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Die BVG-Chefin Sigrid Nikutta (Mitte) hier mit Aufsichtsratschefin Ramona Pop (rechts) und einem Mitarbeiter in der Werkstatt.
© Jörn Hasselmann

Die scheidende BVG-Chefin Nikutta im Interview: „Der Imagewandel hat ja ganz gut funktioniert“

Sigrid Nikutta über Erfolge und Misserfolge in neun Jahren an der BVG-Spitze, über die Zukunft der BVG und ihren neuen Job bei der Bahn.

Sigrid Evelyn Nikutta (50) ist im Oktober 2010 als erste Frau an die Spitze der BVG gerückt. Die promovierte Psychologin übernimmt ab Januar die defizitäre Güterverkehrssparte der DB. Nikutta ist verheiratet und hat fünf Kinder.

Die landeseigenen Berliner Verkehrsbetriebe, gegründet 1928, sind Deutschlands größtes kommunales Verkehrsunternehmen. Die BVG befördert mit Bussen, U- und Straßenbahnen sowie Fährschiffen rund drei Millionen Fahrgäste am Tag.

Frau Nikutta, was wird von Ihnen hängen bleiben in der Geschichte der BVG?
Ich glaube, es wird einmal in der Chronik stehen, es waren zehn gute Jahre für die BVG. Und ich wünsche mir, dass dann noch drin steht, dass die Jahre danach noch besser wurden. Das wünsche ich meiner Nachfolgerin oder meinem Nachfolger.

Wollen Sie uns zuerst Ihren größten Erfolg oder Ihre größte Pleite erzählen?
Ich denke, es ist am schönsten, mit den Erfolgen anzufangen – und dann auf die bestehenden Herausforderungen zu kommen. Wir haben in dieser Zeit zusätzlichen Verkehr auf die Schiene und Straße gebracht, wie es zum Beispiel dem Gesamtverkehr von Braunschweig entspricht.

Das war nicht einfach, weil zuvor die BVG stark geschrumpft war. Als ich kam, gab es 12.000 Mitarbeiter bei der BVG, nun sind es 15.000. Wir haben eine deutlich modernere und umweltfreundlichere Busflotte und die Weichen Richtung Elektromobilität gestellt.

Wie konnten Sie die BVG auf Wachstumskurs bringen?
Wir haben aus den Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte gelernt und kaufen Fahrzeuge nicht mehr nach Kassenlage des Landes sondern haben eine langfristige Strategie. Neue U-Bahnen und Straßenbahnen beschaffen wir jetzt mit Rahmenverträgen, die uns Spielraum geben.

Und wir haben den Stolz auf die BVG wieder belebt im Unternehmen und auch in der Stadt. Diesen Imagewandel haben wir mustergültig hinbekommen. Als ich 2010 anfing, habe ich gesagt, ich gedenke nicht dauerhaft ein defizitäres Unternehmen zu führen und ich möchte ein hippes und cooles Unternehmen haben. 2014 hatten wir erstmals schwarze Zahlen und das mit dem Imagewandel hat ja auch ganz gut funktioniert.

So, das waren jetzt sehr viele Erfolge, nun bitte mal eine Pleite!
Als ich anfing, haben alle gesagt, die Busse müssen beschleunigt werden. An dem Thema habe ich wirklich die ganze Zeit mit Nachdruck gearbeitet habe, aber mit wenig Erfolg.

Verkehrssenatorin Günther hat in den drei Jahren ihrer Amtszeit nicht einen kompletten Kilometer Busspur hinbekommen. Hätten Sie ihr mehr Druck machen müssen?
Das liegt nicht an der Senatorin. Das Thema ist sehr komplex. Es ist ein unglaublich kleinteiliger und kräftezehrender Prozess. Das Thema lässt immer noch zu wünschen übrig. Bevorrechtigung von Bussen ist konfliktträchtig, aber wir sind jetzt auf einem guten Weg. Es ist doch sozial zutiefst gerecht: In einem Bus sitzen 100 Leute, die haben ein Anrecht darauf, schneller durch die Stadt zu kommen als ein einzelnes Auto oder ein einzelnes Fahrrad.

Zeitsprung. Sigrid Nikutta bei ihrer Vorstellung als BVG-Chefin 2010.
Zeitsprung. Sigrid Nikutta bei ihrer Vorstellung als BVG-Chefin 2010.
© Thilo Rückeis

Kürzlich haben Sie den Schnellbus TXL nach Tegel gekürzt mit der Begründung, in der Innenstadt sei zu viel Stau. Wieso stellen Sie nicht in der ganzen Innenstadt den Busverkehr ein und sagen, wir fahren erst wieder, wenn wir überall Busspuren haben?
Das wäre eine Drohkulisse, aber die wäre nicht sachgerecht. Wir haben 1,5 Millionen Fahrgäste am Tag in unseren Bussen, größtenteils in der Innenstadt. Da können wir nicht sagen, wir fahren nicht mehr.

Brauchen wir wirklichen zum Beispiel einen M29, der nur im Stau steht und es dort überall U-Bahnen gibt?
Es muss mehrere Möglichkeiten geben, eine Strecke zurückzulegen. Wenn wir wollen, dass die Leute vom Auto umsteigen, muss der Nahverkehr eng getaktet und angenehm sein.

Eine andere Berliner Zeitung titelte kürzlich: „Nikutta will alle 90 Sekunden eine U-Bahn“. Tatsächlich hat die BVG doch nicht mal genug Fahrzeuge für einen stabilen Fünf-Minuten-Takt!
Wir werden dazu kommen. Wir investieren jetzt in neue Zugsicherungstechnik, die dann ganz andere Zugfolgen erlaubt als heute. Wir müssen heute daran denken, was wir in zehn Jahren brauchen. Wir leiden jetzt darunter, dass vor 15 Jahren entschieden worden ist, nicht in neue Schienenfahrzeuge zu investieren.

