Verliebt, verlobt, geschieden: Single-Stadt Berlin: Trennung macht arm
Die Eltern sind unglücklich, die Kinder leiden. Viele Berliner geraten in Armut, wenn die Ehe scheitert. Der Familienbeirat richtet daher Empfehlungen an den Senat. Denn jeder Fünfte ist armutsgefährdet.
„Ich bin ja auch ein Mensch, ich probiere vieles aus. Ich bin immer dabei, und ich sage, ich habe keine Angst vorm Untergehen. Wenn ich untergehe, komme ich immer wieder hoch.“ (Eine Mutter, alleinerziehend, drei Kinder)
Berliner lassen sich trotz Trennungsschmerz und Geldsorgen nicht unterkriegen. In der Not begeben sie sich beherzt in den Dschungel der oft bürokratischen Hilfeangebote. Die aber könnten wesentlich effektiver sein. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Befragung von Berlinern, die als arm gelten. Claudia Laubstein vom Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik hat die Expertise im Auftrag des Berliner Beirates für Familienfragen erarbeitet. Sie wurden kürzlich auf einer Veranstaltung im Verlagshaus des Tagesspiegels diskutiert.
Wie wird Armut in einem der reichsten Länder der Welt definiert? Laut Statistischem Landesamt sind Berliner armutsgefährdet, die weniger als 798 Euro im Monat haben. Ein Haushalt mit zwei Erwachsenen sei armutsgefährdet, wenn das monatliche Haushaltnettoeinkommen unter 1197 Euro liege. Lebt ein Kind unter 14 Jahren im Haushalt, betrage die Schwelle 1436 Euro, bei zwei Kindern unter 14 Jahren liege sie bei 1676 Euro, weiß Alexander Nöhring vom Familienbeirat.
Frauen bürgen für den Partner
Geringes Einkommen führe auch zu Einschränkungen im sozialen, emotionalen, gesundheitlichen und kulturellen Bereich: Etwa ein Fünftel der Berliner lebt laut Familienbeirat armutsgefährdet. Mehr als ein Drittel der Schülerinnen und Schüler sind lernmittelbefreit, ihre Eltern müssen also für Schulbücher nichts dazuzahlen. Wie sie in diese Lage geraten, dazu brachte die Befragung durchs Sozialinstitut Erstaunliches zutage. So haben sich laut Expertin Claudia Laubstein viele Menschen nicht etwa verschuldet, weil sie sich so viel Unterhaltungselektronik kaufen. Vielmehr seien es vor allem Schulden infolge von steigenden Mieten. Deswegen müssten Kredite aufgenommen werden. Zudem geraten vor allem Frauen in Not, weil sie großherzig Schulden des Partners übernehmen oder für ihn bei der Bank bürgen.
Wichtig sei daher auch, dass das Land Alleinerziehenden ermögliche, nach einer Trennung weiter günstig wohnen zu können, damit sie nicht infolge von Gentrifizierung weit weg ziehen müssen. Dann könnten Netzwerke in der Nachbarschaft der Single-Stadt Berlin sie weiter auffangen. Dafür plädieren etwa die Sprecherin der Landesarmutskonferenz, Ingrid Stahmer, und Thomas Härtel, der Vorsitzende des Familienbeirats. Laut Claudia Laubstein besuchten mehr als die Hälfte der 32 befragten Eltern regelmäßig ihr Familienzentrum in der Nähe. Diese Hilfeeinrichtungen müssten gestärkt werden, lautet eine Empfehlung des Familienbeirates an den Senat. Wichtig sei auch, dass die Senatsverwaltungen und die in den Bezirken zuständigen Stellen fachübergreifend kooperieren. Derweil erarbeitet Familienstaatssekretärin Sigrid Klebba mit dem Sozialstaatssekretär eine ressortübergreifende Armutsstrategie fürs Land.
Depressionen rechtzeitig vermeiden
Schwierig ist es für viele arme Väter und Mütter, angesichts des Hilfe-Dickichts zu durchschauen, welcher freie Träger für was genau zuständig ist. Hier könnten doch Updates oder Infoangebote über die ohnehin viel genutzten sozialen Medien wie Facebook weiterhelfen, lautete eine Anregung aus der Runde. Da viele Familien oder Alleinerziehende mit psychischen Problemen oder erkrankten Kindern zeitlich, finanziell und seelisch zusätzlich belastet sind, sollte Berlin sogenannte Präventionsketten nach dem Vorbild Nordrhein-Westfalens aufbauen. In Berlin ermöglichten bereits Marzahn-Hellersdorf und Neukölln auf diese Weise ein gesünderes Aufwachsen, indem etwa Gynäkologen, Kinderärzte, Therapeuten, Leiter von Selbsthilfegruppen oder Mitarbeiter des Jugendgesundheitsdienstes ein Kind bis ins Erwachsenenalter ratgebend begleiten und die Erkenntnisse untereinander weitergeben. Krankenkassen und Sponsoren könnten gewonnen werden zur Unterstützung von Fachstellen für Präventions- und Gesundheitsförderung. Schließlich würden Kosten wegen Folgeproblemen wie Drogenkonsum oder Depressionen sinken.
Ein Knackpunkt in der effektiven Hilfe für arme Berliner sei zudem die Beratung und Betreuung während der Trennungsphase, so ein weiteres Ergebnis der Diskussion zu Strategien im Umgang mit Familienarmut in Berlin. Da besitzen die Menschen wenig Kraft, viele rutschen mit dem Ende der Ehe in die Armut ab. Auch Familiengerichte sollten etwa auf Beratungsangebote hinweisen, dies geschehe laut Familienbeirats-Geschäftsstellenleiter Nöhring zu wenig. In dieser Phase könnte es auch wichtig sein, dass flexible Kinderbetreuerinnen in die Familien gehen, lautet ein Ergebnis einer Umfrage des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter Berlin.
Neu: Ausbildung in Teilzeit
Auf dem Podium im Tagesspiegel-Verlagshaus wurde gefordert, dass der Unterhaltsvorschuss, den der Staat übernimmt, wenn der Vater kein Geld zahlt, dringend auch für Kinder ab 12 Jahren übernommen werden muss. Viele Alleinerziehende geraten in Not, weil gerade in der Pubertät höhere Kosten auf den Erziehungsberechtigten zukommen. Oft schaffen es Mütter nicht, diese aus eigener Erwerbstätigkeit zu bestreiten. Abhilfe ist freilich in Sicht. Constantin Terton von der Industrie- und Handelskammer freut sich über erste gute Erfahrungen mit Teilzeit-Ausbildungsstellen für junge Mütter, die den Einstieg in den Beruf wagen.