„Masterplan Solarcity Berlin“: Senat will ein Viertel des Strombedarfs mit Sonnenlicht produzieren
Wie kann man verhindern, dass in Berlin Lichter ausgehen, sobald die Lausitz keinen Kohlestrom mehr liefert? Eine Antwort sollen Tausende Gebäudedächer geben.
Das ist ein Ergebnis monatelanger Beratungen seit November 2018 von Experten aus Behörden, Forschungsinstituten, privaten wie kommunalen Unternehmen – und einer Studie des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesystem ISE aus Freiburg in Breisgau, aus jener Stadt im tiefsten Südwesten also, die zu den sonnenreichsten der Republik gehört und seit Jahrzehnten als Ökohauptstadt Deutschlands gilt.
Ginge es nach Berlins rot-rot-grünen Senat und vor allem nach Ramona Pop, der auch für die Energieversorgung Berlins zuständigen Senatorin von den Grünen, würde Berlin Freiburg in der Rolle ablösen. Pop ließ sich vergangenen Mittwoch die 200 Seiten starke Studie und die zusammengefasste Expertenempfehlung zum „Masterplan Solarcity Berlin“ überreichen. Am heutigen Montag will sie Details daraus vorstellen. Dem Tagesspiegel liegt das Papier bereits vor.
„Die Expertenempfehlung zeigt: Die Solarwende in Berlin ist möglich!“, sagte Pop dem Tagesspiegel. Es sei genügend Potenzial vorhanden, um 25 Prozent des Berliner Strombedarfs aus Sonnenenergie zu produzieren. Doch dafür müsse der regulative Rahmen verbessert werden. Hier sei insbesondere die Bundesregierung gefragt „und wir werden nicht müde, sie an ihre Verantwortung zu erinnern“.
Auf Landesebene werde man derweil „weiterhin“ alles tun, um vorhandene Spielräume ausnutzen, fügte die Senatorin hinzu.´ Spielräume ausloten, Alles tun für die Sonnenenergie: Das hat in Berlin lange Tradition – nicht erst seitdem Grüne die Wirtschafts- und Energiepolitik der Stadt mitgestalten.
„Berlins Job-Trauma als "Solarhauptstadt“
Vor gut zehn Jahren profilierte sich Berlin als wichtigster Standort der Solarmodulhersteller hierzulande. Berlins Politiker sonnten sich im Aufstieg von Firmen wie Solon in Adlershof oder Inventux in Marzahn, wo man wegen der umfangreichen Einspeisevergütungen über das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) von einem Boom der GreenTech-Industrie träumte. Sprach man damals von Berlin als „Solar-City“ waren vornehmlich die Jobs gemeint – nicht Solardächer.
Zwar gab es auch vor zehn oder 20 Jahren Versuche, in Berlin auch die Nutzung der Fotovoltaik zu fördern – zum Beispiel inspiriert durch das bereits 1990 erstmals im Bund aufgelegte „1000-Dächer-Programm“. Allerdings zeigte sich, dass es für viele Investoren technisch leichter und deutlich lukrativer ist, in der Provinz große Scheunendächer mit Südlage mit blauschimmernden Modulen zu bebauen als verschachtelte Dächer von Altbauten oder relativ kleinen Einfamilienhäusern. Speziell wenn mehrere Eigentümer einer Immobilie mitreden, wird es kompliziert mit dem Solardach.
Als ab dem Jahr 2012 reihenweise deutsche Solarmodulhersteller im Preiskampf der chinesischen Konkurrenz aufgeben mussten und in die Insolvenz gingen, trat insgesamt auch in Berlin ein Solar-Kater ein. Dazu kam, dass Verbraucherschützer vorrechneten, wie viele Milliarden Euro Stromkunden mit ihrer Rechnung zahlen um Solaranlagen im relativ schattigen Nordosten zu finanzieren. Windenergie, Biomasse oder Wasserkraft sind günstiger zu erzeugen – aber keine Option für Großstädte.
So gibt es heute einige große PV-Anlagen wie etwa bei der landeseigenen Wasserbetrieben in Tegel. Insgesamt kamen alle Ende 2018 installierten Fotovoltaikanlagen aber lediglich auf eine (theoretisch erreichbare) Spitzenleistung von 106 Megawatt peak (MWp). Das ist genug, um bei optimaler Sonneneinstrahlung rund 0,7 Prozent des Stromverbrauchs von Berlin zu decken.
Institut: 25 Prozent Solaranteil sind zu erreichen - in 30 Jahren
Pop verweist auf die jetzt vorgelegte Studie von Fraunhofer ISE, die aufzeigt, dass 25 Prozent Solarstrom in Berlin erreichbar seien – genau wie im Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm 2030 vorgesehen. Wenn auch erst 20 Jahre später: Eine PV-Leistung von 4400 MWp bis zum Zieljahr 2050 müsse in Berlin installiert werden, um vier Petajoule Solarstrom pro Jahr erzeugen zu können, heißt es im Bericht.
