongkong und Belarus.

Seit Pegida und den Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen ist der Nimbus „der Straße“ als Versammlungsort eines authentischen Volkswillens angekratzt. Auch das erklärt die Vehemenz, mit der die Demonstration am vergangenen Samstag diskreditiert werden soll. Es gibt gute Gründe, den falschen Kräften nicht zu applaudieren und sie politisch hart anzugehen. Vor ihrem Beifall indes kann sich keiner sicher sein.

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