Flüchtlinge in Berlin: Senator Geisel sieht "Behördenversagen" bei Flüchtlingsaufnahme
Der anhaltende Zuzug von Flüchtlingen nach Berlin ist für Bausenator Andreas Geisel kein Grund, den Katastrophenfall auszurufen. Es fehlen aber Unterkünfte.
Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) sieht die massenhafte Einreise von Flüchtlingen nach Berlin „als Herausforderung, aber nicht als Katastrophe“. Die Zustände vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Moabit seien gewiss nicht hinnehmbar und es gebe auch „Behördenversagen“, aber er sehe überhaupt keinen Grund, den Katastrophenfall auszurufen, sagte Geisel am Donnerstag im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Dafür müssten Leib und Leben in erheblichem Maß gefährdet sein.
Der Senator hält auch nichts davon, für die Aufnahme von Flüchtlingen zahlenmäßige Obergrenzen zu fordern. „Wollen Sie Zäune bauen? Die Menschen kommen trotzdem.“ Der Andrang Hilfe suchender Menschen könne sogar noch weiter zunehmen. „Wir müssen uns Steigerungsmöglichkeiten offenhalten.“ Berlin habe in seiner Geschichte aber schon mehrfach große Zuwandererströme aufgenommen, ohne Schaden zu nehmen. Im Gegenteil. Und Geisel wies auf die Relationen hin: Den 3,6 Millionen Einwohnern in Berlin stünden höchstens 50 000 Flüchtlinge gegenüber. Trotzdem dominiere das Thema die öffentliche Diskussion und Berichterstattung.
Deutsche Gemeinden rufen Katastrophenfälle der Behörden aus
Geisel warnte auch davor, die Flüchtlingsprobleme zu einem Wahlkampfthema zu machen. „Als der große Zustrom begann, den niemand vorhergesehen hat, erwies sich das Lageso zwar als handlungsunfähig, weil Mitarbeiter fehlten und die alten Strukturen der Behörde nicht stimmten“. Aber er wisse nicht, so Geisel, ob ein sozialdemokratischer Sozialsenator es anders und besser gemacht hätte. Das Lageso steht unter der Leitung des Sozial- und Gesundheitssenators Mario Czaja (CDU).
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hatte Ende Juli den Katastrophenfall wegen untragbarer Zustände vor einem Ankunftszentrum für Flüchtlinge ausgerufen. Vor einer Woche zog der Main-Taunus-Kreis nach, als in einem Schwung tausend Asylsuchende kamen. Bisher blieb das aber die Ausnahme.
Hanke wollte Katastrophenschutz aktivieren
In Berlin hatte vor zwei Monaten der Bürgermeister des Bezirks Mitte, Christian Hanke (SPD), dafür plädiert, den Katastrophenfall auszurufen beziehungsweise entsprechend zu handeln. In Hankes Bezirk befinden sich das Lageso und die polizeiliche Registrierungsstelle in der Kruppstraße, in der diejenigen Neuankömmlinge erfasst werden, die mit den Sonderzügen aus Bayern eintreffen. Hanke hatte damals dafür plädiert, die Lage wie ein Katastrophenszenario zu behandeln, weil dann feste Alarmierungsketten aktiviert werden, bestimmte Weisungsrechte entstehen und Angehörige von Hilfswerken nicht mehr bloß ehrenamtlich tätig sein müssten, sondern für ihren Einsatz im Katastrophenschutz vom Arbeitgeber freigestellt werden müssten.
Heute allerdings würde er die Forderung nicht mehr unbedingt aufrechterhalten. „Es ist immer noch eine herausfordernde Krisensituation“, sagte Hanke auf Nachfrage am Donnerstag. „Aber die Lage hat sich sachte gebessert.“ Es stünden 70 Bundeswehrsoldaten auf Abruf, die bei Bedarf Amtshilfe leisteten, und auch der landeseigene Koordinierungsstab unter dem früheren Polizeipräsidenten Dieter Glietsch handele im Krisenmodus. Nur an Weisungsrechten wie im echten Katastrophenfall fehle es. Er tue sich schwer damit, so Hanke, von einer Katastrophe oder einem Großschadensereignis zu sprechen, nur weil viele Menschen hierherkämen. Auch Lageso-Sprecherin Silvia Kostner sieht das so. „Eine Menge Flüchtlinge sind nicht das Gleiche wie eine Epidemie oder eine Verseuchung des Trinkwassers“, so Kostner. Im Übrigen laufe es durch die seit Donnerstag umgesetzten Neuerungen jetzt viel besser (siehe Seite 8).
Das Gesetz erlaubt es, Personen zur Mitarbeit zu verpflichten
Die Schwierigkeiten bei der Registrierung der Menschen würden sich jetzt langsam auflösen; nur die vielen Altfälle müssten noch abgearbeitet werden, so Kostner. In der Bundesallee sei ja auch das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration (BAMF) mit 21 Leuten vertreten. Alles werde ab sofort immer besser und schneller laufen.
Den Katastrophenfall auszurufen obliegt nach dem Katastrophenschutzgesetz dem Innensenator. Das Gesetz erlaubt es, Sachen in Anspruch zu nehmen, etwa Grundstücke, Gebäude und Schiffe, und Personen zur Mitarbeit zu verpflichten; sie gelten dann als „freiwillige Helfer“. Laut Innenverwaltung ist Derartiges derzeit aber nicht geplant.
Da die Zahlen bisher nicht abnehmen, haben Hanke und Kostner andere Sorgen, die sich auf die Unterbringung der Menschen beziehen. „Das wird noch ein Riesenproblem werden“, fürchtet die Lageso-Sprecherin, und Bezirksbürgermeister Hanke malt schon folgendes Szenario aus: „Das ICC wird drei Tage halten, dann ist es voll. Wir brauchen Großkapazitäten – die Messehallen, das Velodrom. Bisher traut sich niemand, Teile der Grünen Woche abzusagen; mal sehen, wie lange das noch funktioniert.“ Es seien 3000 Menschen pro Woche unterzubringen.