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Fahrradfahren in Berlin ist kein Zuckerschlecken. Vor allem der Moritzplatz ist für viele Radfahrer ein Horror.
© picture alliance / Britta Peders

Verkehr in Berlin: Senatskanzlei will Fahrradpolitik verschärfen

Höhere Strafen für Radler, Helmpflicht für Kinder: Die Senatskanzlei hat neue Ideen für mehr Verkehrssicherheit. Die Fahrradlobby ist davon nicht begeistert.

Höhere Bußgelder für Radfahrer und eine Helmpflicht für Kinder – mit diesen Vorschlägen steigt die SPD jetzt in die Fahrradpolitik ein. Björn Böhning, Chef der Berliner Senatskanzlei, forderte die Innen- und Verkehrsverwaltung schriftlich auf, sich bei der geplanten Bundesratsinitiative für mehr Verkehrssicherheit entsprechend einzusetzen.

In dem Brief, der dem Tagesspiegel vorliegt, schreibt SPD-Mann Böhning: „Ich schlage vor, in die Bundesratsinitiative eine Helmpflicht für Kinder aufzunehmen und Verstöße gegen die Radwegbenutzungspflicht stärker zu sanktionieren.“

An anderer Stelle spricht er sich dafür aus, dass die „Bußgelder für schwerwiegende Verstöße, die von Radfahrenden begangen werden, angehoben werden“. Von höheren Bußgeldern für Autofahrer steht in dem an die beiden Staatssekretäre Christian Gaebler und Jens-Holger Kirchner adressierten Schreiben nichts.

"Reaktionäre Verkehrspolitik"

Harsch reagierte Heinrich Strößenreuther, Initiator des Radentscheids: „Das ist reaktionäre Verkehrspolitik. Diese Vorschläge zeigen, wie wenig die SPD-Spitze von Mobilität und den Wünschen der Bevölkerung versteht.“ 

Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) reagierte am Freitag verhalten, nachdem Böhnings Forderungen bekannt wurden:  „Aus den Verwaltungen, den Fraktionen und der Stadtgesellschaft gibt es eine Reihe von Ideen. Diese gilt es zu bewerten, um dann eine Vorlage für die Bundesratsinitiative in den Senat einzubringen.“

Auf Deutsch: Vorschläge kann ja jeder machen. Ein grüner Verkehrsexperte formulierte es schärfer: „Da wird Gift gestreut – um die Autoklientel zu besänftigen.“

Nach Informationen des Tagesspiegels hatte Böhning – unterstützt vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) – zunächst eine Helmpflicht für alle gefordert. Bei der Diskussion um das Mobilitätsgesetz konnten die Beteiligten Böhning davon abbringen, schon durch den Verweis darauf, dass eine Helmpflicht das Ende des vom Senat unterstützten Leihfahrradsystems wäre.

"Radfahrer müssen sich an die Regeln halten"

Eine Helmpflicht ist für Fahrradaktivisten ein rotes Tuch. Diese halte die Menschen nur vom Radfahren ab, durch steigende Autonutzung würden die Gefahren für Radfahrer eher steigen. Zudem schütze ein Helm nicht vor Unfällen.

Der Fahrradclub ADFC ist sich nach eigenen Angaben „mit allen Experten und der Bundesregierung“ darin einig, dass „eine Helmpflicht weder durchzusetzen noch zu kontrollieren sei“. Bei Kindern liege die Helmtragequote auch ohne Pflicht bei 80 Prozent.

Innenstaatssekretär Christian Gaebler sagte dem Tagesspiegel: „Auch Radfahrer müssen sich an die Regeln halten.“ Bei steigendem Anteil des Radverkehrs sei dies schon im Interesse der Fußgänger wichtig.

Heinrich Strößenreuther betonte, dass es sicheren Radverkehr nur durch „den schnellen Ausbau breiter und geschützter Radwege“ gebe, bislang würde der Gehweg vor allem missbraucht, wenn es keinen Radweg gebe und Radfahrer auf der Straße Angst hätten.

Initiatoren drehen am Rad

Sinnvoll sei auch eine Vergrößerung der Fahrradstaffel der Polizei: „Alles Maßnahmen, die versprochen wurden und nicht umgesetzt sind.“ Vor zwei Jahren hatte Strößenreuther den Volksentscheid Fahrrad initiiert. Die Ziele wurden letztlich vom neuen rot-rot-grünen Senat übernommen und Kern des „Mobilitätsgesetzes“.

Die Initiatoren des Volksentscheides drehten am Freitag heftig am Rad. Sie überschrieben ihre senatskritische Pressemitteilung mit der Zeile „Hirn statt Helm! Senatskanzlei fordert radverkehrsschädliche Maßnahmen und beschädigt die Glaubwürdigkeit der Koalition“.

Viel wichtiger als eine Helmpflicht für Radfahrer sei eine verpflichtende Einführung von Abbiegeassistenten und bodentiefen Seitenscheiben für Lastwagen, hieß es von den Aktivisten. Dies hätte im vergangenen Jahr in Berlin den Unfalltod von fünf Radfahrern verhindern können.

Nur wenige Radwege sind benutzungspflichtig

Überrascht sind Verkehrsexperten und Radaktivisten über Böhnings Tempo. Das Schreiben datiert vom 19. Dezember – genau eine Woche zuvor erst hatte der Senat das Mobilitätsgesetz zur Kenntnis genommen. „Die Bundesratsinitiative ist in Arbeit“, twitterte Regine Günther am Freitag, dem Vernehmen nach hat ihre Verwaltung noch keine größere Aktivität dazu entwickelt.

Das Land Berlin kann nicht selbstständig Bußgelder erhöhen, dies ist Sache des Bundes. Dass Böhning nichts vom Fahrradfahren verstehe, zeige schon seine Forderung nach höheren Bußgeldern bei Verstößen „gegen die bereits bestehende Radwegbenutzungspflicht“.

Tatsache ist: Seit gut 20 Jahren sind Radwege nur noch benutzungspflichtig, wenn sie mit dem runden blauen Schild „Fahrrad“ ausgewiesen sind. Und das ist in Berlin nur noch ein ganz kleiner Bruchteil der Radwege. Selbst an Hauptstraßen musste die Verwaltung die Schilder nach Klagen von Radfahrern abschrauben.

Zudem setzt Berlin seit Jahren auf Radspuren auf der Fahrbahn – die aber fast überall von Autofahrern zugeparkt werden. Strößenreuther forderte deshalb eine drastische Erhöhung der Bußgelder für Autofahrer: „Falschparken muss abschreckend teuer sein.“

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