Das wären mehr als 40 mal so viele Solarmodule oder solarthermische Anlagen wie derzeit auf Berlins Gebäuden installiert sind, sofern man unterschlägt, dass Solarmodulhersteller die Wirkungsgrade ihrer Anlagen nach und nach verbessern, am Ende also ein paar Dächer weniger bebaut werden müssten.
Insgesamt gut 533.000 Gebäude gibt es in Berlin, also gut eine halbe Million. Davon stehen natürlich nicht alle günstig im Licht und 9,5 Prozent davon fallen allein deshalb aus, weil sie unter Denkmalschutz stehen, wird im Bericht unterstellt. Für die Analyse habe man demnach nur 482.000 Gebäude herangezogen.
Drei Viertel davon (76,6 Prozent) gehören natürlichen Personen, gefolgt von Unternehmen und Genossenschaften einschließlich der landeseigenen Wohnungsgenossenschaften (16 Prozent). Nur ein kleiner Teil (5,4 Prozent) gehört direkt dem Land Berlin oder dem Bund (0,6 Prozent).
Damit es was wird mit dem Ziel 25 Prozent Strom aus Solar, müssten alle – private wie staatliche Immobilieneigentümer – mitziehen und ihre Dächer mit Modulen bebauen, die heute nicht mehr in Deutschland oder gar in Berlin gefertigt werden, sondern meist in Fernost. Immerhin könnte das lokale Handwerk von einem Solardachboom profitieren, wird spekuliert.
Hierzu geben die Autoren der Studie aber zu bedenken, dass Handwerksbetriebe statt der Installation von Solaranlagen eher andere Sanierungsmaßnahmen wie zum Beispiel die Badsanierung bevorzugen würden, „weil diese lukrativer sind, weniger Beratungs- und administrativen Aufwand mit sich bringen und die Betriebe bereits gut auslasten“. Dies falle zusammen mit einem abnehmenden Interesse an Aufträgen zur Errichtung kleinerer Solaranlagen und zunehmenden Problemen, qualifizierten Nachwuchs für das Handwerk zu gewinnen.
Die Grünen-Hochburg hat kaum Solar-Potenzial
Nicht frei von Ironie ist zudem die Diagnose, dass das Solarpotenzial auf alle zwölf Berliner Bezirke „relativ homogen“ verteilt sei: Demnach tragen alle Bezirke zwischen sieben Prozent (Lichtenberg) und elf Prozent (Tempelhof-Schöneberg) zum gesamtstädtischen Solarpotenzial bei. Als einziger Ausreißer wird der von Altbauten dominierte Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg – die traditionelle Hochburg der Grünen – genannt. Hier seien es lediglich vier Prozent.
Zudem weist der Bericht ausdrücklich auf die Nutzungskonkurrenz von Dächern in dicht bebauten Städten hin. An mindestens einer Stelle konkurriert sogar Senatspolitik mit sich selbst: So hatte die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz erst vor gut zwei Wochen informiert, dass Hauseigentümer sich ab sofort Geld aus dem 2,7 Millionen Euro großen Fördertopf „GründachPLUS“ beantragen können, um auf Dächern grüne Oasen gegen den Hitzestress zu schaffen, wie Pops Senatorenkollegin Regine Günter (parteilos) erklärte.
So oder so: Auf Basis der Expertenempfehlung werde nun ein Umsetzungskonzept entwickelt, das im Herbst vom Senat beschlossen werden soll, kündigt Pop an. Die Chancen auf eine Umsetzung sind womöglich größer als bei ähnlichen Solar-Initiativen vergangener Jahre, da es hier nicht allen um die Verteilung von Fördergeldern oder Marktprämien geht.
Pops Expertenrat sind so unterschiedliche Akteure vertreten wie die Energieunternehmen Vattenfall und Gasag, der Hauseigentümerverband Haus & Grund oder die Handwerkskammer. Alle tragen den Plan mit, wenn auch landeseigene Unternehmen wie die Stadtwerke bisher kaum aktiv auf diesem Feld sind.
Auch die zunehmend intensiv geführte Klimaschutzdebatte und das mögliche vorzeitige Aus für die Braunkohleverstromung in der Lausitz, die bisher maßgeblich Berlins Energiehunger gestillt hat, dürften sich positiv auf das Solarprojekt auswirken. Dazu kommen neue Verfahren von Dünnschicht-Modulen die eine Verwendung der Fotovoltaik auch in Fassaden ermöglichen. Dass die Sonne in Freiburg öfter und intensiver scheint als in Berlin, dürfte sich auf absehbare Zeit aber nicht ändern.
Kevin P. Hoffmann