Berlin wartet immer noch auf die Entscheidung des Kammergerichts, ob die BVG bis zu 1.500 neue U-Bahnen bestellen darf. Was sagt denn der Flurfunk?
Nichts, da – wie Sie ganz richtig feststellten – das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist. Aber unsere Strategie ist richtig, einen großen Rahmenvertrag auszuschreiben. Natürlich will jeder Hersteller bei so einer Riesenausschreibung den Zuschlag haben. Da war uns schon bewusst, dass es zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führen kann.

Die Wahrscheinlichkeit dafür war sogar ziemlich hoch. Es wäre falsch gewesen, nur um das zu vermeiden, irgendwelche kleinen Portionen auszuschreiben. Dann hätten wir auch in Zukunft das, was wir heute haben, nämlich eine Vielzahl unterschiedliche Baureihen bei der U-Bahn, die nicht miteinander kuppelbar sind.

Wird die Berliner U-Bahn irgendwann ohne Fahrer fahren?
Nein, das bringt keinen Vorteil...

... Sie würden Personal sparen!
Wir haben ausreichend Bewerbungen. Und es ist sinnvoll, wenn in jedem Zug ein Mitarbeiter der BVG sitzt.

In Nürnberg fährt die U-Bahn seit vielen Jahren sicher ohne Fahrer!
Technisch ist das kein Problem, aber Personal hat Nürnberg nicht eingespart. Die haben jetzt mehr Mitarbeiter auf den Bahnhöfen und in den Leitstellen. Personalmäßig ist das dort eher mehr geworden. Wenn wir eine ganz neue U-Bahn bauen würden, dann würde man heute auf autonom fahrende Fahrzeuge setzen. Aber wir planen in Berlin keine ganz neue Linie, sondern diskutieren allenfalls Lückenschlüsse oder Verlängerungen einzelner Linien.

Lohnt sich denn eine Verlängerung der U8?
Ins Märkische Viertel fahren Busse derzeit im 2-Minuten-Takt. Das ist mit Sicherheit nicht ideal. Da macht es schon Sinn , über eine U-Bahn konkreter nachzudenken.

Bei dem Berliner Tempo werden wir das nicht mehr erleben, sondern nur unsere Kinder.
Tempo hin oder her. Infrastrukturmaßnahmen sind immer langfristig. Aber wir müssen die Dinge angehen.

Wenn eine U-Bahn kommt, ist sie beschmiert. Wieso gelingt es nicht, die Abstellanlagen zu sichern?
Weil wir so viele haben. Das Netz ist riesig und verzweigt. Es gibt eine aktive Szene mit hoher krimineller Energie. Ich würde mir eine größere Ächtung und härtere Strafen wünschen. Das ist reine Sachbeschädigung.

Sigrid Nikutta verteilte beim Weihnachtsfest für Obdachlose und Bedürftige Weihnachtsgans an die Gäste.
Sigrid Nikutta verteilte beim Weihnachtsfest für Obdachlose und Bedürftige Weihnachtsgans an die Gäste.
© Foto: Gerald Matzka/dpa

Was muss ihre Nachfolgerin als erstes anpacken? Oder wird es ein Nachfolger?
Die Suche hat begonnen, ich wünsche mir natürlich dass es eine Frau wird. Bevor Sie nachfragen: Es gibt ausreichend gute Frauen. Wenn ich weitergemacht hätte, wäre es das Thema, welche Visionen haben wir für die neue Stadt? Welche Mobilitätsformen gibt es? Wie entwickelt sich die Stadt, was heißt das für den Verkehr? Als ich ankam, hieß es, wir schrumpfen. Dann wendete sich das Blatt sehr schnell.

Brauchen wir denn neue Verkehrsmittel wie den Berlkönig? Der nimmt doch nur normalen Bussen die Fahrgäste weg und steht ansonsten auf dem Radweg rum.
Unsere Erfahrung ist, dass er den Busverkehr nicht kannibalisiert. Wir wollen den Berlinern ein so umfangreiches Angebot bieten, dass das eigene Auto entbehrlich wird oder er das eigene Auto als lästig empfindet. Dazu gehört ein individualisierter ÖPNV wie der Berlkönig. Es ist sinnvoll, dass die BVG das anbietet überall in der Stadt, bevor die einschlägigen amerikanischen Konzerne das übernehmen. Dann werden wir das Angebot nur in der Innenstadt haben und es wird eine Kannibalisierung geben.

Bislang gibt es den Berlkönig doch auch nur in der östlichen Innenstadt.
Wir wollen das demnächst ausweiten vom Tierpark im Osten bis zur Messe im Westen. Unser Wunsch ist es, den Berlkönig stadtweit anzubieten. Da sind wir noch in der Diskussion mit der Politik.

Wie verbringen Sie die letzten paar Tage auf dem Posten?
Es war ein Endspurt, unter anderem mit einer Aufsichtsratssitzung. Auf der Tagesordnung stand zum Beispiel der Ausbau der Elektrohöfe für die Busse. Und es gab noch Gespräche mit Mitarbeitern, wie es weiter läuft, auch die Übergabe an meinen Nachfolger für den Betrieb.

Am vergangenen Freitag hatte ich den letzte Termin, als ich mit Frank Zander im Hotel Estrel Speisen für die Obdachlosen serviert habe. Diese großartige Aktion unterstützt die BVG schon seit vielen Jahren. Nach Weihnachten wird dann das Büro aufgeräumt. Am 2. Januar kommt der Neustart im Bahntower.

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